Es ist Krieg, Baby!

In seinem neuen Roman "Die Winter im Süden" erzählt Norbert Gstrein zum zweiten Mal vom Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Dieses Mal ist er Magnet für im Leben gestrandete Figuren. Das Buch schreckt ab durch seine Klischees vom Krieg und dem Pathos seiner leidenden Figuren. Es zieht an durch den Sog der Gstreinschen Sprache.
"It’s war, baby, it’s war", stellt Norbert Gstrein seinem neuen Roman "Die Winter im Süden" voran und führt uns wie schon in seinem letzten Buch "Das Handwerk des Tötens" hinein in den Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Dieses Mal ist er Magnet für im Leben gestrandete Figuren.

Da ist "der Alte", namenlos bis zum Schluss, ein kroatischer Nationalist und ehemaliger Ustascha-Kämpfer, der 1945 dem Rachefeldzug der Partisanen nur knapp entkommt und nach Argentinien flieht. Dort bringt er es zu einigem Wohlstand und arrangiert sich so gut mit der Junta, dass er seine erste argentinische Frau verschwinden lassen kann, als er die nächste will. Seit Jahrzehnten macht er Schießübungen im Keller seines Hauses und wartet auf sein kroatisches Comeback. Als der Krieg in seiner Heimat auszubrechen droht, sieht er revanchelüstern seine Chance kommen.

Und da ist seine in Wien lebende Tochter aus einer frühen, einer kroatischen Ehe, die er für tot erklärt hat und die ihren Vater seit 45 Jahren für tot hält. Als Krieg droht, zieht es auch sie – Spuren suchend oder einem vagen Solidaritätsgefühl folgend – nach Zagreb. Vor allem will sie wohl weg aus einer kränkelnden Ehe mit einem erfolgreichen Wiener Journalisten, einst Maoist, jetzt Opportunist, gesättigt und feige, der mal unter eigenem, mal unter fremdem Namen mal die eine, mal die andere Meinung publiziert. Marija durchschaut ihren Mann zwar und verabscheut ihn, braucht ihn aber und sehnt sich nach ihm. In Zagreb landet sie nicht bei ihrem Vater, der inzwischen auch dort eingetroffen ist, sondern im Bett eines sehr jungen, gewalttätigen Soldaten, der sie an ihren Vater erinnert.

It’s war, baby, it’s war. Wieder lässt Marija sich demütigen, gar vergewaltigen von einem Freund ihres Soldaten, weil sie nicht wagt, ihn abzuwehren, "nach allem, was er erlebt haben musste. Sie brauchte nur an die Szenen aus Vukovar zu denken..."

Natürlich ist das alles, wenn auch dieses Mal nur moderat, verschachtelt gebaut und erzählt. Wir lesen schließlich Gstrein, der die schlichte Erzählung nicht mag – oder nicht wagt? Sie ist immerhin die schwierigste Form.

Die fast ärgerlich ergebene Marija wird uns von einem allwissenden Erzähler geschildert. Ihren Vater erzählt uns Ludwig, ein ehemaliger Wiener Polizist, der einen Mann erschossen hat, vom Dienst suspendiert wurde und nun dem Alten dient, dessen Frau beschläft, beides nicht will und dennoch bleibt.

Ein verwirrendes Buch, weil es abschreckt und anzieht, weil man sich wehrt gegen die Klischees von Krieg und Sex und Gewalt, sich wehrt gegen das Pathos und sich den verzweigten Geschichten ergibt, den verzweifelten Figuren, die so desorientiert in der Weltgeschichte dümpeln wie in ihren Leben. Und weil man sich hingibt – wenn auch nicht durchgehend – dem Sog der Gstreinschen Sprache.

Und doch bleibt man enttäuscht zurück. Weil ausgerechnet der kluge Gstrein seine Geschichte einem schwachen Ende entgegenzuckeln lässt. Weil das Buch große Gemälde entwirft und doch oft über Schraffuren nicht hinauskommt. Was hätte aus dem Alten, diesem rohen, einsamen, sentimentalen Revanchisten, für eine Figur werden können. Wie hätte er sie alle in seinen bösen Bann ziehen können. Stattdessen endet er so kläglich wie das Buch, auf dessen letzten Seiten Marija und Gatte wieder vereint pseudophilosophisch plänkelnd den Krieg resümieren. Das hat der Roman nicht verdient.

Rezensiert von Gabriele v.Arnim

Norbert Gstrein: "Die Winter im Süden"
Roman, Hanser Verlag, München 2008, 284 Seiten, 19,90 Euro