"Es war damals eine Sensation"

25.04.2008
Horst Czichos arbeitete vor 25 Jahren in der Bundesanstalt für Materialforschung, die die gefälschten Hitler-Tagebücher entlarvte. "Innerhalb von ein paar Tagen war die Sache erledigt", sagte Czichos.
Liane von Billerbeck: Horst Czichos ist jetzt unser Studiogast. Er arbeitete vor 25 Jahren in der Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung in Berlin, als sich in Hamburg der größte anzunehmende Unfall in der Geschichte der bundesdeutschen Presse ereignete: Die Veröffentlichung der von Harald Kujau gefälschten Hitler-Tagebücher als angeblich echte Dokumente im Magazin "Stern". Wie die Bundesanstalt im Berliner Bezirk Steglitz damals dafür sorgte, dass die Fälschungen entlarvt wurden, das kann uns Horst Czichos erzählen. Er hat später über seine Arbeit ein Buch geschrieben und lehrt jetzt Mechatronik an der Technischen Fachhochschule Berlin. Herzlich Willkommen erst mal.

Horst Czichos: Guten Tag, Frau von Billerbeck

Billerbeck: Die angeblichen Hitler-Tagebücher – erinnern Sie sich noch daran, als diese Sensationsmeldung kam, und was haben Sie damals gedacht?

Czichos: Also ich erinnere mich ziemlich genau, denn es war damals in der Tat eine Sensation. Ich hatte auch drei Bände davon in der Hand. Und der erste Eindruck war, warum ist denn da der Buchstabe ein F und nicht ein A vor dem H. Also insofern war das ein erster Eindruck, und der andere Eindruck war, dass die Werke als solche einen gut erhaltenen Eindruck machten. Sie kennen ja vielleicht die Vorgeschichte. Das soll ja angeblich in einem Kurierflugzeug gefunden worden sein, wurde dann "Stern"-Reportern angeboten, und dann haben natürlich die Historiker und Schriftexperten gerätselt, ist denn das richtig.

Billerbeck: Wie kam es denn nun dazu, dass Sie diese Bände in die Hand bekamen, und wie kam es zu dem Auftrag an die Bundesanstalt?

Czichos: Die Bundesanstalt hat ein großes Instrumentarium, um Gegenstände zu untersuchen. Wir in der Technik – Materialien, die Träger, der technischen Funktion sind – ist natürlich auch im Kunststoff, Material der Träger der Kunst in einer gewissen Weise. Das will ich jetzt nicht mit Kunst vergleichen, aber das Bundeskriminalamt hatte wohl allererste Kunstuntersuchungen gemacht, Bestrahlung mit UV-Licht. Und Bundeskriminalamt und Bundesarchiv kamen dann auf die BAM zu und sagten, bitte untersuchen Sie doch mal einfach die Stoffe, was ist das. Das ging dann ziemlich schnell, war auch relativ einfach. Innerhalb von ein paar Tagen war die Sache erledigt.

Billerbeck: Was haben Sie genau untersucht?

Czichos: Wir haben Fäden entnommen, Heftfäden, und festgestellt, dass das eben, wie man heute sagt, Perlon war, das heißt, ein Kunststoff Polyamid. Und jetzt interessant, die Recherchen zeigten, das deutsche Patent auf Polyamid wurde im Juni 1938 angemeldet. Das Tagebuch soll von 1934 gewesen sein. Und hergestellt wurden Perlons, Sie erinnern sich, erst in den 40er Jahren, Anfang der 40er Jahre. Also ganz eindeutig der Beweis, da waren Kunststoffe drin, die es damals nicht gab. Also konnte das nicht damals geschrieben worden sein, weil der Träger, der materielle Träger einfach noch nicht existent war. Das zeigte sich auch bei den anderen Bänden, wo also bestimmte Zellstoffe synthetischer Art entdeckt wurden, die es damals auch nicht gab. Es wäre ein Problem gewesen, wenn dieses auf, ich sage mal, historischem Material geschrieben worden wäre.
Billerbeck: Was hätten Sie dann gemacht? Hätte man Sie dann hinter das Licht führen können?

Czichos: Das ist schwierig. Wissen Sie, es ist so: Man kann in der Kunst wie bei vielen Dingen, auch in der Philosophie, man kann schlecht etwas verifizieren. Aber Sie können falsifizieren. Es gibt in der Physik den Satz, ein allgemeines Axiomsystem ist falsch, wenn ein einziger Gegenbeweis ist. Und wenn ich einen Gegenbeweis habe materieller Art, dann kann die Kunst, bei allem Respekt, natürlich sagen, das ist aber unser Eindruck. Aber die Fakten sind dann dagegen. Und das war genau der Fall.

Billerbeck: Also wenn Harald Kujau die richtigen Materialien genommen hätte, dann hätten Sie es schwer gehabt.

Czichos: Dann hätten wir es schwer gehabt. Aber es ist natürlich so, die Tintenanalyse wäre der nächste Schritt gewesen. Die brauchten wir gar nicht zu machen.

Billerbeck: Weil Sie hatten schon einen Gegenbeweis.

Czichos: Weil wir hatten das eindeutig. Das heißt, wir haben sozusagen erst mit der groben Schaufel das Polyamid entdeckt, und dann kann man natürlich Feinstrukturanalysen machen. In der Medizin macht man heute DNA, und das sind ähnliche Mittel, die man zur Verfügung hat.

Billerbeck: Der Auftrag kam vom BKA, die hatten also schon mal vorher...

Czichos: Vom Bundesarchiv.

Billerbeck: Vom Bundesarchiv an Sie, und wie ist das dann zurückgekommen? Sie wussten das dann, sind Sie dann zum Stillschweigen vergattert worden oder konnten Sie mit diesen Erkenntnissen an die Öffentlichkeit gehen?

Czichos: Im allgemeinen ja. Also die Bundesanstalt hat ja den Auftrag, Sicherheit und Technik in der Chemie durch Entwicklung von Methoden sicherzustellen, Explosivstoffe und so weiter. Und das auch im europäischen Rahmen. Wenn so ein spezieller Auftrag kommt, dann ist das natürlich ein Auftrag, der dem Auftraggeber zur Verfügung gegeben wird. Und die Bundesanstalt ist verpflichtet, natürlich darüber dann stillzuschweigen. Es sei denn, der Auftraggeber gibt es frei.

Billerbeck: Und wie schnell passierte das dann?

Czichos: Blitzschnell, nach meiner Erinnerung. Das schlug ja gleich ein wie eine Bombe. Die Leute haben gesagt, aha, nun haben wir es endlich, denn die Historiker und die Graphologen haben ja schon Wochen und Monate lang – der sagt das und der Kringel ist so und das ist solches. Wir haben gesagt, Mensch Kinder, macht doch einfach eine richtig saubere Analyse, dann habt ihr es.

Billerbeck: Manchmal sind die Techniker eben doch besser dran.

Czichos: Ja, weiß ich nicht. Sie machen ihre Arbeit hoffentlich gut.

Billerbeck: War diese Arbeit, um nachzuweisen, dass die Hitler-Tagebücher eben doch nicht echt sind, die da der "Stern" veröffentlicht hatte, etwas, was typisch ist für die Arbeit der Bundesanstalt für Materialprüfung und -forschung?

Czichos: Nein, eigentlich nicht. Denn wie gesagt, wir sind dazu da, das Institut, das ich auch geleitet habe zehn Jahre lang, ist dazu da, Sicherheit in der Technik zu gewährleisten, und das durch Entwicklung von Methoden. Aber, und jetzt kommt der Punkt, man kann das natürlich auf alle Objekte anwenden. Ein weiteres Beispiel, ich weiß nicht, ob wir das noch nehmen können, Rembrandt, der berühmte Rembrandt. Auch in den 70er Jahren kam ein Mann in die BAM, brachte einen großen Stahlkoffer mit und sagte, hier ist das Original von Rembrandt, das berühmte Bildnis von 1634. Das, was in Dahlem hängt, ist falsch. Und zwar, jetzt sind wir wieder in der Zeit, Göring hätte auf Veranlassung von Hitler veranlasst, dass Replika hergestellt werden, und im Museum hängen die Replika, und die Originale sind zum Teil in der Wolfsschanze. Er, der Mann mit dem Koffer, hätte auch eine Expertise von einem Kunstsachverständigen, mit großer Wahrscheinlichkeit ist das, was er hat, das Original. Was kann man machen?

Billerbeck: Wieder die Materialien prüfen, vermute ich mal.

Czichos: Ja, aber sie dürfen ja an so ein Kunstwerk kaum rangehen. Man kann also nur mikroskopische Teilchen entnehmen. Das kann man im Elektronenmikroskop machen und kriegt dann Informationen über die Elemente. Ganz kurz zusammengefasst, wichtige Farbe ist Gelb, leuchtendes Gelb. Was wurde festgestellt? Cadmium im Gelb. Im Weiß wurde Zink festgestellt. Im Grün Chrom. Alles Dinge, das Bild ist 1634 entstanden, die erst ab 1810 oder so etwas in den Malstoffen, sage ich jetzt mal simpel, drin waren. Eindeutig der Beweis, kleinlaut ist er abgezogen. Das war nun auch wieder ein sozusagen indirekter Beweis. Es muss ja eine Einheit sein von dem Material, auf dem ein Kunstwerk entsteht, und der Zeit, in der das Kunstwerk klassisch entsteht.

Billerbeck: Viele Kunstwerke, Sie haben es bei dem Rembrandt eben erzählt, sind ja viele Jahrhunderte alt oder sogar Jahrtausende. Wie kommt es eigentlich, dass bestimmte Materialien so haltbar sind?

Czichos: Das hängt von der, jetzt wird es ein bisschen physikalisch, das hängt inneren Natur der Bindungen ab, wie man sagt. Wenn ich Kohlenstoff mit Kohlenstoff verbinde, ist die Bindung anders, als wenn ich Metallatome in eine Struktur bringe, insbesondere bei Mineralien. Und wenn dann die Umgebungsbedingungen so sind, dass praktisch keine großen Fremdeinwirkungen passieren – wir haben zum Beispiel wunderbar erhaltene Holzgegenstände aus Ägypten. Trockenheit. Mikroorganismen werden erst aktiv bei einer Feuchte von ungefähr 30 Prozent. Wenn sie unter zehn Prozent oder in dem Bereich bleiben und die Temperatur einigermaßen stabil halten, dann können sie es über lange, lange Zeit stabilisieren.

Billerbeck: Ihr Institut, die Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung in Berlin, ist das eigentlich durch die Hitler-Tagebücher bekannter geworden, als Ihnen lieb war? Oder war Ihnen das ganz recht?

Czichos: Also die Bundesanstalt ist ja entstanden 1871, und zwar als damals Eisenbahnachsen brachen. Man wusste damit nicht, dass die Festigkeit, wenn ich etwas ganz langsam auseinanderziehe oder etwas schwingt (…), geht die Festigkeit herunter. Und das war in Preußen damals eine bahnbrechende Geschichte, so eine Institution zu haben, die öffentliche Sicherheit untersucht, Sicherheit des unbeteiligten Dritten, also öffentliche Sicherheit. Das wurde dann Königliches Materialprüfungsamt und, und, und. Nach dem Krieg dann als Bundesanstalt übernommen, zusammen mit der Chemisch-Technischen Reichsanstalt. Aber es war eine ganz schwierige Zeit, in der Zeit der DDR, denn wir waren ein Institut, eine Bundesanstalt in Westberlin. Aber trotzdem haben sich die Dinge außerordentlich gut entwickelt, darf ich Ihnen sagen, und heute ist die Bundesanstalt so, dass das technische Instrumentarium und die Expertise, glaube ich, ziemlich einmalig – ich kann ja das so sagen – in Europa sind.

Billerbeck: Sie sind ja nicht mehr da.

Czichos: Ich bin nicht mehr da. Und außerdem, in Europa ist es ganz wichtig, dass Deutschland die technische Expertise im europäischen Rahmen durch Forschung und Entwicklung und so weiter voranbringt, damit sozusagen in dem europäischen Konzert die Produkte die Sicherheit haben, die wir also kennen.

Billerbeck: Heute vor 25 Jahren wurden die Hitler-Tagebücher als angeblich echte Dokumente veröffentlicht. Wir sprachen mit Horst Czichos, der damals in der Bundesanstalt für Materialprüfung und –forschung daran beteiligt war, dass die Hitler-Tagebücher als Fälschungen entlarvt wurden. Ich danke Ihnen.