"Es ist eindeutig als Provokation gedacht"

Eva Steffen im Gespräch mit Jürgen König · 19.01.2010
Die Autorin Eva Steffen blickt in ihrem neuen Buch mit einem Augenzwinkern auf das Leben von Deutschen in Österreich, stellt aber auch fest: "Viele haben überhaupt kein Interesse und keine Lust, sich zu integrieren."
Jürgen König: Aus der Schweiz hört man in letzter Zeit immer wieder, wie sich der Volkszorn gegen die vielen deutschen Arbeitsemigranten richtet. In unserem anderen sprachverwandten Nachbarland, Österreich, scheint es dagegen eher ruhig zuzugehen.

Aber auch in Österreich haben es Deutsche nicht immer einfach, auch hier gibt es Vorbehalte, komplexe Ressentiments. "Wir sind gekommen, um zu bleiben. Deutsche in Österreich" heißt das Buch, das Eva Steffen jetzt herausgegeben hat. Mit ihr spreche ich gleich.

König: "Wir sind gekommen, um zu bleiben. Deutsche in Österreich", so heißt ein neues Buch des Czernin-Verlages, herausgegeben von Eva Steffen. Die wurde in München geboren, wuchs dort auch auf, lebt seit vier Jahren in Wien, sitzt dort jetzt in einem Studio des ORF. Guten Tag, Frau Steffen!

Eva Steffen: Ich grüße Sie, Herr König!

König: Sind Sie auch nach Wien gekommen, um zu bleiben?

Steffen: Ich denke schon, sonst hätte ich vielleicht das Buch nicht so genannt oder gemacht. Ich denke mittlerweile, ich werde hier bleiben, ja.

König: Der Titel klingt wie eine Drohung. Wird das von Österreichern so empfunden, dass alle Deutschen, die nach Wien oder überhaupt nach Österreich kommen, bleiben wollen?

Steffen: Es ist eindeutig als Provokation gedacht, und ich denke, dass es für viele Österreicher als Drohung empfunden wird, ja.

König: In Ihrem Buch beschreiben Deutsche, die in Österreich leben oder auch Österreicher, die in Deutschland leben, ihre Erfahrung und Leidensgeschichten. Das sind kurze Essays von 28 Autoren, unter anderem von Peter Blau, Georg Brockmeyer, Brigitte Fassbender, Eva Menasse, Peter Roos, Tex Rubinowitz, Konstanze Schäfer, Christopher Wurmdubler, Thomas Askan Vierich.

Nun macht man sich ja gerade in Österreich immer wieder über den deutschen Impuls zur Ernsthaftigkeit lustig. Daher die Frage vorneweg: Wie ernst sind diese Leidensgeschichten zu nehmen?

Steffen: Die Geschichten im Buch sind sehr unterschiedlich ernst, die meisten sind allerdings schon mit einem leichten Augenzwinkern erzählt. Viele erzählen aus ihrem Leben, allerdings immer anhand eines bestimmten Themas. Also da werden Themen aufgearbeitet wie die Sprache, wie die Klassengesellschaft, wie das Essen oder der Fußball.

König: Können Sie gleich mal ein Beispiel erzählen?

Steffen: Zum Beispiel schreibt eine Psychologin über das Thema Klassengesellschaft, also sie vergleicht sozusagen den österreichischen Staat, zumindest in Teilen, mit dem indischen Kastensystem, was einige Österreicher fürchterlich empört hat, was ich gar nicht so unpassend finde, weil es hier eine viel größere Bedeutung hat als in Deutschland, in welche Familie man hineingeboren wird. Und nachdem der Adel eigentlich abgeschafft wurde in Österreich, aber nirgends mehr existiert als hier, finde ich eben diesen Vergleich nicht unpassend.

König: Diese Mentalitätsunterschiede werden ja oft zitiert, beschworen, und ich weiß immer nicht, ob die Stimmen, also die Deutschen preußisch, protestantisch, ordentlich, fleißig, die Österreicher dagegen katholisch, chaotisch, ein bisschen faul - ist das wirklich so zählebig oder sind das nicht auch alte Klamotten?

Steffen: Na ja, beides irgendwie. Das Schlimmste, was man hier tun kann, ist sich aufzuregen über die Österreicher und darüber, dass sie irgendwie faul sind oder dass man nicht schnell genug eine Antwort bekommt. Auf der anderen Seite, wenn man das nicht macht, dann bekommt man es von den Österreichern selbst.

Also es ist nicht nur in einer Geschichte in dem Buch die Rede davon, dass jemand eingestellt wurde gerade deswegen, weil er Deutscher oder weil sie Deutsche ist, weil die Arbeitgeber sich einfach erwartet haben, na ja, die sind ja doch ein bisschen fleißiger und ein bisschen pünktlicher und ein bisschen zuverlässiger.

König: Aber sind das jetzt so kleine Nicklichkeiten oder kann man da schon von einem Kulturkonflikt sprechen? Ich meine, in Deutschland gibt es keinen Kulturkonflikt zwischen Deutschen und Österreichern in der Debatte. Erregt das in Österreich dagegen die Gemüter schon?

Steffen: Ja, durchaus, wobei es immer mit einem leichten Augenzwinkern ist. Also es ist nicht so, dass es hier wirklich zu Konfrontationen kommt, und es ist wie in jeder Debatte immer ein Stückchen Wahrheit dabei und ein bisschen natürlich dann das Ganze etwas überzogen und etwas übertrieben dargestellt.

Und ich denke, gerade bei dem Fleiß, ein bisschen was Wahres ist dran. Und wie alles hat das dann eben zwei Seiten: Auf der einen Seite ist es manchmal von Vorteil, was manche Arbeitgeber auch für sich erkannt haben, auf der anderen Seite ist es natürlich oft wahnsinnig anstrengend, wenn jemand Deutsches daherkommt mit seinem Aktionismus und sofort alles machen möchte – das ist auch nicht immer das Beste. Und dann regen sich die Österreicher natürlich auch gerne auf.

König: Wenn die Deutschen ihr Ding durchziehen, ja?

Steffen: Genau, genau. Und das machen sie sicher eh. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass wie überall irgendwo in der Mitte die Wahrheit liegt. Also ich habe hier in vielen Bereichen erst gelernt, ein bisschen abzuwarten, ein bisschen weniger schnell zu sein, um zu sehen, dass man dadurch auch effektiver sein kann.

König: Bei einem Thema kann ich mir eine österreichische Erregung sofort vorstellen: Studienplatzmangel, die hohe Zahl deutscher Studenten zum Beispiel in Wien. Führt das zu wirklichem Volkszorn oder wird das letztendlich auch augenzwinkernd abgetan?

Steffen: Also ich denke, das Thema der Medizinstudenten ist eins der wenigen, wo es wirklich zu Konfrontationen kommt und wo man auch, wenn man im Alltag mit jemandem spricht, den das Thema Deutsche wenig interessiert, sonst richtig zornig werden kann und sagt, ja, die nehmen uns doch alle die Plätze weg, und überhaupt nicht genau wissen, wie das Ganze zustande gekommen ist und was die Hintergründe dessen sind.

Also Fakt ist, dass die Medizinstudenten früher hier nur einen Zugang hatten zu den Plätzen, wenn sie in Deutschland theoretisch einen Studienplatz bekommen hätten, also es gab keine Numerus-Clausus-Flüchtlinge, und mittlerweile ist es so, dass es eine Quotenregelung gibt, also 75 Prozent der Studienplätze sind für Österreicher reserviert und 20 für EU-Bürger.

Also das sieht die EU zwar immer noch nicht so gerne, weil sie sagen, es ist keine Gleichberechtigung in dem Sinn, weil bei den Zugangstests eigentlich rein prozentual viel mehr Deutsche zugelassen werden würden. Also so viel wieder zum deutschen Fleiß.

König: Ich glaube, dass viele sich schwer vorstellen können, Deutsche als Immigranten in einem Land wie Österreich. Haben die Deutschen, die ja auch keine homogene Gruppe darstellen, haben – sei es drum – die Deutschen dann auch das Bewusstsein, in Österreich sich integrieren zu müssen?

Steffen: Ganz unterschiedlich. Also ich denke, viele haben überhaupt kein Interesse und keine Lust, sich zu integrieren. Da gibt es dann so Internetforen von Deutschen in Österreich und da wird über die Sprache diskutiert und was heißt denn bitte Blunzen und was heißen denn Fisolen, da geht es recht lustig zu.

Und andere wieder, die hier ihr Ding durchziehen oder die auch wirklich nicht gekommen sind, um zu bleiben, und die kleinen Widrigkeiten im Alltag, die eigentlich hauptsächlich in der Sprache liegen, in Kauf nehmen und wissen, ja, ich möchte mich jetzt gar nicht groß mit der österreichischen Kultur auseinandersetzen.

König: Was heißt denn Blunzen?

Steffen: Blunzen sind Blutwürste.

König: Aha, und was sind Fisolen?

Steffen: Fisolen sind Bohnen. Das sind so Dinge, die man noch lernt und die quasi Wörter sind, die einfach sind. Es wird dann gemein bei Kleinigkeiten wie, in Deutschland sagt man die Cola, in Österreich sagt man das Cola, also das sind dann so … Wenn man gemeint hat, man hat schon viele Wörter gelernt, dann scheitert man an so Kleinigkeiten trotzdem noch.

König: Über den schönen Satz von Karl Kraus, oder er wird ihm zugeschrieben jedenfalls: "Was Deutschland und Österreich trennt, ist die gemeinsame Sprache." Dieser Satz gilt also noch?

Steffen: Gilt auf jeden Fall, und das habe ich auch bei meinem Buch gesehen. Es konnten die Themen frei gewählt werden, aber ganz viele wollten das Thema Sprache, und auch, wenn es nicht von vielen dann gewählt wurde, es kommt doch in fast jeder Geschichte immer wieder zu dem Thema Sprache und immer wieder zu den Geschichten, wie sie am Anfang an der Sprache gescheitert sind.

König: Welche Reaktionen auf Ihr Buch haben Sie erlebt?

Steffen: Hauptsächlich positive, also von deutscher Seite sowieso. Da war es schon beim Machen des Buches ganz erstaunlich: Ich habe einige Autoren angefragt, und es kamen fast von allen Zusagen. Da war immer so: Ja, sofort, mache ich mit, oder auf jeden Fall …

König: Was nach einem Bedürfnis klingt.

Steffen: Absolut. Also das hat man sofort gespürt, und viele Deutschen sagen auch, ah ja, das hat mir aus der Seele gesprochen. Und von österreichischer Seite bekomme ich auch positives Feedback.

Man kennt die Autoren, die in dem Buch schreiben, doch zum großen Teil. Es sind eben viele witzige Beiträge dabei, und viele sagen, ach ja, das ist interessant, jetzt sehe ich das auch mal aus anderer Sicht.

König: "Wir sind gekommen, um zu bleiben. Deutsche in Österreich". Das Buch ist erschienen im Czernin-Verlag. Ich sprach mit der Herausgeberin Eva Steffen. Vielen Dank!

Steffen: Dankeschön!