„Es kommt der Tag“

Die Tochter einer geflüchteten RAF-Terroristin kommt ihrer Mutter auf die Spur, die sich in Frankreich ein bürgerliches Leben aufgebaut hat. Schließlich fordert sie von der Mutter, dass sie sich vor ihrer Familie und der Polizei stellt.
Deutschland 2008, Regie: Susanne Schneider, Darsteller: Iris Berben, Katharina Schüttler, Jacques Frantz, Sebastian Urzendowsky, Sophie-Charlotte Kaissling-Dopff, ab 12 Jahren, 104 Minuten

Erst im Juni kam Connie Walters Film „Schattenwelt“ in die Kinos, der die Schuld der deutschen RAF-Terroristen ebenso wie dieser neue Film über die Konfrontation mit der nachfolgenden Generation diskutiert. War es in „Schattenwelt“ die Tochter eines Opfers, die den Täter (Ulrich Noethen) zwang, persönliche Schuld einzugestehen, ist es diesmal die Tochter einer Täterin.

Alice (Katharina Schüttler) hat nach 30 Jahren ihre Mutter gefunden. Judith (Iris Berben) lebt mit neuer Identität und neuer Familie unerkannt im Elsass, wo sie mit allen Mühen ein kleines Weingut betreibt. Als sie Alice, getarnt als Opfer eines Autounfalls, in ihr Haus lässt, weiß sie nicht, dass diese ihre vor 30 Jahren zur Adoption freigegebene Tochter ist. So hart und gefühllos, wie die Zuschauer die junge Frau schon auf der Fahrt ins Elsass erlebt haben, fordert sie von der Mutter, dass sie sich vor ihrer Familie und der Polizei stellt. Es werden also zwei Schlachtfelder aufgemacht: Die Mutter soll der verstoßenen Tochter, ihrer Familie und der Gesellschaft gegenüber Schuld bekennen und Strafe annehmen.

Interessant sind beide Frauenfiguren, auch wenn es schwer ist, diesen durch den Konflikt zum Zerreißen gespannten Darstellerinnen zuzusehen, die in lautstarken Wortduellen aufeinandertreffen.

Judith bricht nicht sofort zusammen. Sie versucht, ihre damaligen Motive zu erklären und verlangt, dass die Tochter anerkennt, dass sich ein Mensch ändern kann und damit ein Recht auf Weiterleben in der Gesellschaft hat. Alice ist kein hilfloses Opfer, doch so stark und einsichtig ihre Motive auch sind, eine eindeutige Parteinahme verweigert der Film, der als ein kammerspielartig erzähltes Familiendrama ohne die üblichen politischen Floskeln und Vorurteile auskommt.

Die moralische eben nicht eindeutig zu besetzende Grauzone privater Interessenskonflikte wird durch genaue Beobachtung in Szenen erkundet, die oft in der Morgen- oder Abenddämmerung spielen, wobei vor allem am Anfang, als die Figuren dem Zuschauer noch nicht nahe sind, auch viel Leerlauf entsteht.

Der Film zielt nicht auf Eindeutigkeit. Die Argumente dürfen vorgebracht werden, wirklich diskutiert werden sie nicht und damit geht der durch seine leidenschaftlichen Darstellerinnen auch bestechende Film in der Bewertung des gesellschaftlichen Phänomens nicht über Filme wie Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“ oder Christian Petzolds „Die innere Sicherheit“ hinaus.

Filmhomepage: „Es kommt der Tag“