Es spricht der Bundespräsident – und doch bleibt vieles ungesagt

Von Wolfgang Labuhn, Hauptstadtstudio |
Christian Wulff hatte sich Zeit gelassen mit seiner ersten großen Rede nach der Wahl zum Bundespräsidenten am 30. Juni. Mit Bedacht wurde der Festakt zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit gewählt, hatte das Präsidialamt etwas programmatisch Bedeutendes annonciert. Wer derartige Erwartungen weckt, sollte sich über das sehr gemischte Echo darauf nicht wundern.
Dabei sagte Wulff nichts Falsches. Passend zum Tag lobte er die Aufbauleistung der Ostdeutschen, führte seinen Gedanken der "bunten Republik Deutschland" ebenso aus wie die Defizite der Integration von Zuwanderern, versprach den Feinden unserer Verfassungswerte Saures.

Von einer leidenschaftlichen Rede eines Joachim Gauck war Wulffs Rede freilich ebenso weit entfernt wie von der elegant präsentierten Wortkunst eines Richard von Weizsäcker. Sie reichte nicht, um Wulffs verpatzten Start im Amt auszubügeln, sei es sein Auftritt bei der Fußball-WM in Südafrika, sein Urlaub beim Finanzjongleur Maschmeyer, seine Rücktrittsforderung an den Duisburger Oberbürgermeister wegen der Toten bei der Loveparade, seine Rolle bei der Lösung eines Bundesbank-Problems Namens Sarrazin. Einen Schuss habe er noch frei, wurde ein namentlich nicht genannter Vertreter der schwarz-gelben Koalition vor der Wulff-Rede zitiert. Und der müsse sitzen.

Das einzige, was Wulff nun offenbar getroffen hat, ist ausgerechnet die christlich-konservative Seele, wie das Medienecho aus diesem Lager zeigt. Da wird erschrocken registriert, dass Wulff eine Banalität thematisierte: Der Islam gehöre nunmehr als Religion zu Deutschland wie das Christentum und das Judentum. Ja, was denn sonst? Vier Millionen Muslime leben dauerhaft in Deutschland und bilden damit längst die zweitgrößte Religionsgruppe im Land. Sie ist sogar viel größer, als es der jüdische Bevölkerungsanteil Deutschlands je war, bevor ihn die Nazis auslöschten.

Eine brillante, über die Tagespolitik hinausweisende Rede hatte gestern wohl niemand ernsthaft erwartet. Bundeskanzlerin Merkel hatte schließlich ihren Kandidaten für das Präsidentenamt sorgfältig ausgesucht. Mutti mag nun einmal nicht allzu viel Glanz neben sich in der christdemokratischen Familie, Schwiegersöhne eingeschlossen, um einmal die Schlagzeile eines angesehenen Wirtschaftsblatts nach Wulffs Kür aufzugreifen.

Wo aber blieben seine Gedanken zum Verhältnis von Regierenden und Regierten in Deutschland, das nicht erst seit Stuttgart 21 im Argen liegt? Wo blieb eine Aussage zum Atomstreit, der Deutschland spaltet? Wo blieb die nachdenkliche Betrachtung der erschreckend groß gewordenen Kluft zwischen Arm und Reich, die den von Wulff beschworenen Zusammenhalt unserer Gesellschaft weit mehr bedroht als Thilo Sarrazin?

Am Tag danach immerhin ein Trost: Wulffs Amtsvorgänger Köhler wurde die Würde des Amtes so sehr zur Bürde, dass er schließlich unter ihrer Last zusammenbrach. Das ist beim Berufspolitiker Christian Wulff nicht zu befürchten. Und damit kann er noch immer ein passabler Präsident werden.