"Es ist alles viel komplizierter als im Film"
Die ARD strahlt eine Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Autobiografie "Mein Leben" aus. Der Journalist Gerhard Gnauck erklärte dazu in unserem Sender, warum er den Film teilweise für "verlogen" hält.
Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Gespräch.
Vladimir Balzer: Herr Gnauck, es gibt da eine Rahmenhandlung im Film: Ein polnischer Offizier verhört ihn nach dem Krieg. Und von dieser Situation aus werden die frühen Jahre von Marcel Reich-Ranicki erzählt, seine Schulzeit in Berlin, sein Überleben im Ghetto, seine Flucht, seine Liebe zu seiner Frau Theophila, sein Versteck und auch die ersten Nachkriegsjahre. Aber sonst geht es wenig um einen Teil seiner Biografie, nämlich die Zusammenarbeit mit dem polnischen Geheimdienst. Fünf Jahre lang war er ja für ihn tätig, von Ende 1944 bis Ende 1949. Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch über diese Jahre: Hätte dieser Teil seines Lebens stärker in diesen Film gehört?
Gerhard Gnauck: Unbedingt. Ich denke, der Film ist in dieser Hinsicht schon, das muss ich so sagen, verlogen. Er geht im Grunde noch über das hinaus, was Reich-Ranicki in seiner Autobiografie geschrieben hat, nämlich im Film heißt es ja: Im Film wird suggeriert, Reich-Ranicki wird aus diesem polnischen Geheimdienst oder, nennen wir es beim Namen, aus dem polnischen Staatssicherheitsministerium abgerufen, weil er darin antikommunistische Aktivitäten verfolgt hätte. Das steht weder in der Autobiografie noch in den Archiven, in den Akten, die ich gelesen habe über Reich-Ranicki, aber auch über sein engstes Umfeld in verschiedenen Etappen.
Und wenn Reich-Ranicki sagt, es ist in der Wirklichkeit alles noch schlimmer als im Film, dann würde ich sagen: Moment, es ist alles viel komplizierter als im Film. Das Leben ist immer komplizierter als ein Film es zeigen kann. Und wer an einer Stelle Opfer war, das war Reich-Ranicki unbestritten, der konnte an anderer Stelle auch zum Täter werden. So ist nun leider mal die unerträgliche Komplexität des Seins.
(…)
Das vollständige Gespräch mit Gerhard Gnauck können Sie bis zum 15.09.2009 als
[url=http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2009/04/15/drk_20090415_1908_2a695b65.mp3
title="MP3-Audio" target="_blank"]MP3-Audio[/url] in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.
Vladimir Balzer: Herr Gnauck, es gibt da eine Rahmenhandlung im Film: Ein polnischer Offizier verhört ihn nach dem Krieg. Und von dieser Situation aus werden die frühen Jahre von Marcel Reich-Ranicki erzählt, seine Schulzeit in Berlin, sein Überleben im Ghetto, seine Flucht, seine Liebe zu seiner Frau Theophila, sein Versteck und auch die ersten Nachkriegsjahre. Aber sonst geht es wenig um einen Teil seiner Biografie, nämlich die Zusammenarbeit mit dem polnischen Geheimdienst. Fünf Jahre lang war er ja für ihn tätig, von Ende 1944 bis Ende 1949. Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch über diese Jahre: Hätte dieser Teil seines Lebens stärker in diesen Film gehört?
Gerhard Gnauck: Unbedingt. Ich denke, der Film ist in dieser Hinsicht schon, das muss ich so sagen, verlogen. Er geht im Grunde noch über das hinaus, was Reich-Ranicki in seiner Autobiografie geschrieben hat, nämlich im Film heißt es ja: Im Film wird suggeriert, Reich-Ranicki wird aus diesem polnischen Geheimdienst oder, nennen wir es beim Namen, aus dem polnischen Staatssicherheitsministerium abgerufen, weil er darin antikommunistische Aktivitäten verfolgt hätte. Das steht weder in der Autobiografie noch in den Archiven, in den Akten, die ich gelesen habe über Reich-Ranicki, aber auch über sein engstes Umfeld in verschiedenen Etappen.
Und wenn Reich-Ranicki sagt, es ist in der Wirklichkeit alles noch schlimmer als im Film, dann würde ich sagen: Moment, es ist alles viel komplizierter als im Film. Das Leben ist immer komplizierter als ein Film es zeigen kann. Und wer an einer Stelle Opfer war, das war Reich-Ranicki unbestritten, der konnte an anderer Stelle auch zum Täter werden. So ist nun leider mal die unerträgliche Komplexität des Seins.
(…)
Das vollständige Gespräch mit Gerhard Gnauck können Sie bis zum 15.09.2009 als
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