"Es ist einfach Orientierungslosigkeit da"

Klaus Bötig im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 22.02.2012
Angesichts der Krise sieht Klaus Bötig Wut und Verzweiflung bei den Menschen überall in Griechenland. "Keiner weiß, wie kann es sich ändern", sagt der Reiseschriftsteller. Für eine Veränderung fehlten "integre Führungspersönlichkeiten".
Jan-Christoph Kitzler: Griechenland geht nicht pleite - vorerst zumindest. Die Finanzminister der Euro-Gruppe haben dem zweiten großen Hilfspaket zugestimmt. Bis zu 130 Milliarden Euro bekommen die Griechen, und auch die Banken wollen mitspielen und dem Land über 100 Milliarden Euro erlassen. Der griechische Regierungschef Loukas Papademos war ganz glücklich, er sprach von einem historischen Tag, sagte, er sei sehr glücklich. Aber das werden nicht alle seine Landsleute so sehen, denn das Rettungspaket ist erkauft mit einem gnadenlosen Sparkurs, mit Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, mit Renten- und Lohnkürzungen, wohlgemerkt bei gleich bleibenden Preisen. Wir haben in den letzten Monaten und Wochen oft nach Athen geblickt, heute wollen wir mal das ganze Land betrachten.

Ich bin verbunden mit dem Reiseschriftsteller Klaus Bötig, er ist viel in Griechenland unterwegs und auch Autor einschlägiger Reiseführer. Schönen guten Morgen nach Bremen!

Klaus Bötig: Ja, guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Wir haben ja viel aus Athen berichtet, ich habe es gesagt, über die Proteste, die Wut, die Verzweiflung der Menschen dort. Ist das denn repräsentativ für das ganze Land?

Bötig: Wut und Verzweiflung sind durchaus repräsentativ für das ganze Land. Demonstrationen, wie sie immer wieder über die Bildschirme flackern hier bei uns im Fernsehen, die finden allerdings nur in den großen Zentren statt, Athen, Saloniki, vielleicht noch Larissa und Patras und zunehmend jetzt auch in Heraklion, auf Kreta. Ansonsten hört man vereinzelte Demonstranten, so wie ich es neulich in Nauplia, Nafplio auf dem Peloponnes erlebt habe, da ging jemand mit einem Megafon über den Wochenmarkt und schrie "Nein zum deutschen Protektorat". Aber das sind Ausnahmefälle, ansonsten hält man sich in der Provinz nicht mit Demonstrationen auf, sondern bleibt zu Hause.

Kitzler: Sie waren ja viel auch eben, oder sind viel auch in der Provinz unterwegs. Gibt es denn da eigentlich einen großen Frust in Richtung Zentrale, in Richtung Athen?

Bötig: Ja, wenn Athen stellvertretend für Politik steht. Also, es geht nicht gegen die Stadt, es geht nicht gegen die Athener, aber es geht gegen die Politiker im Allgemeinen, gegen die politische Kaste. Und eben auch dagegen, wie sie den Staat verwaltet haben. Dabei muss man allerdings auch wissen, dass die Griechen es ja eigentlich über Jahrtausende hinweg und auch im letzten Jahrhundert noch als ehrenhaft empfunden haben, sich dem Staat zu verweigern, nicht für den Staat zu arbeiten, sondern eher gegen ihn. In der Zeit der osmanischen Herrschaft, die Jahrhunderte dauerte, war das lobenswert, während der deutschen Besatzungszeit, die grausam war, was es lobenswert, gegen die Regierenden zu arbeiten, und auch noch während der Militärdiktatur 1967 bis 1974 war es natürlich heldenhaft, gegen den Staat zu sein.

Und diese Haltung, die ist noch nicht ganz aus allen Griechen raus, und das ist sicher auch ein Grund der Misere. Die Griechen lieben Griechenland und ihre Nation, aber den Staat selbst erkennen sie noch nicht so recht meist als den ihren an. Und das zeigt sich jetzt in dieser Situation eben wieder ganz deutlich. Schuld an allem ist, wenn man nur in Griechenland bleibt, der Staat, nicht der einzelne Grieche.

Kitzler: Der Staat ist schuld, die Politik ist wahrscheinlich auch schuld. Fragt sich nur: Wer soll eigentlich gewählt werden bei den nächsten Wahlen? Was hören Sie, wenn Sie da mit den Leuten sprechen?

Bötig: Ja, also, die meisten, die ich spreche, sagen doch, sie wissen noch gar nicht, ob sie zur Wahl gehen. Umfragen zeigen, dass die linken Parteien eventuell bis zu 40 Prozent bekommen könnten, also, nicht die kommunistische Partei alleine, sondern in vielen kleinen linken Gruppierungen alle zusammen. Eine vernünftige Wahlprognose ist im Moment einfach noch nicht möglich. Es gibt eben auch sehr viele extreme Stimmen. Der auch bei uns ja sehr bekannte und beliebte Mikis Theodorakis hat gerade in einem Manifest vorgeschlagen, man möge sich von der Europäischen Union abwenden und sich den wahren Freunden Griechenlands zuwenden, nämlich Putins Russland. Und auch solche Ideen schwirren in den Köpfen überall rum. Es ist einfach Orientierungslosigkeit da, jeder weiß, es muss sich was ändern, aber keiner weiß, wie kann es sich ändern. Und vor allen Dingen, es fehlen die integren Führungspersönlichkeiten für eine Veränderung.

Kitzler: Es muss sich etwas verändern, aber hat die Krise nicht Griechenland schon maßgeblich, ganz grundlegend verändert?

Bötig: Es hat Griechenland oder die Griechen pessimistisch gestimmt. Die Griechen sind eigentlich ein sehr optimistisches Volk, aber jetzt sehen viele doch die Ausweglosigkeit. Eine Freundin von mir auf dem Peloponnes zum Beispiel, die vermietet zehn Bungalows. Sie hatte sonst um Weihnachten herum schon immer 30, 40 Anfragen aus Deutschland für Buchungen, in diesem Jahr sind es bisher insgesamt sechs. Sie hat für das ganze Jahr Buchungen für 10.000 Euro für ihre zehn Bungalows, davon kann sie natürlich nicht leben. Zumal, ihr Mann ist Mandarinenbauer, für Mandarinen bekommen die Bauern in Griechenland zurzeit 20 Cent pro Kilo.

Dafür können sie kaum die Pflücker bezahlen. Die Kinder, in die man so viel investiert hat, denen man Schule, Nachhilfeunterricht, Studium ermöglicht hat, finden oft keine Jobs mehr, über 40 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos, tragen sich mit Abwanderungsgedanken. Das ist das, was sich in Griechenland vor allen Dingen geändert hat. Es geht wirtschaftlich bergab und die Menschen verlieren doch langsam die Hoffnung, dass sich etwas schnell ändern könnte.

Kitzler: Großer Frust in Griechenland, nicht nur in Athen, sondern auch auf dem Land. Das war der Reiseschriftsteller und Griechenlandkenner Klaus Bötig, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Bötig: Herzlichen Dank auch, tschüss!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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