„Es ist eine Herausforderung, sich die Welt anzuschauen“
Erika und Klaus Därr sind Pioniere unter Deutschlands Globetrottern. Seit Mitte der 70er Jahre unterwegs, schrieben sie mit „TransSahara“ den ersten alternativen Reiseführer, der zum Bestseller wurde, gründeten einen Versand für Reiseausrüstung und umkurven derzeit mit einem Zehntonner die Welt.
Während des Studiums der Nachrichtentechnik an der TU München überführt Klaus Därr, um Geld zu verdienen, gebrauchte Paketbusse über Marokko und die damals spanische Westsahara in den Senegal. Zu dieser Zeit, Mitte der 70er Jahre, gibt es für Leute, die in Afrika oder Asien oder Amerika auf eigene Faust unterwegs sein wollen, weder Bücher noch Karten noch entsprechende Ausrüstung. Mit „TransSahara“ schreibt Klaus Därr einen der ersten alternativen Reiseführer, rund 30.000 Mal wurde er verkauft. Ein Buch, in dem stand, wo der Sprit wie viel kostet, welche Grenze offen ist, wo es einen vernünftigen Campingplatz gibt oder zumindest einen sicheren Platz für die Nacht. Alles sehr vergängliche Informationen, zu recherchieren ist mühsam und aufwändig, das Ganze kein Projekt für große Verlage. Aber das Interesse daran ist riesengroß, also gründen Erika und Klaus Därr im vierten Stock einer Münchener Untermietswohnung – einem Paar für die Zeit abgemietet, in der es selbst auf Weltreise war –, dort gründen sie ein Geschäft und von da aus verkaufen sie das Buch „TransSahara“ und alles, was man für solche Reisen braucht: Kanister, Sandbleche, Autoteile.
Nebenbei wird eine Familie gegründet, werden zwei Kinder geboren, Astrid und René. Ihre ersten Schritte macht die einjährige Astrid in Kairo während einer Reise mit den Eltern über den Sudan nach Kenia. Dem ersten Buch folgen sechs weitere, das Geschäft wird größer, bleibt aber dasselbe: Über extreme Reisen Bücher schreiben – zum Beispiel den Routenführer „Durch Afrika“ –, diese Bücher veröffentlichen und die Ausrüstung dafür anzubieten. Aus dem Geschäft im vierten Stock wird „Därrs Expeditionsservice“, der erste Globetrotter-Laden Deutschlands, zuletzt mit 30 Mitarbeitern. Irgendwann ist es genug – nicht mit dem Reisen, aber mit dem Geschäft. Die Därrs verkaufen und gehen am 14. Januar 2003 auf Weltreise. Mit einem Zehntonner über Frankreich, Spanien und Marokko nach Westafrika, den Kontinent durchqueren sie von West nach Ost, von Mali nach Äthiopien, dann weiter südwestlich bis Kapstadt, per Schiff nach Buenos Aires, über die Anden nach Ecuador, von da wieder südwärts bis nach Feuerland, von da nordöstlich die argentinische Küste hinauf, so wird Südamerika umrundet. Weiter nach Mittelamerika – in Mexiko zieht sich Erika Därr einen sehr komplizierten Knöchelbruch zu, die Därrs fliegen nach Deutschland und lernen dort das perfekte deutsche Gesundheitssystem zu schätzen. Der Zehntonner wartet in Mexiko, am 16. Juli soll es weitergehen mit der Weltreise.
Ulrike Timm: Mein Kollege Jürgen König über das Globetrotter-Ehepaar Erika und Klaus Därr. Und das Missgeschick, das Erika Därr ereilt hat, der verletzte Knöchel, das ist unsere Chance, denn zurzeit pausieren die beiden und sind uns aus einem Studio des Bayerischen Rundfunks in München zugeschaltet. Wie geht es Ihnen, Frau Därr? Was macht der Knöchel?
Erika Därr: Na ja, etwas besser. Ich muss wieder das Laufen lernen, es könnte noch etwas besser sein, aber es geht aufwärts.
Timm: Wenn alles nach Plan gegangen wäre, wo wären Sie dann jetzt?
E. Därr: Ich denke, in Nordkanada oder vielleicht auch schon in Alaska, jedenfalls war das unser Ziel, das im Frühsommer zu erreichen.
Timm: Sie haben schon so viel gesehen, beide zusammen, sind hunderttausende Kilometer auf fünf Kontinenten gereist. Warum fahren Sie eigentlich immer wieder los, Herr Därr?
Klaus Därr: Ja man kann sich natürlich immer die Frage stellen, ob es Leben nach dem Tod gibt. Aber man kann sich die Frage auch ersparen, wenn man nicht dafür gesorgt hat, dass vorher schon sich was rührt. Und wir wollen uns halt diese Erde ansehen.
Timm: Einen Schwerpunkt scheinen für Sie Wüsten zu sein. Sie haben mehrfach die Sahara durchquert. Ihre Tochter Astrid hatte als kleines Mädchen sozusagen die größte Sandkiste der Welt zum Spielen zur Verfügung. Was reizt Sie besonders an den Wüsten?
E. Därr: Man hat Platz, das ist schon mal das Schöne. Unendliche Weite, ein unendlicher Horizont, ein unendlicher Sternenhimmel. Nachts vor dem Lagerfeuer zu sitzen und in den Himmel zu gucken, ringsherum nichts, ist fantastisch. Und die Wüstenlandschaften, man hat den Überblick, man sieht Berge, man sieht Sanddünen, man sieht auch immer wieder Tiere in der Wüste. Es ist die Aufmerksamkeit gefordert, aber im Endeffekt sieht man mehr als im Urwald.
K. Därr: Es gibt meiner Meinung nach zwei Typen von Globetrottern: die einen, die sich für Naturphänomene interessieren – wie Wüste, wie Meer, wie Vulkane, wie Eiswüsten – und es gibt die anderen, die mehr sich für Menschen und von Menschen geschaffene Kulturgüter interessieren. Wir zählen wohl zu der ersten Spezies, die sich mehr für die Naturphänomene interessiert.
Timm: Was macht denn für Sie eine richtig gute Reise aus?
K. Därr: Die Länge. Und die Weite. Dass man eben wirklich die Gelegenheit hat und die Freiheit hat und auch die Gesundheit hat, sich möglichst große Teile dieser Erde anzusehen.
Timm: Sind Sie heute gelassener, großzügiger im täglichen Leben durch diese jahrelange Erfahrung des Reisens?
K. Därr: Also es war auch jetzt vor drei Monaten, als wir nach Deutschland zurückkamen, bemerkenswert, wie schnell man wieder in so eine schreckliche Hektik reinkommt. Ich muss rennen, damit ich die Parkuhr noch rechtzeitig nachfüttern kann, ich habe mit jemandem ausgemacht, dass ich dann und dann da bin, ich kriege einen Anruf – die Gelassenheit ist eigentlich schnell wieder weg.
Timm: Was für Menschen haben Sie unterwegs kennen gelernt? Ich nehme an, Sie waren ganz häufig angewiesen auch auf die Großherzigkeit ganz einfacher Menschen, wenn man mitten in Afrika wissen will: Wohin geht ein Weg, wie komme ich an Sprit, wie komme ich an Wasser? Wie haben Sie solche Situationen gelöst?
K. Därr: Also das ist sicher eine ganz essenzielle Erfahrung auf der Reise, dass Hilfe immer kommt. Sie kommt nicht von dem, dem man selbst mal geholfen hat, sondern es kommt von Menschen, die einen gar nicht kennen. Es war jetzt auch mit diesem schrecklichen Beinbruch bei meiner Frau so. Es passiert etwas Furchtbares und man stellt fest, man hat genau im richtigen Moment vorher Menschen kennen gelernt, die dann geholfen haben. Auch wenn sonst etwas passiert, es ist eine – wie ich vorhin schon gesagt habe – essenzielle Erfahrung, zu sehen, dass es immer irgendwie weitergeht.
Timm: Sie haben bestimmt beide hunderte, tausende von Erlebnissen. Trotzdem: Gibt es ein Bild, eine Schlüsselerfahrung, die für Ihre Lebensform des Reisens steht?
E. Därr: Ja ich würde sagen, das ist ausgehend eigentlich von unseren Wüstenerfahrungen das riesige Naturerlebnis, das wir dann eigentlich weiter verfolgen konnten, auch im südlichen und im östlichen Afrika, der Anblick der Gorillas sieben Meter vor einem, wenn man in Uganda oder in Ruanda auf Gorillatrecking geht, wenn in Simbabwe zum Beispiel, man steht am Flussufer des Karibasees, die Flusspferde direkt neben einem vorbeimarschieren oder ein Elefant, dann ist das, sind das Schlüsselerlebnisse, wo man sagt, man ist der Natur nahe. Oder in Mittelamerika direkt unterhalb eines Vulkans zu stehen und den nächtlichen Anblick zu haben in Costa Rica, wenn die Lavakugeln aus dem Schlund schießen und ein Leuchtfeuer verursachen. Das sind Erlebnisse, die man einem nicht wieder nehmen kann. Sicher sind natürlich auch Schlüsselerlebnisse wie in Venezuela, wenn man plötzlich abends an einem herrlichen Palmenstrand steht und dann stehen zwei Menschen mit, zwei junge Leute, Männer mit Pistolen vor einem und versuchen, einen auszurauben – sie haben Gott sei Dank nur das genommen, was sie unmittelbar griffbereit hatten, wie Uhren oder ein Werkzeugkasten. Aber das hängt sich natürlich auch ein bisschen ein.
Timm: Es gab sicher viele Situationen, die kommen uns Balkonbewohnern ziemlich brenzlig vor. Da schreiben Sie zum Beispiel auch von einer Brücke, die sieht schon aus, als ob sie kurz vor dem Zusammenkrachen wäre, und mich würde man da nur rüberkriegen, wenn 23 Krokodile gleichzeitig hinter mir her wären. Solche Situationen, gehören für Sie die einfach dazu?
K. Därr: Also, wir versuchen, diese Situationen nicht zu provozieren. Aber es lässt sich manchmal nicht vermeiden. Das sind natürlich auch immer so Sachen, die sich gut erzählen, aber die nicht der Alltag sind. Wir würden nicht weiterhin gerne jahrelang auf Reisen gehen, wenn solche Situationen wie der Einbruch in die Brücke, wenn dass da wirklich Alltag wäre.
Timm: Was ist ...
K. Därr: Aber es zeigt sich auch da wieder, dass es immer Möglichkeiten gibt, solche Situationen zu bewältigen.
Timm: Und was ist für Sie beide Gefahr?
K. Därr: Also es ist nicht so, dass wir nicht vor irgendwas Angst hätten, sondern wir erkundigen uns sehr genau. Wir haben Angst. Und in dem Maße, in dem wir uns erkundigen, können wir beurteilen, ob wir die Situation voraussichtlich bewältigen können oder nicht. Und daran entscheiden wir, ob wir eine bestimmte Strecke fahren oder nicht. Und wenn wir dann mal aber auf dem Weg sind, dann haben wir keine Angst mehr. Dennoch kann sich das Blatt wieder wenden – in der Situation oder auch an anderen Orten, zu anderen Zeiten, wo man mit einer Gefahr oder einem Risiko gar nicht gerechnet hat.
E. Därr: Ich sehe die Gefahr eher in den Städten, also weniger, sagen wir mal, von den Strecken oder von den Brücken. Das kann natürlich auch passieren. Aber in den Städten, die Kriminalität gerade in Südamerika, Mittelamerika oder auch Nairobi ist nicht zu verachten und wenn man auf Nummer Sicher gehen will, fährt man lieber im Auto mit heruntergedrückten Knöpfen, als sich wirklich in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Timm: Sie haben das ja beide immer wieder als Paar erlebt und waren immer aufeinander angewiesen. Wie hat Sie das verändert?
K. Därr: Ich weiß nicht, ob es uns wirklich verändert hat. Es gibt viele Menschen, die sich wundern, dass es gut geht. Und sagen wir mal, es geht natürlich auch nicht immer gut, aber es geht meistens gut. Und das Interessante hier war, dass je länger wir unterwegs waren, wir gemerkt haben, dass es eben funktioniert, so aufeinander angewiesen zu sein, und dass eigentlich der Wunsch kam, die Reise über die ursprünglich geplanten drei bis vier Jahre weiter zu verlängern auf fünf, sechs oder sieben Jahre.
Timm: Das Reisen selber hat sich ja auch sehr verändert. Mit „TransSahara“ haben Sie eine ganz neue Art von Reiseführer geschaffen. Heute gibt es meterweise alternative Reiseführer in den Buchläden und die so genannten Geheimtipps sind äußerst knapp – wo immer man hin will, kommt man an, waren schon mindestens drei Berliner da. Was ist denn aus dem alternativen Reisen an sich geworden?
E. Därr: Ja alternative Reisen in dem Sinne, wie es früher, in den 70er Jahren, war, gibt es nur noch bedingt. Das gibt es auch noch: Es gibt Rucksackreisende, es gibt Motorradreisende, es gibt Fahrradreisende, die man schon noch in dem Sinne des alternativen Reisens reinpacken könnte. Aber es ist nicht mehr so wie in den 70er Jahren: Möglichst billig möglichst weit zu kommen, möglichst, ja, fast umsonst zu reisen, also die Gastfreundschaft der Einheimischen auszunutzen. Das ist eigentlich vorbei. Jetzt versucht man, aus eigenen Mitteln sich eine Reise zu ersparen. Und mittlerweile ist es so, dass eher die älteren Reisenden unterwegs sind oder auf diese Art reisen – das heißt mit dem Campmobil, Fahrrad, Motorrad – und die jungen Leute oft aus dem Osten kommen, die einen gewissen Nachholbedarf haben, aus Ostdeutschland, und sich mit dem Motorrad aufmachen oder mit dem Fahrrad aufmachen und durch die Welt reisen.
Timm: Es gibt etwas, was viele Reisende wieder nach Hause treibt, nämlich das Heimweh. Kennen Sie das überhaupt?
E. Därr: Nicht so sehr, muss ich sagen. Eher das Heimweh nach den Kindern, dass man einfach sich freut, die Kinder wieder mal zu sehen, die Verwandtschaft, die Freunde. Oberbayern ist sicher schön im Sommer, aber direkt Heimweh jetzt nach Zuhause, vor allem weil wir ja auch unser Zuhause im Grunde genommen aufgelöst haben und uns nur noch ein kleines Appartement behalten haben, das gibt es eigentlich kaum.
Timm: Warum, meinen Sie, warum haben Menschen Heimweh?
K. Därr: Also ich glaube, dass sehr viel, die Menschen sehr, sehr stark durch Ängste gesteuert sind. Die Angst vor der Fremde, die Angst vor Krankheiten, die Angst vor Behörden, die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang. Das Zuhause stellt für sie familiär und finanziell und organisatorisch eine Sicherheit dar. Wenn, in dem Maße, in dem die Menschen gelernt haben, sich auch anders zu organisieren, wird die Angst weniger und vielleicht auch das Bedürfnis nach Heimat weniger.
Timm: Dann drehe ich es noch mal weiter: Warum haben Menschen Fernweh?
K. Därr: Ja, da – warum gehen die Menschen auf die Berge? Die Berge sind da und es ist eine Herausforderung. Und die Welt ist da und es ist eine Herausforderung, sich die anzuschauen.
Timm: Erika und Klaus Därr, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch. Ich wünsche Ihnen, dass Sie gesund werden und gesund bleiben vor allen Dingen und dass Sie uns irgendwann eine Postkarte schreiben aus Alaska.
K. Därr: Vielen Dank.
E. Därr: Danke.
Nebenbei wird eine Familie gegründet, werden zwei Kinder geboren, Astrid und René. Ihre ersten Schritte macht die einjährige Astrid in Kairo während einer Reise mit den Eltern über den Sudan nach Kenia. Dem ersten Buch folgen sechs weitere, das Geschäft wird größer, bleibt aber dasselbe: Über extreme Reisen Bücher schreiben – zum Beispiel den Routenführer „Durch Afrika“ –, diese Bücher veröffentlichen und die Ausrüstung dafür anzubieten. Aus dem Geschäft im vierten Stock wird „Därrs Expeditionsservice“, der erste Globetrotter-Laden Deutschlands, zuletzt mit 30 Mitarbeitern. Irgendwann ist es genug – nicht mit dem Reisen, aber mit dem Geschäft. Die Därrs verkaufen und gehen am 14. Januar 2003 auf Weltreise. Mit einem Zehntonner über Frankreich, Spanien und Marokko nach Westafrika, den Kontinent durchqueren sie von West nach Ost, von Mali nach Äthiopien, dann weiter südwestlich bis Kapstadt, per Schiff nach Buenos Aires, über die Anden nach Ecuador, von da wieder südwärts bis nach Feuerland, von da nordöstlich die argentinische Küste hinauf, so wird Südamerika umrundet. Weiter nach Mittelamerika – in Mexiko zieht sich Erika Därr einen sehr komplizierten Knöchelbruch zu, die Därrs fliegen nach Deutschland und lernen dort das perfekte deutsche Gesundheitssystem zu schätzen. Der Zehntonner wartet in Mexiko, am 16. Juli soll es weitergehen mit der Weltreise.
Ulrike Timm: Mein Kollege Jürgen König über das Globetrotter-Ehepaar Erika und Klaus Därr. Und das Missgeschick, das Erika Därr ereilt hat, der verletzte Knöchel, das ist unsere Chance, denn zurzeit pausieren die beiden und sind uns aus einem Studio des Bayerischen Rundfunks in München zugeschaltet. Wie geht es Ihnen, Frau Därr? Was macht der Knöchel?
Erika Därr: Na ja, etwas besser. Ich muss wieder das Laufen lernen, es könnte noch etwas besser sein, aber es geht aufwärts.
Timm: Wenn alles nach Plan gegangen wäre, wo wären Sie dann jetzt?
E. Därr: Ich denke, in Nordkanada oder vielleicht auch schon in Alaska, jedenfalls war das unser Ziel, das im Frühsommer zu erreichen.
Timm: Sie haben schon so viel gesehen, beide zusammen, sind hunderttausende Kilometer auf fünf Kontinenten gereist. Warum fahren Sie eigentlich immer wieder los, Herr Därr?
Klaus Därr: Ja man kann sich natürlich immer die Frage stellen, ob es Leben nach dem Tod gibt. Aber man kann sich die Frage auch ersparen, wenn man nicht dafür gesorgt hat, dass vorher schon sich was rührt. Und wir wollen uns halt diese Erde ansehen.
Timm: Einen Schwerpunkt scheinen für Sie Wüsten zu sein. Sie haben mehrfach die Sahara durchquert. Ihre Tochter Astrid hatte als kleines Mädchen sozusagen die größte Sandkiste der Welt zum Spielen zur Verfügung. Was reizt Sie besonders an den Wüsten?
E. Därr: Man hat Platz, das ist schon mal das Schöne. Unendliche Weite, ein unendlicher Horizont, ein unendlicher Sternenhimmel. Nachts vor dem Lagerfeuer zu sitzen und in den Himmel zu gucken, ringsherum nichts, ist fantastisch. Und die Wüstenlandschaften, man hat den Überblick, man sieht Berge, man sieht Sanddünen, man sieht auch immer wieder Tiere in der Wüste. Es ist die Aufmerksamkeit gefordert, aber im Endeffekt sieht man mehr als im Urwald.
K. Därr: Es gibt meiner Meinung nach zwei Typen von Globetrottern: die einen, die sich für Naturphänomene interessieren – wie Wüste, wie Meer, wie Vulkane, wie Eiswüsten – und es gibt die anderen, die mehr sich für Menschen und von Menschen geschaffene Kulturgüter interessieren. Wir zählen wohl zu der ersten Spezies, die sich mehr für die Naturphänomene interessiert.
Timm: Was macht denn für Sie eine richtig gute Reise aus?
K. Därr: Die Länge. Und die Weite. Dass man eben wirklich die Gelegenheit hat und die Freiheit hat und auch die Gesundheit hat, sich möglichst große Teile dieser Erde anzusehen.
Timm: Sind Sie heute gelassener, großzügiger im täglichen Leben durch diese jahrelange Erfahrung des Reisens?
K. Därr: Also es war auch jetzt vor drei Monaten, als wir nach Deutschland zurückkamen, bemerkenswert, wie schnell man wieder in so eine schreckliche Hektik reinkommt. Ich muss rennen, damit ich die Parkuhr noch rechtzeitig nachfüttern kann, ich habe mit jemandem ausgemacht, dass ich dann und dann da bin, ich kriege einen Anruf – die Gelassenheit ist eigentlich schnell wieder weg.
Timm: Was für Menschen haben Sie unterwegs kennen gelernt? Ich nehme an, Sie waren ganz häufig angewiesen auch auf die Großherzigkeit ganz einfacher Menschen, wenn man mitten in Afrika wissen will: Wohin geht ein Weg, wie komme ich an Sprit, wie komme ich an Wasser? Wie haben Sie solche Situationen gelöst?
K. Därr: Also das ist sicher eine ganz essenzielle Erfahrung auf der Reise, dass Hilfe immer kommt. Sie kommt nicht von dem, dem man selbst mal geholfen hat, sondern es kommt von Menschen, die einen gar nicht kennen. Es war jetzt auch mit diesem schrecklichen Beinbruch bei meiner Frau so. Es passiert etwas Furchtbares und man stellt fest, man hat genau im richtigen Moment vorher Menschen kennen gelernt, die dann geholfen haben. Auch wenn sonst etwas passiert, es ist eine – wie ich vorhin schon gesagt habe – essenzielle Erfahrung, zu sehen, dass es immer irgendwie weitergeht.
Timm: Sie haben bestimmt beide hunderte, tausende von Erlebnissen. Trotzdem: Gibt es ein Bild, eine Schlüsselerfahrung, die für Ihre Lebensform des Reisens steht?
E. Därr: Ja ich würde sagen, das ist ausgehend eigentlich von unseren Wüstenerfahrungen das riesige Naturerlebnis, das wir dann eigentlich weiter verfolgen konnten, auch im südlichen und im östlichen Afrika, der Anblick der Gorillas sieben Meter vor einem, wenn man in Uganda oder in Ruanda auf Gorillatrecking geht, wenn in Simbabwe zum Beispiel, man steht am Flussufer des Karibasees, die Flusspferde direkt neben einem vorbeimarschieren oder ein Elefant, dann ist das, sind das Schlüsselerlebnisse, wo man sagt, man ist der Natur nahe. Oder in Mittelamerika direkt unterhalb eines Vulkans zu stehen und den nächtlichen Anblick zu haben in Costa Rica, wenn die Lavakugeln aus dem Schlund schießen und ein Leuchtfeuer verursachen. Das sind Erlebnisse, die man einem nicht wieder nehmen kann. Sicher sind natürlich auch Schlüsselerlebnisse wie in Venezuela, wenn man plötzlich abends an einem herrlichen Palmenstrand steht und dann stehen zwei Menschen mit, zwei junge Leute, Männer mit Pistolen vor einem und versuchen, einen auszurauben – sie haben Gott sei Dank nur das genommen, was sie unmittelbar griffbereit hatten, wie Uhren oder ein Werkzeugkasten. Aber das hängt sich natürlich auch ein bisschen ein.
Timm: Es gab sicher viele Situationen, die kommen uns Balkonbewohnern ziemlich brenzlig vor. Da schreiben Sie zum Beispiel auch von einer Brücke, die sieht schon aus, als ob sie kurz vor dem Zusammenkrachen wäre, und mich würde man da nur rüberkriegen, wenn 23 Krokodile gleichzeitig hinter mir her wären. Solche Situationen, gehören für Sie die einfach dazu?
K. Därr: Also, wir versuchen, diese Situationen nicht zu provozieren. Aber es lässt sich manchmal nicht vermeiden. Das sind natürlich auch immer so Sachen, die sich gut erzählen, aber die nicht der Alltag sind. Wir würden nicht weiterhin gerne jahrelang auf Reisen gehen, wenn solche Situationen wie der Einbruch in die Brücke, wenn dass da wirklich Alltag wäre.
Timm: Was ist ...
K. Därr: Aber es zeigt sich auch da wieder, dass es immer Möglichkeiten gibt, solche Situationen zu bewältigen.
Timm: Und was ist für Sie beide Gefahr?
K. Därr: Also es ist nicht so, dass wir nicht vor irgendwas Angst hätten, sondern wir erkundigen uns sehr genau. Wir haben Angst. Und in dem Maße, in dem wir uns erkundigen, können wir beurteilen, ob wir die Situation voraussichtlich bewältigen können oder nicht. Und daran entscheiden wir, ob wir eine bestimmte Strecke fahren oder nicht. Und wenn wir dann mal aber auf dem Weg sind, dann haben wir keine Angst mehr. Dennoch kann sich das Blatt wieder wenden – in der Situation oder auch an anderen Orten, zu anderen Zeiten, wo man mit einer Gefahr oder einem Risiko gar nicht gerechnet hat.
E. Därr: Ich sehe die Gefahr eher in den Städten, also weniger, sagen wir mal, von den Strecken oder von den Brücken. Das kann natürlich auch passieren. Aber in den Städten, die Kriminalität gerade in Südamerika, Mittelamerika oder auch Nairobi ist nicht zu verachten und wenn man auf Nummer Sicher gehen will, fährt man lieber im Auto mit heruntergedrückten Knöpfen, als sich wirklich in der Öffentlichkeit zu bewegen.
Timm: Sie haben das ja beide immer wieder als Paar erlebt und waren immer aufeinander angewiesen. Wie hat Sie das verändert?
K. Därr: Ich weiß nicht, ob es uns wirklich verändert hat. Es gibt viele Menschen, die sich wundern, dass es gut geht. Und sagen wir mal, es geht natürlich auch nicht immer gut, aber es geht meistens gut. Und das Interessante hier war, dass je länger wir unterwegs waren, wir gemerkt haben, dass es eben funktioniert, so aufeinander angewiesen zu sein, und dass eigentlich der Wunsch kam, die Reise über die ursprünglich geplanten drei bis vier Jahre weiter zu verlängern auf fünf, sechs oder sieben Jahre.
Timm: Das Reisen selber hat sich ja auch sehr verändert. Mit „TransSahara“ haben Sie eine ganz neue Art von Reiseführer geschaffen. Heute gibt es meterweise alternative Reiseführer in den Buchläden und die so genannten Geheimtipps sind äußerst knapp – wo immer man hin will, kommt man an, waren schon mindestens drei Berliner da. Was ist denn aus dem alternativen Reisen an sich geworden?
E. Därr: Ja alternative Reisen in dem Sinne, wie es früher, in den 70er Jahren, war, gibt es nur noch bedingt. Das gibt es auch noch: Es gibt Rucksackreisende, es gibt Motorradreisende, es gibt Fahrradreisende, die man schon noch in dem Sinne des alternativen Reisens reinpacken könnte. Aber es ist nicht mehr so wie in den 70er Jahren: Möglichst billig möglichst weit zu kommen, möglichst, ja, fast umsonst zu reisen, also die Gastfreundschaft der Einheimischen auszunutzen. Das ist eigentlich vorbei. Jetzt versucht man, aus eigenen Mitteln sich eine Reise zu ersparen. Und mittlerweile ist es so, dass eher die älteren Reisenden unterwegs sind oder auf diese Art reisen – das heißt mit dem Campmobil, Fahrrad, Motorrad – und die jungen Leute oft aus dem Osten kommen, die einen gewissen Nachholbedarf haben, aus Ostdeutschland, und sich mit dem Motorrad aufmachen oder mit dem Fahrrad aufmachen und durch die Welt reisen.
Timm: Es gibt etwas, was viele Reisende wieder nach Hause treibt, nämlich das Heimweh. Kennen Sie das überhaupt?
E. Därr: Nicht so sehr, muss ich sagen. Eher das Heimweh nach den Kindern, dass man einfach sich freut, die Kinder wieder mal zu sehen, die Verwandtschaft, die Freunde. Oberbayern ist sicher schön im Sommer, aber direkt Heimweh jetzt nach Zuhause, vor allem weil wir ja auch unser Zuhause im Grunde genommen aufgelöst haben und uns nur noch ein kleines Appartement behalten haben, das gibt es eigentlich kaum.
Timm: Warum, meinen Sie, warum haben Menschen Heimweh?
K. Därr: Also ich glaube, dass sehr viel, die Menschen sehr, sehr stark durch Ängste gesteuert sind. Die Angst vor der Fremde, die Angst vor Krankheiten, die Angst vor Behörden, die Angst vor dem wirtschaftlichen Niedergang. Das Zuhause stellt für sie familiär und finanziell und organisatorisch eine Sicherheit dar. Wenn, in dem Maße, in dem die Menschen gelernt haben, sich auch anders zu organisieren, wird die Angst weniger und vielleicht auch das Bedürfnis nach Heimat weniger.
Timm: Dann drehe ich es noch mal weiter: Warum haben Menschen Fernweh?
K. Därr: Ja, da – warum gehen die Menschen auf die Berge? Die Berge sind da und es ist eine Herausforderung. Und die Welt ist da und es ist eine Herausforderung, sich die anzuschauen.
Timm: Erika und Klaus Därr, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch. Ich wünsche Ihnen, dass Sie gesund werden und gesund bleiben vor allen Dingen und dass Sie uns irgendwann eine Postkarte schreiben aus Alaska.
K. Därr: Vielen Dank.
E. Därr: Danke.