"Es ist sehr weit verbreitet"

Dina Michels im Gespräch mit Marietta Schwarz · 05.05.2011
Nach Ansicht von Dina Michels, Korruptionsbeauftragte der Krankenkasse KKH-Allianz, entsteht den gesetzlichen Krankenkassen durch strafbares Fehlverhalten im Gesundheitswesen jedes Jahr ein immenser Schaden.
Marietta Schwarz: Pharmafirmen werben gerne mal um das Wohlwollen von Ärzten mit Präsentkörben, Einladungen zu Privatreisen oder einem Honorar für eine Studie vielleicht gar keine richtige ist. Was sie erwarten, liegt auf der Hand: Die niedergelassenen Ärzte sollen ihre Produkte verschreiben und so den Absatz erhöhen. Natürlich passiert das, werden jetzt vielleicht viele denken, aber ist das auch schon Bestechung und somit strafbar? Der Bundesgerichtshof fällt dazu heute ein Grundsatzurteil. Hintergrund ist der Fall einer Firma, die Ärzten hochwertige Geräte in den Praxen überließ, wenn diese im Gegenzug ihren Patienten Produkte der Firma verordneten.

Den Krankenkassen entstehen so finanzielle Schäden, weshalb es dort auch Korruptionsbeauftragte gibt, die solche Fälle aufdecken, zum Beispiel Dina Michels, die jetzt am Telefon ist. Sie arbeitet für die gesetzliche Krankenkasse KKH Allianz. Guten Morgen, Frau Michels!

Dina Michels: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Frau Michels, Sie decken Betrugsfälle im Gesundheitssystem auf, Fälle, die Ihrer Krankenkasse schaden. Kann man denn den Schaden beziffern, der durch all zu enge Verbindungen zwischen Ärzten und Pharmaunternehmen läuft?

Michels: Die Schäden, die durch Betrug und Korruption im Gesundheitswesen entstehen, sind immens, haben aber natürlich eine sehr, sehr große Dunkelziffer. Transparency International hat ja hierzu durchaus auch Schätzungen veröffentlicht und geht davon aus, dass im Jahr ungefähr sechs bis 24 Milliarden Euro den gesetzlichen Krankenkassen durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen im Großen und Ganzen entstehen, und das ist doch eine ganz beträchtliche Summe.

Schwarz: Allerdings, eine Summe durch diese Geschäfte, diese grauen Geschäfte zwischen Ärzten und Pharmaunternehmen.

Michels: Nein, nicht alleine. Diese sechs bis 24 Milliarden beziehen sich auf die Gesamtschäden, da gehören alle Straftaten dazu: der ganz normale Betrug, Urkundenfälschungen, Untreue und natürlich auch die Korruption.

Schwarz: Wenn wir jetzt mal bei dem Thema Kassenärzte bleiben, was sind das für Fälle? Können Sie mal ein klassisches Beispiel nennen?

Michels: Ja, ein ganz klassisches Beispiel für einen Betrug ist die Abrechnung von Leistungen, die gar nicht erbracht wurden. Da könnte man sich zum Beispiel vorstellen, dass ein Arzt ein Rezept ausstellt und das einem mit ihm zusammenarbeitenden Apotheker gibt. Der Apotheker rechnet das mit der Krankenkasse ab, ohne jemals ein Arzneimittel an den Patienten oder an den Kunden herausgegeben zu haben. Und für solche Machenschaften werden natürlich gern etwas hochpreisigere Medikamente genommen, und das ist ein sehr lohnendes Geschäft und ein echter Klassiker.

Schwarz: Aber schiebt da nicht die strenge Budgetierung den Ärzten schon beim Verschreiben einen Riegel vor?

Michels: Also wie gesagt, diese Fälle kommen immer wieder vor. Ich gehe davon aus, dass es sich auf jeden Fall lohnt, dennoch.

Schwarz: Inwiefern schadet es denn Ihrer Kasse, wenn jetzt ein Arzt zum Beispiel ein Antibiotikum der Firma A und nicht der Firma B verschreibt – vielleicht ist das ja sogar billiger?

Michels: Also hier sind wir ja jetzt schon in dem Bereich Korruption, Abgrenzung Korruption/Betrug. Da muss man ganz genau hinsehen. Beim Betrug ist es ja erforderlich, dass ein Vermögensschaden entsteht, in diesem Fall den Krankenkassen. Dieser Sachverhalt, den Sie gerade geschildert haben, da geht es ja um Korruption, da brauchen wir keinen Vermögensschaden, da geht es um den Wettbewerb, der geschützt werden soll. Das heißt, im Bereich Korruption kann eine Verurteilung erfolgen, ohne dass irgendjemandem ein Schaden entstanden ist.

Schwarz: Wenn man an diese Geschäfte in diesen Arztpraxen denkt, dann kommen einem zuerst Medikamente in den Kopf. Sind es die Medikamente, mit denen Schindluder getrieben wird, graue Geschäfte, oder gibt es auch andere Bereiche?

Michels: Diese Bereiche sind ganz breit gefächert. Diese korruptiven Sachverhalte haben wir in allen Leistungsbereichen. Das können zum einen wirtschaftliche Vorteile für die Ärzte von Pharmaunternehmen sein dafür, dass sie bestimmte Produkte verschreiben, und wie gesagt, das ist ein Wettbewerb schützender Paragraf, der Korruptionsparagraf, und hierdurch wird ja der Wettbewerb geschädigt. Das heißt es geht den Unternehmen immer darum, ihre Produkte vor den Wettbewerbern in den Markt zu drücken. Wir haben dann diesen Sachverhalt, der ja heute vom BGH auch verkündet wird. Da geht es ja um ein Medizinprodukt, um Reizstromtherapiegeräte, Sie sagten es eingangs schon, die kostenlos zur Verfügung gestellt werden, und als Gegenleistung sollten die Ärzte diese verordnen und die Verordnung dann direkt dem Unternehmen zukommen lassen. Das ist ja das, was vorwerfbar ist, denn das darf der Arzt nicht, er muss das Rezept dem Patienten geben, und dieser soll sich dann einen Anbieter seiner Wahl suchen. Dadurch wird der Wettbewerb erheblich geschädigt. Und es fließen halt wirtschaftliche Vorteile, das ist hier dann auch geschehen bei diesem Urteil, das heute entschieden wird. Wir haben das aber natürlich auch im Bereich Hilfsmittel, mit Bandagen, Kompressionsstrümpfen, Schuheinlagen, Hörgeräte, im Bereich Heilmittel auch, auch dort werden Patienten zu bestimmten Anbietern gesteuert und erhalten dafür wiederum Geld oder irgendetwas anderes von dem Physiotherapeuten zum Beispiel. Also es ist sehr weit verbreitet.

Schwarz: Frau Michels, den Straftatbestand der Bestechlichkeit, den gab es bei Ärzten bisher nicht, da wurde Ende letzten Jahres zum ersten Mal ein Urteil besprochen. Warum ist da so lange nichts passiert?

Michels: Dieser Straftatbestand, das ist der § 299 Strafgesetzbuch, um den es nun heute auch bei dieser Verkündung gehen wird, den gibt es schon sehr lange. Er hat lange auch ein Mauerblümchendasein geführt und ist auf die niedergelassenen Ärzte nicht angewendet worden, weil bisher sowohl die wissenschaftliche Literatur als auch die Praxis davon ausgegangen ist, dass der sogenannte Beauftragtenbegriff auf den niedergelassenen Vertragsarzt nicht angewendet werden soll. Und zwar muss der Arzt Beauftragter der Krankenkasse sein oder man muss ihn als einen solchen ansehen, und daran hat es bisher immer gehapert. Und dieser Weg zum BGH, dass mal eine höchstrichterliche Entscheidung erreicht wird, das dauert natürlich immer sehr lange. Aber es ist auch sehr lange überhaupt nicht in das Bewusstsein aller Beteiligten gekommen, überhaupt diese Idee. Ich kann mich durchaus erinnern an meine Anfänge auf diesem Gebiet, dass häufig dieses Verhalten nur als Vertragsverstoß angesehen wurde. Das heißt, es wurden dann schon mal Gespräche geführt, auch Vertragsstrafen verhängt oder andere vertragliche Maßnahmen, aber es wurde überhaupt nicht daran gedacht, diese Sachverhalte mal strafrechtlich zu beurteilen und zu bewerten.

Schwarz: Wo liegen die Grenzen des Erlaubten?

Michels: Das ist sehr, sehr schwierig. Man sagt ja immer, alles, was sozial adäquat ist, ist noch möglich. Da eine genaue Wertgrenze festzulegen – vielleicht um die 30 Euro, das ist so eine Summe, die man immer mal wieder hört. Ich denke, noch besser ist es, wenn man diese sogenannte Null-Toleranz-Grenze einhält – das wäre das, wofür ich plädiere. Denn überhaupt diese Gedanken zu haben, was darf ich noch, was darf ich schon nicht mehr, da merkt man ja schon, dass man hier eben leicht mal in den Bereich des Illegalen gerät, und ja, wie gesagt, die Null-Toleranz-Grenze ist eigentlich immer der beste Weg.

Schwarz: Dina Michels, Korruptionsbeauftragte der gesetzlichen Krankenkasse KKH Allianz zum heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs über Bestechlichkeit von Ärzten. Frau Michels, vielen Dank für das Gespräch!

Michels: Gerne!