"Es sind sehr eigenwillige Gebäude"

Philipp Meuser im Gespräch mit Britta Bürger · 15.06.2010
Die kasachische Hauptstadt Astana ist aus der Steppe heraus in die Höhe geschossen und gilt als eine Art Disneyland mit Großmachtvisionen. Bei den Häusern sei "eins kurioser als das andere", sagt dazu der Architekt Peter Meuser im Rahmen unserer Reihe "The Promised City".
Britta Bürger: Astana, die neue Retorten-Hauptstadt Kasachstans – ein architektonisches Großprojekt, das aus der Steppe heraus in die Höhe geschossen ist, eine Art Disneyland mit Großmachtvisionen. Im Studio begrüße ich einen deutschen Architekten, der sich seit Jahren dort engagiert. Gerade war er wieder in Astana, um zu gucken, wie sein Bau der kanadischen Botschaft vorangeht. Schönen guten Tag, Philipp Meuser!

Philipp Meuser: Guten Tag, Frau Bürger!

Bürger: Wann waren Sie zum ersten Mal dort und wie sah es damals aus?

Meuser: Das erste Mal bin ich in Astana gewesen, das war im Jahr 2001. Ich bin mit dem Zug von Almaty nach Astana gefahren, was ein tolles Erlebnis eigentlich war.

Bürger: Und wie sah es damals dort aus?

Meuser: Astana war damals eine alte, postsowjetische Stadt, verloren, alleine gelassen an der Bahnlinie zwischen Moskau und Almaty. Und ich kam dort hin als junger Architekt und war ganz fasziniert eigentlich von diesem Plan und von dieser Idee, eine neue Hauptstadt zu bauen im Nichts mitten in der Steppe.

Und was ich vorfand, waren eben diese verlassenen Datschen, teilweise abgerissen, eine große Brache, und mittendrin stand der große Bajterek-Turm, eine große, wie so eine Art Stecknadel sah das aus, ein Turm, 100 Meter hoch etwa, ein Aussichtsturm, heute das Wahrzeichen der neuen Hauptstadt.

Bürger: Jetzt machen wir das so wie in den Frauenzeitschriften mit dem Vorher-Nachher-Effekt: Das Vorher haben wir jetzt beschrieben bekommen. Wie sieht es heute aus?

Meuser: Ja wenn ich heute nach Astana komme, ich kam jetzt gerade vor zwei Wochen wieder aus Astana, und ich gewinne mit jeder Reise eigentlich immer wieder erneut diesen Eindruck, ich könnte auch meinem Sohn eine große Lego-Kiste hinstellen, und er würde einfach anfangen, irgendwo wahllos ein Häuschen zu bauen und würde dann über die Jahre hinweg immer wieder bunte Gebäude ergänzen, Hochhäuser, eins kurioser als das andere, eins schräger als das andere ... also rund um diesen Bajterek-Turm, der ja früher wie so eine Art Stecknadel mitten im Nichts stand, da werden heute, auf der einen Seite steht das kasachische Verteidigungsministerium, ein Bau, der eher neoklassizistische Formen hat, direkt nebenan steht ein Stadtarchiv, was aussieht wie eine große Kugel oder wie ein Ei, in dem sozusagen die Erinnerungen der Stadt Astana bewahrt werden.

Dort wiederum gegenüber ein neues Verwaltungsgebäude, ein Bürogebäude, was aussieht wie ein Schweizer Käse, blau-weiß gestreift, schräg abgeschnitten und noch mal unterteilt wie eine Torte. Also es sind sehr eigenwillige Gebäude. Man muss aber auch sagen, so unterschiedlich und auch so bizarr es vielleicht wirkt für uns als Europäer, muss man sagen: Astana hat ein Gesicht bekommen.

Bürger: Erzählen Sie uns noch was über Ihre eigenen Projekte: Sie bauen dort die Kanadische Botschaft, Ende des Jahres soll sie eingeweiht werden. Und sie haben bereits in einem anderen Gebäude, in dem die Deutsche, Britische, Französische und Schweizerische Botschaft unterkommt, die Innenausstattung, die Innengestaltung übernommen. Was war und was ist das Besondere an diesen Aufträgen für Sie, haben Sie da Narrenfreiheit?

Meuser: Also beim Bau einer Botschaft hat man keineswegs Narrenfreiheit.

Bürger: Die Bilder im Internet, die ich gesehen habe, sehen wild aus. Die Schweizer Botschaft stellt man sich als einen konservativen Schwarz-Weiß-Bau vor, da sind grellrot-weiße Schweizer Flaggen auf den Wänden ...

Meuser: Ja man muss sagen, die Schweizer sind eigentlich, bei allem konservativen Auftreten sind sie eigentlich als Bauherr sehr progressiv, und es war, es war dann unser viertes Projekt, was wir dann realisiert haben in Astana, das hat sehr viel Spaß gemacht, weil dort einfach der Anspruch auch da war, Design in die kasachische Steppe zu bringen.

Bei den anderen Botschaften, wir haben dann auch dann Deutsche, Britische, Französische Botschaft gemacht, natürlich große, wichtige europäische Staaten, die einen anderen Auftritt haben, wo wir aber trotzdem auch versucht haben, durch eine farbige Wandgestaltung diesen unterschiedlichen Etagen in diesem Verwaltungsgebäude auch eine Identität zu geben, und haben eben versucht, dort eben noch in Anlehnung an das Gastland auf der einen Seite und auf der anderen Seite natürlich auch das Herkunftsland, auch da versucht, eine durch farbige Akzente und auch durch die Innengestaltung eine Brücke zu schlagen, eine architektonische Brücke.

Bürger: Das kasachische Astana, eine Retortenstadt in der Steppe. Im Deutschlandradio Kultur sprechen wir darüber mit dem Architekten Philipp Meuser, der in Astanas Botschaftsbauten bereits eine ganze Menge Spuren hinterlassen hat. Leben organisiert man ja jetzt nicht nur über spektakuläre Neubauten für Regierungen oder auch für andere Institutionen. Wie sieht das mit der Infrastruktur zum Beispiel aus in Astana, wie bewegt man sich da von A nach B?

Meuser: Bei diesen Milliarden-Investitionen, die dort getätigt worden sind, ist es doch immer wieder verwunderlich, dass dort offensichtlich niemand über einen öffentlichen Personennahverkehr nachgedacht hat. Also das ist also im Grunde alles privat organisiert, es fahren kleine Sammeltaxis, Sie können ja auch an jeder Straße, wie das in anderen GUS-Republiken auch durchaus üblich ist, Sie halten einfach ein Auto an an irgendeiner Straßenecke und sagen, wo Sie hinfahren möchten ...

Bürger: Dort leben mittlerweile 600.000 Menschen, und es sollen noch mehr werden.

Meuser: Das sollen noch mehr werden. Das Ganze funktioniert mit einem Busnetz, das existiert, es ist etwas verwunderlich, die Stadt soll ja auch noch in den nächsten 20 Jahren auch noch bis zu einer Million oder auf eine Million Einwohner anwachsen ... Es gibt also keinen schienengebundenen Personennahverkehr.

Bürger: Klingt nach Langsamkeit.

Meuser: Ja, es ist vielleicht eine Langsamkeit in der ganzen Bürokratie noch in dem, was der Staat beiträgt zu diesem Hauptstadtbau. Es ist doch vielfach so, und jetzt komme ich noch mal auf diesen Punkt, wie eigentlich Architektur entsteht: Es werden Grundstücke parzelliert, und Investoren werden eingeladen, dort etwas zu bauen. Sie haben wenig Vorgabe, was dort gebaut werden soll oder wie gebaut werden soll, also die Frage nach einer Traufkante, wie man das in manch deutscher Großstadt irgendwie hat, das ist dort völlig unbekannt.

Und es gibt auch immer nach wie vor diese Mentalität, je ... oder alles, was neu ist, ist erst mal gut. Und je mehr es sich absetzt von dem Nachbarn oder von dem, was vorher gebaut wurde, umso besser. Und wenn es sich dann auch noch versucht, sich ein Kleid zu geben, was in irgendeiner Weise kasachisch aussieht, dann ist das etwas, was von der Bevölkerung auch gelesen werden kann.

Bürger: Wenn viel gebaut wird, heißt das ja auch noch lange nicht, dass gut gebaut wird. Wie beurteilen Sie denn die Qualität dieser ganzen Bauten? Ist das eine Architektur mit Verfallsdatum?

Meuser: Auf den Renderings und auf den ganzen Darstellungen und den Modellen sieht das alles immer sehr schön aus, aber wenn man dann vielleicht mal auf den Baustellen dann zu Hause ist, dann sieht man eben schon, dass an vielen Orten eben auch gebastelt wird. Wenn man Beton mischt, ist es ganz wichtig, dass der Anteil von Sand, Zement, Wasser und Kies einfach stimmt.

Also müssen Sie immer darauf achten, dass möglichst wenig Zement von der Baustelle abgezwackt wird und in irgendwelchen Privatbaustellen irgendwie unterkommt. Das ist ein ganz großes Problem, und es gibt auch nicht dieses Empfinden für Qualität oder auch das Empfinden, dass man seine Arbeit gut macht, sondern das ist alles sehr stark auf Profit ausgerichtet.
Bürger: Bis 2030 gibt es eine Art Masterplan, nach dem die Stadt weiter wachsen soll. Präsident Nasarbajew will Astana zum Aushängeschild für ein fortschrittliches Kasachstan machen. Wie realistisch ist das denn, dass sich hier jetzt tatsächlich eine ernst zu nehmende Metropole entwickelt?

Meuser: Also wenn Sie mit Bewohnern in Astana sprechen, dann werden die immer sagen, die schaffen das schon, die Kasachen. Und wenn man immer so sporadisch dort zu Besuch ist, gewinnt man auch den Eindruck, es bewegt sich etwas, es verändert sich immer etwas.

Nun ist es aber auch so, dass Kasachstan ein Staat ist, der nicht im demokratischen Sinne geführt wird, wie wir es in Europa kennen, sodass eben auch ein gewisser Risikofaktor Politik dabei ist, sodass man nicht genau sagen kann, was ist eigentlich Kasachstan im Jahre 2030?

Man muss immer bedenken, Nasarbajew ist ja der ehemalige Vorsitzende der Kommunistischen Partei, der sich auch kürzlich zum ewigen Präsidenten hat wiederwählen lassen. Das heißt, das ist eine, ein sag ich mal familiengeführtes Großunternehmen oder Staatsunternehmen, was dort an der Macht ist, und man wird, man muss auch wirklich immer abwarten, ob sich das alles so entwickelt, denn Astana ist ja wirklich eine Idee von Nasarbajew und der versucht, das wirklich mit aller Macht durchzusetzen.

Bürger: Die neue kasachische Hauptstadt Astana hat uns der Architekt Philipp Meuser nähergebracht. Ich danke Ihnen sehr für den Besuch im Studio!

Meuser: Danke, Frau Bürger!

Bürger: Und morgen geht es dann in unserer Reihe "Promised City" weiter nach Tripolis. Mit dem neuen Regierungsviertel von Staatschef Gaddafi soll das Image des Terrorstaates verdeckt werden.