"Es ist gut, durch das Leben zu lernen"

Constanza Macras im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 10.04.2011
Ihr Stücke sind oft schrill und exentrisch und fordern viel von den Tänzern. Die argentinische Choreografin Constanza Macras schont weder sich noch die Mitglieder ihrer Tanzkompanie "Dorky Park". Es gehe ihr vor allem darum, "die vierte Wand des Zuschauers wegzunehmen".
Vor zehn Jahren inszenierte die 1970 geborene Macras erstmals an der Berliner Schaubühne – jetzt probt sie an einem neuen Stück, das am kommenden Mittwoch (13.4.) Premiere hat: "Berlin Elsewhere" heißt es und befasst sich damit, wie Menschen ausgegrenzt oder diskriminiert werden. Immer schaut sie kritisch auf die Gesellschaft um sie herum und spiegelt, reflektiert mit ihren Tänzern, was sie sieht, erkundet soziale Milieus frei von jeder Harmonieseligkeit.

Susanne Burkhardt hat die Choreografin Constanza Macras während der Proben in Berlin getroffen und sie zuerst gefragt, ob sie sich daran erinnert, wann ihr klar war, dass sie Tänzerin werden will?

Susanne Burkhardt: Wann haben Sie das erste mal gedacht, dass Sie tanzen wollen?

Constanza Macras: Ich habe ganz früh mit 8 Jahren angefangen. Das ist kein gutes Alter so eine Entscheidung zu fällen. Ich habe klassischen Tanz gelernt – aber es war zu strikt für mich. Aber das war mir zu streng. Deshalb hab ich mit zehn Jahren aufgehört zu tanzen (lacht) und mit Hockey-Spielen begonnen. So bis zwölf. Zwei Jahre lang hab ich diesen sehr aggressiven Sport gemacht - dann fing ich wieder mit tanzen an und auch mit modernem Tanz.

Burkhardt: Als Sie 13 waren, schickten Ihre Eltern Sie zum Psychotherapeuten, weil Sie französisch und spanisch durcheinanderbrachten ...

Macras: Nein, nein, das war früher. Ich war Legasthenikerin. Mit sieben ging ich zum pädagogischen Therapeuten. Wegen meiner Lese-Rechtschreib-Schwäche. Das gibt es ganz oft bei Choreografen und Tänzern, dass sie Legastheniker sind. Vielleicht weil das eine Herausforderung ist, der sie sich stellen können. Das Problem ist, dass die Neuronen Botschaften anders transportieren. Aber das ist kein wirkliches Handicap. Man muss trainieren, dann kommt man damit klar – und ich spreche ja auch immerhin vier Sprachen ...

Burkhardt: Aber ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus. Es heißt, in Argentinien gehen viele sehr früh zu Psychotherapeuten?

Macras: Ja, Psychotherapie ist in Argentinien etwas ganz Alltägliches. Ich bin zur Psychotherapie gegangen, weil ich gern mit Psychologen reden. Von 14 bis 17 war ich regelmäßig da. Das macht jeder so. Jeder ist in Argentinien mit Psychoanalyse vertraut. Ich war nie davon abhängig – und treffe meine Entscheidungen ohne meinen Therapeuten – aber viele meiner argentinischen Freunden rufen erst ihren Therapeuten an und fragen, ob sie dieses oder jenes machen sollten.

Burkhardt: Ist das wirklich so?

Macras: Ja, bei vielen. Leider. Die Leute sind wirklich abhängig. Bei mir war das nie so. Aber ich genieße es, von Zeit zu Zeit mit meinem Therapeuten zu reden.

Burkhardt: Spielt dieses Sich-mit-sich-selbst-Beschäftigen eine wichtige Rolle für Ihre Arbeit?

Macras: Nein. Nicht in so einem psychotherapeutischen Sinn. Ich bin sehr interessiert an der Theorie von Jacques Lacan und schätze seine Ideen. Aber das benutzen wir nicht als Methode. Wir verwenden autobiografisches Material. Ich versuche an die Gefühle meiner Tänzer ranzukommen – ich will, dass sie sich völlig öffnen. Wir arbeiten mit diesen Gefühlen – mit Ärger – aber das geht meistens über Atemtechnik. Ich bringe die Tänzer auch zum Weinen. Ich berühre bestimmte energetische Punkte bei Ihnen, und sie lassen Ihre Gefühle raus. Das sieht man später nicht unbedingt im Stück – das ist eher für die Entwicklung wichtig und die Tänzer sind dazu bereit. Aber diesen psychologischen Teil der Arbeit – das brauchen sie nicht.

Burkhardt: Vor genau 10 Jahren haben sie das erste Mal an der Schaubühne inszeniert – zu sehen war Ihre erste Arbeit (eingeladen damals noch von Sasha Waltz) in der Herrentoilette ... neben der Herrentoilette haben Sie auch in einem Kaufhaus oder einer Bar aufgeführt – haben Sie eine Schwäche für ungewöhnliche Aufführungsorte?

Macras: Ja, die Sache mit der Herrentoilette ist die: ich habe vorher was in einer alten Fleischerei gemacht, da wurde kein Fleisch mehr verkauft, aber es sah noch so herrlich aus. Und dann habe ich diesen Bar-Gesangsabend gemacht, der sollte erst im Café der Schaubühne stattfinden, aber da gab es keine schöne Atmosphäre, da hab ich gesagt, Ich mach das in der Männertoilette – das ist ein ungewöhnlicher Ort – fast schon wie eine Bühne – also haben wir es da gemacht.

Auch in meinen anderen Arbeiten, den großen Bühnenstücken, geht es mir darum Wahrnehmung zu verändern. Die vierte Wand des Zuschauers wegzunehmen. Das war lange Teil meiner Arbeit: Auch im Theater sitzen die Leute dann nie so, dass alle auf die Bühne gucken, sondern die Bühne ist in der Mitte, und man sitzt sich gegenüber oder im Kreis, sodass sich alle sehen und jeder die Bühne anders sieht als der andere. Jetzt passiert sehr viel gleichzeitig auf der Bühne und du musst dich entscheiden, was du sehen willst. Oder so sehen niemals alle das gleiche Stück. Ich mag diese Herausforderung, wenn jeder entscheidet, was er sehen will.

Aber zur Zeit mit der Herrentoilette konnte ich mir gar kein Bühnenbild leisten (lacht) und es gibt so viele architektonisch reizvolle Orte in dieser Stadt, so voller Atmosphäre – wie das Kaufhaus, das war toll – das ich mir gesagt habe: Warum dann nicht an diese Orte gehen.

Und ich muss gestehen, ich vermisse es ein bisschen, an solchen Orten zu arbeiten. Aber es ist auch wirklich ein schwieriges Arbeiten dort. Die Böden sind sehr hart. Das ist für Tänzer eine große Herausforderung. Das können nur ganz junge Leute machen. Sobald sie über 25 sind, ist es zu schmerzhaft für sie. Also schütze ich sie davor ...

Aber im kommenden Jahr werde ich wieder was an einem besonderen Ort inszenieren – in Wales zwischen Wäldern und dem Strand – das ist wunderbar dort am Meer – da werde ich ein Stück machen.

Burkhardt: In "Megapolis" haben Sie sich schon einmal mit dem Leben in Großstädten befasst – mit Megacitys – jetzt in ihrer neuen Inszenierung "Berlin Elsewhere" für die Berliner Schaubühne – geht es um Bürgerrechte von Migranten. Ist das was, was Sie interessiert, weil Sie ja selber in Berlin leben seit 16 Jahren. Ist das ein Thema, was Sie immer wieder beschäftigt?
Macras: Na ja – ich hab Glück. Mein Großvater war Grieche. Deshalb habe ich einen griechischen Pass und bin EU-Bürgerin – solange die Griechen noch zu den Europäern gehören (lacht).

Nein, das Problem interessiert mich, weil ich umgeben bin von Migranten – ich habe mit Kindern in Neukölln gearbeitet, die ja bekanntlich einen schlechten Ruf haben, ich wohne in Kreuzberg, ich bin vertraut mit diesen Menschen, mich interessiert, ob die Kinder im Kindergarten meines Sohnes diskriminiert werden. Es sind viele Teile, die ein ganzes Bild ergeben. Viele meiner Tänzer sind Immigranten. Ich helfe ihnen immer mit dem ganzen Bürokratiekram. (lacht) Die haben diese schrecklichen Integrationskurse und ich vermute, die kennen die deutsche Bürokratie inzwischen besser als jeder Deutsche.

Im Stück kommt auch dieser Test vor, den man bestehen muss, wenn man einen Deutschen heiraten will. Und der ist so unglaublich blödsinnig. Und erinnert an Tests, die man machen muss, wenn es darum geht, ob man noch zurechnungsfähig ist oder entmündigt werden sollte. Da gibt es große Ähnlichkeiten in den Tests, ob du verrückt bist oder legal in Deutschland bleiben darfst. Und es existiert immer noch die Vorstellung, dass Verrücktsein, Armsein, Immigration oder Fremdsein irgendwie zusammengehören.

Burkhardt: Wenn Sie auf die vergangenen zehn Jahre zurückschauen, was sind die größten Veränderungen in Ihrer Arbeitsweise?

Macras: Dinge verändern sich ja. Und du selbst veränderst dich auch. Man wird älter, reifer. Beschäftigt sich mit anderen Dingen. Und auch die Leute um dich herum entwickeln sich. So wie sich die Tänzer verändern, verändern sie auch meine Arbeit. Jede Erfahrung spiegelt sich wider in dem, was ich mache.

Ich hab das Gefühl, meine Arbeit war früher explosiver und heftiger. Und humorvoller. Der Humor hat sich gewandelt. Meine Stücke sind jetzt nicht mehr so jugendlich – so voller Energie, physikalisch aggressiv, sondern erwachsener. Ich interessiere mich jetzt für andere Dinge. Es gibt immer noch kraftvolle Bewegungen, aber die sind jetzt komplexer und konzentrierter.

Früher ging es mir mehr um Liebe und Trennungen. Das interessiert mich jetzt gerade weniger. Mich interessiert jetzt stärker das Leben in der Großstadt, Themen wie Diskriminierung. Die Bewegungen haben sich verändert, die Art, wie wir mit Texten arbeiten – die Stücke sind nicht mehr so explosiv wie vorher – haben aber eine andere Tiefe. Und ich finde das gut.

Burkhardt: Wie wichtig ist Erfolg? Ist es eher eine Herausforderung oder etwas Beruhigendes?

Macras: Nein, es ist schrecklich, weil der Druck wächst! (lacht) Es beruhigt in der Zusammenarbeit mit deinen Leuten. Die vertrauen dir mehr, wenn du erfolgreich bist. Du kannst sagen: Hier schaut, ich mach was Gutes, ihr könnt mir vertrauen. Die sind dann natürlich offener, mit dir Dinge auszuprobieren. Aber für mich selbst, für die Präsentation meiner Arbeit wird es nicht leichter. Du hast immer mehr Druck dadurch.

Burkhardt: Als Sie 1997 ihr erstes Stück in Berlin zeigten, waren die Kritiker entsetzt – da stelzten Akteure mit Picknickkörben über die leere Bühne und suchten das Meer ... man regte sich auf, dass für so was Geld ausgegeben würde, eine Bühne die aussähe, als wäre Müll drüber gekippt ... Heute sind Sie weltweit gefragt - erstaunt Sie das manchmal?

Macras: Das Stück "Wild Switzerland" – war so eine Studie zu Zeit und Gefühl – und ich hatte keine Ahnung, wie es wirken könnte. Aber in dem Moment, als es entstanden ist, habe ich nicht anders gearbeitet, als ich es heute tun würde. Mit dem Wunsch nach Perfektion. Ich arbeite Hunderte Stunden – auch ohne Bezahlung. Ich überzeuge Leute, das gleiche zu tun. (lacht) Das hat sich nicht verändert. Ich bin froh, dass ich meine Arbeiten heute auf der ganzen Welt zeigen kann. Man kann das nie vorhersehen. Man wünscht es sich immer, dass es so sein würde. Aber es spielen so viele Faktoren eine Rolle.

Es ist großartig, wenn es gelingt, und ich bin sehr dankbar und glücklich darüber. Wenn du hart arbeitest, gibt es zumindest die Chance, dass du irgendwann Erfolg hast damit. In diesen kleinen Gruppen – auch beim Tanz – da sagen sich alle immer, wie toll sie sind und manchmal fehlt da auch ein bisschen die Härte und Strenge. Jemand, der sagt: "Du machst nichts Großartiges – sondern nur etwas, was kein Mensch versteht!" Man braucht jemanden, der einem das sagt!

Und man muss aushalten können, dass man lange Zeit kaum Geld verdient. Ich komme aus einem Land, in dem es keine öffentliche finanzielle Unterstützung für Kunst oder Kultur gibt. Ich kann kämpfen, bis ich was kriege. Es ist gut, durch das Leben zu lernen. Das ist eine Geschichte, die jeder für sich entwirft ...

Info:
Premiere von "Berlin Elsewhere" ist am Mittwoch, 13.4.2011, in der Berliner Schaubühne, weitere Vorstellungen: 15., 16. u. 17. April und dann wieder im Mai. Von der Premiere berichten wir am Mittwoch in unserer Sendung Fazit ab 23.05 Uhr!