"Es kann auch in die Hose gehen"

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Dieter Kassel · 03.11.2011
Der deutsch-griechische FDP-Politiker, Jorgo Chatzimarkakis, hat sich zuversichtlich gezeigt, dass die Griechen beim EU-Referendum zustimmen werden, ein Scheitern ergebe Ansteckungsgefahr. Er lobte, dass der griechische Ministerpräsident seinem Volk diese Schicksalsfrage vorgelegt habe.
Dieter Kassel: Nicht, dass man europaweit nicht auch schon vorher beunruhigt gewesen wäre wegen der Ereignisse in Griechenland, aber erst in dieser Woche hat es der griechische Ministerpräsident Papandreou wirklich geschafft, seine EU-Kollegen in Angst und Schrecken zu versetzen. Und womit hat er das geschafft? Mit der Ankündigung einer Volksabstimmung in Griechenland soll die Bevölkerung entscheiden, ob es wirklich die von der EU geplante Euro- und Griechenlandrettung gibt, oder ob man die so gar nicht will. Angst und Schrecken hat das ausgelöst bei den Politikern, lustig gemacht haben sie sich auch über diese Entscheidung, und gestern Abend dann musste Papandreou in Südfrankreich erklären, was das soll und wurde ziemlich abgestraft.

Beschlossen wurde ja unter anderem auch, dass die nächsten acht Milliarden finanzielle Hilfe an Griechenland vorerst nicht ausgezahlt werden. Ist es eigentlich angemessen, sich so aufzuregen, wenn ein Politiker sagt, er möchte jetzt mal wissen, was das Volk denkt? Diese Frage habe ich gestern Abend Jorgo Chatzimarkakis gestellt, er sitzt für die FDP im Europäischen Parlament, und ich habe ihn eingangs gefragt, ob er denn eigentlich überhaupt versteht, warum viele seiner Politikerkollegen so heftig reagiert haben auf die Ankündigung der Volksabstimmung.

Jorgo Chatzimarkakis: Im Grunde hat Herr Papandreou ja das Selbstverständliche getan: Er hat eine Schicksalsfrage, die sein Volk betrifft, diesem Volke selber vorlegen wollen. Dafür erntet er jetzt von Demokraten Spott und Verachtung. Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir die Dimensionen beibehalten. Bisher haben die Griechen alles unterschrieben, was ihnen vorgelegt wurde, aber bisher haben sie nicht verhandelt, nicht wirklich verhandelt. Jetzt fangen sie an zu verhandeln - spät, aber meines Erachtens richtig so, denn wenn das Volk dafür ist, wird es aus dem Maßnahmenkatalog nicht raus können, und dann haben wir erst Stabilität in Europa, anders nicht.
Kassel: Nun hat aber schon ein Sprecher Papandreous in Griechenland gestern gesagt, die Volksabstimmung – es wird dann noch viel darüber diskutiert, dass sie, wenn, dann schnell stattfinden soll, dafür gibt es gute Gründe - die könne vielleicht sogar schon im Dezember stattfinden, weil - und das finde ich nun pikant - weil es in seinen Augen nicht notwendig sei, dass wirklich jeder im griechischen Volk ganz genau versteht, worum es geht. Ist das nicht ein bisschen eine gefährliche Einstellung?
Chatzimarkakis: Die Frage, die ist schon der zentrale Punkt dieses Referendums. Wenn Sie zur Abstimmung stellen, wollt ihr jetzt 20 Jahre lang Not leiden und ein Sparpaket durchleiden, dann wäre die Antwort natürlich nein. Aber Papandreou hat schon angedeutet, dass er die Frage sehr eng koppeln möchte mit der Schicksalsfrage Griechenlands in Europa. Wollen wir Griechen in Europa bleiben? Wenn ja, sind wir dann bereit, dieses schwere Maßnahmenpaket zu schultern? Das müssen die Griechen begreifen, dass, wenn sie dagegen stimmen, sich selber aus Europa herauskatapultieren. Da wird Papandreou jetzt bis Dezember die Zeit nutzen müssen, um den Menschen das klarzumachen, und ich bin relativ zuversichtlich, dass sie für dieses Paket trotzdem stimmen.
Kassel: Na ja, die jetzigen Umfragen sehen ja eigentlich nicht so aus. Und vor allen Dingen ist doch die Frage, ob nicht jemand, der am Ende darüber abstimmen muss - wenn auch nur unter anderem -, aber der doch unter anderem darüber abstimmen muss, ob er bereit ist, sich selber in Zukunft weiter einzuschränken und weitere Sparmaßnahmen über sich ergehen zu lassen, die weniger Geld für die gleiche Arbeit oder sogar einen Jobverlust bedeuten können, dass jemand, der darüber abstimmt, doch tendenziell sagt: Nein, das will ich nicht!
Chatzimarkakis: Deswegen sage ich ja noch mal, es kommt auf die Fragestellung an. Die Umfragen können nicht repräsentativ sein, weil es keine Umfragen zum Referendum gibt. Es gibt wohl Umfragen zur Annahme dieses Pakets, da sind die Leute natürlich dagegen, aber die Leute sind zu einer viel größeren Mehrheit für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone und für den Verbleib in der Europäischen Union. Insofern muss man jetzt den Prozess abwarten, und ich kann nur sagen, dass die Politiker in allen Ländern außerhalb Griechenlands aufgefordert sind, diesen Prozess, das Referendum zu gewinnen, zu unterstützen.
Kassel: Man hat natürlich als Außenstehender bei der Reaktion der Politiker das Gefühl: So, wie die reagieren, wissen die genau, dass das, was sie beschlossen haben, beim Volk vielleicht nicht besonders gut ankommt, denn die scheinen da richtig Angst davor zu haben, was das Volk am Ende sagt.

Chatzimarkakis: Ja, eben ein Vorwurf, den ich gerne jetzt mal hier deutlich machen möchte, ist - als jemand der Griechenland sehr gut kennt und Deutschland sehr gut kennt: Man hätte viel klarer, als sich über Schulden und Schuldenpakete zu unterhalten, sich mal anschauen müssen, was für eine Konsequenz hat eigentlich dieses Paket, dieses Griechenlandpaket, für den normalen Bürger. Und wenn ein Lehrer heute 650 Euro netto bei 40 Stunden Arbeit mit drei Kindern verdient, dann können Sie sich vorstellen, dass ein solches Paket eben nicht zehn Jahre halten kann, auch nicht 20 Jahre halten kann, und es wäre viel unsicherer, hätte Papandreou dieses Referendum nicht gemacht.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis über die anstehende Volksentscheidung in Griechenland, aber kann man denn das am Ende, wenn die nun durchgeführt wird, Herr Chatzimarkakis - egal, wie sie endet -, kann man es dabei belassen? Denn wenn die Griechen entscheiden dürfen, müssen das nicht alle anderen Völker auch dürfen? Müssten dann also nicht in Folge die Spanier, die Italiener, vielleicht auch die Franzosen darüber abstimmen, ob sie bereit sind zu sparen, um den Euro zu retten, und müssten dann irgendwann nicht auch die Deutschen, die Niederländer, die Finnen und andere Geberländer darüber abstimmen, ob da die Völker überhaupt bereit sind, diese Kredite zur Verfügung zu stellen?
Chatzimarkakis: Da muss jedes Mitgliedsland seinen Weg wählen. In Deutschland haben wir gute Gründe, warum Volksabstimmungen auf Bundesebene so gut wie gar nicht möglich sind und wir eine repräsentative Demokratie in der Bundesrepublik haben. Aber auch hier hat ja das Bundesverfassungsgericht, das Primat der Politik versucht wieder herzustellen, indem es dem Parlament, dem Deutschen Bundestag, mehr Rechte gegeben hat.

Deswegen haben wir vor Kurzem erlebt, dass der EU-Gipfel in zwei Teile geteilt wurde und Frau Merkel klugerweise das gesamte Plenum hinter sich gebracht hat, bevor sie nach Brüssel fuhr. Also auch in Deutschland gibt es einen eigenen Weg, in anderen Hauptstädten war man so ein bisschen erbost darüber, dass es einen zweiten Gipfel letzten Mittwoch geben musste, und deswegen wird es so bleiben, dass, solang wir souveräne Mitgliedsstaaten mit eigenen Verfassungen haben, dass wir verschiedene Wege haben, politische Entscheidungen durchzubringen.

Kassel: Haben Sie als Europaabgeordneter dann manchmal auch das Gefühl, sei es jetzt ganz konkret in Griechenland oder auch bei der Vorstellung, dass es ähnliche Abstimmungen woanders geben könnte, dass Sie da ein Stückchen Macht verlieren? Weil das ist, natürlich ein nationaler Vorgang, so eine Art von Volksabstimmung.
Chatzimarkakis: Ja, Ihre Feststellung ist völlig richtig. Es ist so, dass man dann auf Rechte verzichten muss, auch als Abgeordneter, aber der höchste Souverän in allen unseren Verfassungen ist nun mal das Volk, und die Griechen haben ihre Geschichte vielleicht ein bisschen bemüht und diesen obersten Souverän uns wieder in Erinnerung gebracht.
Kassel: Nun haben wir aber viel darüber geredet, dass die Wirtschafts-, Banken-, Finanz- und Schuldenkrise - wie auch immer Sie sie nennen wollen - auch zeigt: Europa braucht eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, und das bedeutet natürlich insgesamt auch eine gemeinsame Politik. Das kann natürlich nicht funktionieren, wenn dann in jedem Land noch auf nationaler Ebene Volksabstimmungen möglich sind oder gar wie jetzt in manchen Ländern ja, in manchen nicht. Was könnte da auf die Dauer die Lösung sein, eine einheitliche, vielleicht sogar vom Termin her am gleichen Tag stattfindende europäische Volksabstimmung in bestimmten Fragen?

Chatzimarkakis: Ja, das haben wir uns schon mal so überlegt, als es damals darum ging, die europäische Verfassung per Referendum abzustimmen. Das hätte man parallel machen können zur Europawahl in allen Ländern. Aber um ganz konkret auf Ihre Frage der Wirtschafts- und Finanzverfassung des künftigen Europas einzugehen: Es ist viel die Rede von der Fiskalunion in der letzten Zeit, also im Grunde der erweiterten Währungsunion, und das ist das, was jetzt kommen wird. Wir haben wahrscheinlich keine Wahl, drum herum zu kommen. Dann werden bestimmte Fragen, die jetzt notwendig sind - wollen wir ein Hilfsprogramm? Wollen wir keins? - die werden sich dann gar nicht stellen, weil wir dann in bestimmte Krisen gar nicht erst hineingeraten.

Die Bundesrepublik Deutschland würde ja auch nicht in eine Verfassungskrise verfallen, wenn das Saarland zahlungsunfähig wäre. Das liegt daran, dass wir eben eine gemeinsame Finanzpolitik in der Bundesrepublik mit einem Finanzminister haben. Entsprechend müssen wir dasselbe anstreben oder das gleiche anstreben auf europäischer Ebene.
Kassel: Es wird auf jeden Fall ein paar Wochen dauern, ehe es diese Volksbefragung in Griechenland gibt. Wie viele steht noch nicht ganz fest, aber wir werden eine Weile jetzt warten und nicht wissen, was passiert, auch mit der Euro-Rettung. Neben allen rationalen Überlegungen, haben Sie einfach auch ein bisschen Angst davor, dass diese Abstimmung am Ende die gesamte Eurorettung zum Scheitern bringen könnte?
Chatzimarkakis: Angst ist immer ein sehr schlechter Ratgeber, und als Politiker sollte man nicht Angst verbreiten. Ich bin zuversichtlich, dass es klappt, aber es kann auch in die Hose gehen. Wenn es in die Hose geht, gnade uns Gott, weil dann in der Tat Ansteckungsgefahr, insbesondere für andere südliche Staaten - Italien, Spanien - sich sofort ergibt, und wenn die Währungszone, wenn unsere Eurozone auseinanderbricht, dann hat das auch massive Auswirkungen für Deutschland. Wir werden kein Agrarstaat werden, aber wir werden doch einen Rückgang der Wachstumsraten, die wir jetzt haben, erleben.
Kassel: Starke Worte von Jorgo Chatzimarkakis, FDP-Europaabgeordneter. Das Gespräch mit ihm haben wir gestern Abend aufgezeichnet.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema