"Es ist alles Trance-Musik"

30.10.2013
Die Zusammenarbeit mit afrikanischen Künstlern hat für Jazz-Pianist Joachim Kühn einen ganz klaren Vorteil. Er habe dadurch zu neuen Möglichkeiten der Improvisation gefunden. Am Donnerstag eröffnet er mit anderen Musikern das Jazzfest Berlin.
Matthias Hanselmann: In seiner 50. Ausgabe von morgen bis zum 3. November widmet sich das Berliner Jazzfestin seinem Programm unter anderem Afrika. Mit dem eigenst für das Festival entwickelten Projekt Gnawa Jazz Voodoo der Pianistenlegende Joachim Kühn kommen mittel- und südeuropäische Improvisationskunst und nordafrikanische Musik in Berlin zusammen. Joachim Kühn, der mit Jazzstars wie Jean-Luc Ponti, Philip Catherine, Alphonse Mouzon, Jan Akkermann, Billy Cobham und vielen, vielen anderen zusammengearbeitet hat, eröffnet die Jazztage. Mein Kollege Holger Hettinger hat ihn getroffen. Seine erste Frage: Was genau, Herr Kühn, reizt Sie an diesem Brückenschlag zwischen Europa und Afrika?

Joachim Kühn: Meine Afrika-Erfahrungen, die ich jetzt schon seit nunmehr mehreren Jahrzehnten verfolge und gerade in den letzten sieben Jahren intensiv ... Was mich besonders an diesen afrikanischen Musiken reizt, ist der Rhythmus. Mit diesem Rhythmus zu improvisieren, eröffnet neue Welten in Bezug auf neue Wege der Improvisation. Mein ganzes Leben, ich spiele zwar auch immer wieder noch gerne mit Bass und Schlagzeug, aber jetzt mit Gimbri und Gnawa-Musik, mit den Qarqabu, das sind die Metallplatten, die aufeinandergeschlagen werden, die erzeugen erst mal diesen einen Rhythmus. Und dann die anderen beiden, die den Voodoo-Rhythmus erzeugen, der eine kommt aus Benin und der andere aus Senegal. Selbst für afrikanische Verhältnisse, die spielen sonst auch nicht zusammen, diese verschiedenen Kulturen, wo alles aus der gleichen Quelle stammt, diese Rhythmen stammen aus der Sklavenzeit. Das ist alles Sklavenmusik. Das sind also noch die alten Voodoo-Songs. Der Sinn des Ganzen ist, in eine Art höhere Gefilde zu kommen, geistig, dass wir einfach so weit abheben können, dass wir in Trance kommen. Es ist alles Trance-Musik. Für Trance bin ich auch sehr empfänglich, so bin ich geboren. Mein Lehrer musste mich manchmal schon stoppen, weil ich alles beim Spielen vergessen habe. Das ist unser Ausgangspunkt.

Holger Hettinger: Dass man das hier so aus europäischer Perspektive natürlich sehr mag und als sehr befruchtend empfindet, habe ich schon selbst erlebt. Aber wie wird denn solche Musik, dieser Brückenschlag zwischen europäischer und afrikanischer Musiktradition in Afrika wahrgenommen? Dort haben Sie ja auch oft konzertiert.

Kühn: Afrika ist ja ein Riesenkontinent. Wir haben oft gespielt in Marokko. Nicht auf Jazz-Festivals, aber auf World-Music-Festivals haben wir gespielt, Essaouira, eines der größten. Und das wurde richtig gut aufgenommen. Auch in Senegal wurde es sehr gut aufgenommen. Für mich als Europäer ist das sehr interessant, weil das muss man studieren, da muss man sich mit auseinandersetzen. Das muss man fühlen. Und da fängt für mich die Musik an.

Hettinger: Wir machen Sie das, diese Tiefsinnigkeit zu erreichen und eben nicht nur an der Oberfläche, am ästhetischen Oberflächenreiz zu bleiben?

Kühn: Also, erst mal habe ich monatelang viele Platten gehört, mit den Platten sogar mitgespielt zu Hause, zunächst mal, über Jahre durch meinen Freund Majid Bekkas, hat er mir auch gleich die richtigen Platten empfehlen können. Sonst gibt es ja so viel Auswahl, man kennt ja viele Namen auch nicht. Und dann hatte ich auch viel Unterhaltung mit Majid Bekkas, der mir viel erklärt hat, wie die Rhythmik zustande kommt, die Zählungsweise und so weiter. Dafür kann ich dann ihm wieder viel von der Klassik und vom Jazz erzählen. Wir haben einen extrem guten, fruchtbaren Austausch.

Hettinger: Die Kulturleute mögen ja solche Brückenschläge nicht zuletzt deshalb, weil sie so was angenehm Utopisches haben. In der Kunst gelingt das, was in der harten Realität des Lebens scheitert. Warum, glauben Sie, ist ausgerechnet die Musik so geeignet, um diese Vermittlung zwischen den Kulturen zu leisten?

Kühn: Ja, was denn sonst? Wir Musiker gingen schon immer mit gutem Beispiel voran. In unserer Band spielen Menschen, die haben alle Arten von Glauben. Der eine glaubt an den, der andere glaubt an den, ich glaube an gar nichts. Das spielt alles gar keine Rolle, deswegen würden wir uns ja nicht bekämpfen. Jeder kann ja so sein, wie er will. Deswegen sind die Musiker schon immer mit gutem Beispiel vorangegangen, da können alle Nationalitäten zusammen spielen, die sich in der Welt bekriegen, aber bei den Musikern findet so was nicht statt.

Hettinger: Sie haben es eben erwähnt, beim Jazzfest Berlin spielen Sie mit dem Saxofonisten Pharoah Sanders zusammen in Ihrem Ensemble. Sanders ist ja eine Jazzlegende, hat gemeinsam mit John Coltrane eine ganz entscheidende Episode der Jazzgeschichte bestritten. Er hat afrikanische Wurzeln und er lebt durch diese Beschäftigung mit dem europäischen Ensemble seine Identität neu. Wie haben Sie das erfahren?

Kühn: Pharoah Sanders bin ich ein großer Fan von, seitdem ich ihn das erste Mal gehört habe circa 1964. Das sieht man ja schon, dass der Übermusiker John Coltrane den Pharoah Sanders, der das gleiche Instrument spielt, Tenorsaxofon, in seine Band aufnimmt. Da war etwas ganz Besonderes. Wenn man sich diese Aufnahmen heute anhört von 1965, '66, dann geht die Musik ... Man kann es nicht in Worte fassen, so eine unglaubliche Impression, die ich da hatte. Und da wusste ich sofort, mit diesem Mann werde ich mein Leben verbringen, wie auch mit John Coltrane und Miles Davis. Das sind die Leute, mit denen verbringe ich mein Leben. Die höre ich beinahe täglich. Und Pharoah ist eben eine ganz starke Stimme und seitdem habe ich den auch verfolgt, konnte auch schon mal mit ihm spielen. Und das war 1968. Ich war damals 24, auch zu den Berliner Jazztagen. Ich war damals erst ein paar Jahre aus der DDR hier und ich war der Pianist. Jerry featuring Pharoah Sanders. Hinterher war sogar eine Jamsession, wo wir auch noch zusammen gespielt haben. Dass er jetzt mit bei mir spielt und auch meine Komposition da mit einbezieht, das ist natürlich eine ganz große Sache. Das Schöne an Pharoah ist, der braucht nur einen Ton zu spielen und dann kann man ihn sofort erkennen, dann weiß man das schon, dass er das ist.

Hettinger: Sie beschäftigen sich jetzt schon Jahrzehnte mit dieser afrikanischen Musik und praktizieren diesen Brückenschlag. Wie hat sich denn so Ihr Blick auf diese Zusammenarbeit geändert über die Jahrzehnte?

Kühn: Nun, nachdem ich mehr weiß, fühle ich mich bedeutend freier. Wenn man mit Afrikanern spielt, darf man ja nicht den Fehler machen und versuchen, afrikanisch zu spielen. Da muss jeder seine Identität behalten. Das war für mich eine ganz wichtige Erkenntnis, spiel doch nur dich selbst! Und das ist das, was funktioniert.

Hettinger: Das heißt, Sie haben Ihre eigene Identität noch mal geschärft in der Begegnung mit diesen fremdartigen Klängen und Harmonien?

Kühn: Ja, jetzt praktisch noch mal eine andere Seite von mir, jetzt mit diesem kompakten Rhythmus, den wir haben. Wir haben heute vier Percussion plus Schlagzeug, wir haben fünf Rhythmiker. Der Majid Bekkas ist mit der Gimbri auch Rhythmiker, das ist schon eine geballte Ladung an Rhythmik! Ich hoffe, die Leute kommen mit uns auf den Trip, weil ich glaube, das wäre das Schönste!

Hanselmann: Der mittlerweile 69-jährige *) Joachim Kühn eröffnet morgen das Jazzfest Berlin, Holger Hettinger hat mit ihm gesprochen.

*) Redaktioneller Hinweis: Die verschriftete Fassung weicht an dieser Stelle von der Audio-Fassung ab.

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