"Es hat ein bisschen was von einem Zeltlager"

Elisabeth Zell im Gespräch mit Kirsten Westhuis · 06.07.2013
Rio de Janeiro wird ihr dritter Weltjugendtag sein, erzählt Elisabeth Zell. Die 21-jährige Katholikin hilft in Brasilien unter anderem dabei mit, eine Farm für Drogenabhängige zu errichten. Und es wird bestimmt eine große Sache, den neuen Papst Franziskus zu erleben, freut sie sich.
Kirsten Westhuis: Den Confederations-Cup haben Brasiliens Fußballer eingetütet, während die Demonstranten auf den Straßen die ersten Reformversprechen der Regierung errungen haben. Ruhe ist damit aber noch lange nicht eingekehrt. Nun bekommt das größte katholische Land der Erde auch noch jede Menge Besuch aus der ganzen Welt: Noch keine Fußballfans, die sind erst im 2014 zur WM dran, sondern zwei Millionen katholische Jugendliche. Der Papst hat eingeladen – das war noch Benedikt der XVI., – und die Jugend strömt zu ihm.

Bevor vom 23. bis zum 28. Juli auch Papst Franziskus in Rio de Janeiro sein wird und dort riesige Gottesdienste auf dem spirituellen Programm stehen, sind die jungen Teilnehmer in den verschiedenen Bistümern Brasiliens unterwegs. Im Vorfeld kamen Sicherheitsbedenken auf, wegen der Proteste auf Brasiliens Straßen. Der Erzbischof von Rio de Janeiro, Dom Orani, beruhigte sogleich mit einer Stellungnahme zur Sicherheitslage – es gebe ein umfassendes Protokoll für alle Eventualitäten und es seien mehr als 20.000 Sicherheitskräfte im Einsatz. Ob die jungen Katholiken das brauchen? Normalerweise herrscht bei Weltjugendtagen eine fröhlich-friedvolle Stimmung, ein besonderes Flair, das von jungen Menschen ausgeht, die die Welt zum Guten verändern wollen.

Eine der rund 2000 deutschen Weltjugendtagsteilnehmern ist die 21-jährige Elisabeth Zell aus Berlin. Ich habe vor der Sendung mit der Studentin gesprochen und wollte zuerst einmal wissen: Ich packe meinen Koffer und nehme mit?

Elisabeth Zell: Auf jeden Fall ganz viel Rei in der Tube und verschiedene Andenken an Deutschland, damit man die tauschen kann mit anderen Pilgern. Das ist immer so eine Sache, man tauscht untereinander irgendwie aus die Hüte oder irgendwelche kleinen Koalas, wenn man zum Beispiel aus Australien kommt oder so. Ja, ansonsten natürlich wanderfeste Stiefel und ganz viel Kleidung, die dreckig werden kann.

Kirsten Westhuis: Kleidung, die dreckig werden kann? Beschreiben Sie uns, die wir zu Hause bleiben, ein bisschen, wie so ein Weltjugendtag abläuft.

Zell: Na ja, es hat eigentlich was, ich weiß nicht, ob welche von Ihnen bei den Pfadfindern mal waren, aber es hat ein bisschen was von einem Zeltlager. Man übernachtet meistens entweder in Gastfamilien, wenn man Glück hat. Das sind dann die Days in the Diocese, also die Tage in der Diözese. Oder man ist halt in Turnhallen die ganze Zeit und verbringt die Tage in der Diözese quasi nur in der Gruppe. Wir jetzt auf diesem Weltjugendtag machen eine Woche auch ... wir bauen eine Fazenda auf, also eine Farm für Drogenabhängige, und das wird halt viel Konstruktion sein, und deswegen Kleidung, die dreckig werden kann.

Kirsten Westhuis: Sie sind nicht zum ersten Mal beim Weltjugendtag dabei, höre ich gerade, Koalas aus Sydney haben Sie mitgebracht. Wo waren Sie schon überall?

Zell: Ich war 2008 in Sydney beim Weltjugendtag und 2011 in Madrid, genau, und davor war ich zu jung.

Kirsten Westhuis: Warum fahren Sie da mit, was begeistert Sie daran?

Zell: Also zum ersten Mal bin ich mitgefahren, weil meine Geschwister schon da waren und erzählt haben, wie toll es Ihnen gefallen hat und wie viele Leute Sie kennengelernt haben. Und ganz besonders Sydney war wirklich mega beeindruckend. Also erst mal so ein neues Land kennenzulernen, ganz andere Kultur, andere Pflanzen, andere Tiere, und dann natürlich auch die ganze spirituelle Komponente, halt viele Messen und viele Anbetungen und halt zu merken, dass man nicht der einzige Katholik auf der Welt ist. Das war halt eine ganz tolle Erfahrung. Das hat auch ein bisschen was von Fußball-WM eigentlich, weil die Stimmung mega gut ist und die Leute sich einfach freuen, wenn sie Leute aus anderen Ländern kennenlernen und die einfach feiern, weil sie da sind.

Kirsten Westhuis: Also eine große Party?

Zell: Ja, nicht nur, also auch, das hat ein bisschen was von Fußball-WM, wie ich ja gesagt habe, aber man geht halt auch viel zu Messen und man lernt halt Dinge auch über sich selbst und über andere, die man so vielleicht im Alltag jetzt nicht lernen würde. Und man entdeckt halt auch, dass das An-Gott-Glauben nicht nur eine Alltagssache ist, sondern eigentlich was ganz Besonderes und was ganz Schönes, was man manchmal so vergisst.

Kirsten Westhuis: In Rio trifft sich die Jugend der Welt, die Weltkirche wird da präsent, und Sie sagten gerade schon, man merkt, dass man nicht alleine ist und alleine glaubt. In Berlin müssen Sie katholische Jugendliche manchmal vielleicht eher ein bisschen suchen in dieser Diaspora, in der wir hier in Norddeutschland leben?

Zell: Ja, doch, kann man so sagen. Aber andererseits ist die katholische Welt halt auch klein und man trifft halt ganz oft Leute irgendwo, die man halt schon kennt aus diesen Kreisen.

Kirsten Westhuis: Der Glaube, der verbindet dann auch. Können Sie mit jemandem aus Australien oder aus Lateinamerika gleich eine besondere Ebene finden?

Zell: Vielleicht so in dem Dreh nicht, dass ich den einfach sehe und denke, wow, jetzt haben wir voll viel gemeinsam. Aber ich denke schon, wenn man irgendwie zusammen zum Weltjugendtag geht, dann ist es schon so, dass man bestimmte Sachen einfach gemeinsam hat. Also man sucht halt irgendwie nach denselben Dingen, sonst wäre man ja nicht da. Und deswegen kann man schon irgendwie sagen, dass, wenn man auf den Weltjugendtag geht und andere Jugendliche trifft, man schon mal irgendwie en gros ein Gemeinsames hat, das schon.

Kirsten Westhuis: Die großen Höhepunkte bei einem Weltjugendtag in der Öffentlichkeit, das sind ja immer die großen Auftritte des Papstes. In Köln 2005 kam Papst Benedikt XVI. über den Rhein gefahren mit dem Schiff, und in Sydney und Madrid waren es auch die großen Messen mit eben richtig vielen Leuten. Und in Rio wird zum ersten Mal Papst Franziskus dabei sein, ein Lateinamerikaner in seinem Heimatkontinent. Sind diese Massenevents mit dem Papst für Sie persönlich auch so eine Art Höhepunkt?

Zell: Ja, irgendwie schon. Also ich finde, so den Papst zu sehen und da zusammen zu warten und ganz laut zu jubeln und so, das hat was von einem Popstar. Und ich meine, der Papst ist das Oberhaupt von einer Milliarde Katholiken in der Welt, und es ist halt eigentlich viel besser, als irgendwie zu einem Konzert zu gehen oder so. Es ist halt ein ganz wichtiger Mensch für viele, viele Menschen, der viel sagt, was wichtig ist für das Leben von den Menschen. Und deswegen ist das so eine große Sache, den zu sehen, finde ich schon.

Kirsten Westhuis: Und die Dinge, die die katholische Kirche sagt, sind auch wichtig für Ihr Leben?

Zell: Ja, doch, würde ich schon so sagen, ja.

Kirsten Westhuis: Ist das nur ein Jubeln und ein Feiern und ein fröhliches Katholischsein? Oder diskutieren Sie mit den Gleichaltrigen aus aller Welt auch die Sachen, die Sie an der katholischen Kirche vielleicht stören oder die es zu diskutieren gibt, die man auch mal kritisch hinterfragen kann?

Zell: Natürlich diskutiert man das auch, auf jeden Fall. Das macht man, glaube ich, sowieso unter Katholiken immer. Also ich habe ein paar Leute, die ich sehr gut kenne, mit denen ich da hinfahre. Und wenn man diese Gelegenheit hat, dann kann man besonders mit solchen Leuten, die man eigentlich schon gut kennt, kann man eigentlich schon besser ins Gespräch kommen. Aber auch mit Leuten, die man noch nie getroffen hat und so. Das ergibt sich eigentlich von selber, dass man darauf kommt, dass man bestimmte Dinge diskutiert, ja.

Kirsten Westhuis: Welche Themen beschäftigen Sie im Moment zum Beispiel besonders?

Zell: Was mich immer beschäftigt, sind halt diese Fragen, die in der Presse auch diskutiert werden, also Zölibat und Homosexualität und Missbrauch auch, ja. Also ich denke, dass zum Katholischsein als Jugendlicher auch gehört, dass man bestimmte Dinge anders sehen kann und soll. Und man muss nicht unbedingt alles annehmen, also eins zu eins, was die Kirche zu bestimmten Themen sagt, um katholisch zu sein. Ich denke, dass der Glaube vor allem darum geht, ein gutes Leben zu führen und für andere da zu sein und die Welt zu einem besseren Ort zu machen, zu verbessern auch, als jetzt irgendwie sich da in Kleinigkeiten zu verlieren.

Kirsten Westhuis: In Rio sind gerade vor wenigen Wochen die Menschen auf die Straße gegangen, und sie tun es immer noch, sie demonstrieren, sie schreien auf gegen Ungerechtigkeit, und los ging das alles mit einer einfachen Fahrpreiserhöhung. Sie geben ziemlich viel Geld aus für einen Flug da rüber, aber viele junge Menschen sind es eben auch, die da auf die Straße gegangen sind für eine bessere Welt. Wie beobachten Sie diese Entwicklungen in Brasilien?

Zell: Also als Außenstehender und Nicht-Brasilianer kann ich da nicht so viel dazu sagen. Aber ich finde das eigentlich gut. Also ich finde es gut, dass sie mal aufstehen und dagegen protestieren, was sie unterdrückt und was sie als kaputtmachend für ihr Land empfinden. Also dass sie versuchen, was zu verändern auch wirklich. Das finde ich eigentlich gut. Also dass das dann immer in gewalttätige Proteste umschlägt, ja, das ist halt so. Es ist nicht schön, aber manchmal ist das auch notwendig, um was zu verändern.

Kirsten Westhuis: Haben Sie also was gemein mit den jungen Leuten in Brasilien?

Zell: Auf jeden Fall!

Kirsten Westhuis: Bedeutet Christ sein für Sie persönlich auch eine gesellschaftliche oder eine politische Herausforderung? Heißt das für Sie auch aufstehen, den Mund aufmachen?

Zell: Auf jeden Fall, ja, doch. Also ich denke, dass katholisch zu sein halt bedeutet, dass man versucht, wie Jesus zu sein, und Jesus hat ja auch die Welt verändert, also Jesus hat auch immer gesagt, wenn er irgendwas nicht in Ordnung fand, wenn er irgendwas heuchlerisch fand. Er hat sich nicht ausgeschwiegen und im Endeffekt hat es ihn dann auch das Leben gekostet. Und ich schätze, wenn man wirklich in seine Fußstapfen treten will oder seine Nachfolge antreten will, dann muss man so sein, versuchen, so zu sein wie er.

Kirsten Westhuis: Es geht los, nächste Woche packen Sie Ihren Rucksack mit ganz viel Rei in der Tube zum Wäsche waschen. Und was wünschen Sie sich, was auf dem Rückweg vielleicht zusätzlich noch in Ihrem Gepäck ist, was erhoffen Sie sich, mitnehmen zu können von diesem Weltjugendtag?

Zell: Das hat mal ein australischer Bischof ganz schön gesagt: Der Weltjugendtag ist sozusagen was ganz Großes, Außergewöhnliches. Und was man sich nach Hause mitnehmen soll, das ist ein heiliger Rest, also dass man halt versucht, dieses Feuer der Begeisterung ein bisschen auch in den Alltag mitzunehmen und davon noch weiter zu profitieren, halt daran zurückzudenken, was man sich vorgenommen hat und das ein bisschen nach Deutschland mitzutragen, vielleicht auch was von der Kultur.

Kirsten Westhuis: Das Feuer der Vorfreude lodert schon bei Elisabeth Zell.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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