"Es hapert am Willen der Museen"

Von Margarete Limberg |
Zwar haben sich die Teilnehmer der Washingtoner Restitutionskonferenz dazu verpflichtet, die von den Nazis geraubten oder erpressten Kunstwerke zurückzugeben, doch für viele Beobachter ist in den vergangenen zehn Jahren zu wenig passiert. Auf dem Symposium "In der Verantwortung. NS-Raubkunst" wurden daher massive Vorwürfe gegen deutsche Museen laut.
Zehn Jahre sind seit der Washingtoner Restitutionskonferenz vergangen, auf der sich die Teilnehmer verpflichtet haben, von den Nationalsozialisten geraubte oder den damaligen meistens jüdischen Eigentümern abgepresste Kunstwerke zurückzugeben. Aber die bisherigen Fortschritte sind eher bescheiden, und manche Museen erwecken durchaus nicht den Eindruck, als dränge es sie, bei der Aufklärung mitzuwirken. Ihre Begründung, nicht genügend Mittel für die Provenienzforschung zu haben, scheint bei manchen nur eine faule Ausrede zu sein. Das findet jedenfalls Prof. Reinhard Rürup, Mitglied der Beratenden Kommission, die in strittigen Fällen als Vermittler zwischen jüdischem Eigentümer und deutschen Museen und Bibliotheken agieren soll.

"Da hat man sich aufs Lavieren verlegt und hat gesagt, wir warten mal ab, ob es Probleme geben wird. Es wird auch künftig Fälle geben, wo neue Erkenntnisse vorliegen, und da muss aus den Erkenntnissen auch die entsprechende Schlussfolgerung gezogen werden. Es kann nicht sein, dass man sich unrechtmäßig erworbene Kulturgüter ersitzt, indem man nichts tut."

Kulturstaatsminister Bernd Neumann nutzte das Symposion, um klar zu machen, dass er den Hinweis auf Geldmangel nicht mehr akzeptiert, seit er vor einiger Zeit eine zentrale Arbeitsstelle für Provenienzforschung ins Leben gerufen hat, die vor allem kleinen und mittleren Museen bei der schwierigen Arbeit beistehen soll.

"Wer sich jetzt dem Auftrag der Provenienzrecherche mit dem Vorwand fehlender Mittel entzieht, muss sich über kurz oder lang Fragen zu seinem moralischen Verantwortungsbewusstsein gefallen lassen, denn niemand kann guten Gewissens Kulturgut unklarer Provenienz in seiner Sammlung dulden."

Der Staatsminister sieht eine bleibende Verantwortung Deutschlands als Folge des größten Kunstraubzugs der Geschichte, wie er formulierte. Und weil es dabei auch um das Schicksal von Menschen geht, die vertrieben und ermordet wurden, erteilt er allem Sehnen nach einem Schlussstrich eine klare Absage.

"Daraus, aus der Singularität des Holocaust leitet sich eine moralische Verpflichtung ab, die niemals verjähren kann. Ich sage es ganz deutlich: Es wird für Deutschland keinen Schlussstrich unter die Suche nach NS-Raubkunst und unter deren Restitution geben."

Ein entscheidender Grund, die Museen nicht aus ihrer Pflicht zu entlassen, ist ihre Beteiligung an dem NS-Unrecht. Viele staatliche Museen haben von der Not und dem Zwang der jüdischen Mitbürger profitiert – so der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger.

"Die Staatlichen Museen zu Berlin waren - wie andere Kultureinrichtungen in Deutschland auch – Teil des Systems und beteiligten sich ab 1933 an den Raubzügen des nationalsozialistischen Staates auf der Suche nach Kunstwerken in jüdischem Besitz. Das Zusammenspiel von Museen, Bibliotheken und Archiven und den nationalsozialistischen Behörden, die die Beschlagnahme jüdischen Eigentums durchführten, verlief planmäßig."

Trotz des von Kulturstaatsminister Neumann bekundeten politischen Entschlossenheit, die offenen Restituierungsfragen zu lösen, fehlt es bei der Umsetzung an Effektivität und wie Prof. Julius Schöps, Direktor des Moses – Mendelssohn –Zentrums in Potsdam beklagt, an dem nötigen Willen.

"Es hapert ganz eindeutig am Willen der Museen. Ich war selbst sehr lange Museumsdirektor und weiß sehr wohl, welche Leichen in einem Keller, in einem Depot liegen. Und das weiß jeder Museumsdirektor."

Schöps streitet als Vertreter einer Erbengemeinschaft übrigens selbst mit amerikanischen Museen um die Sammlung des Bankiers Paul von Mendelssohn–Bartholdy.

Ein Handicap liegt nach Ansicht zahlreicher Experten darin, dass die in Washington verabschiedeten Richtlinien und die daraus folgenden Beschlüsse der deutschen Regierung keine verbindliche Gesetzeskraft haben. Um zu einer fairen und gerechten Lösung zu kommen, sind also Verhandlungen und beiderseitiges Einvernehmen nötig. Parzinger ist sich sicher, dass aggressiv vorgetragene Rückgabeforderungen nicht hilfreich sind, dass aber vor allem die Blockadehaltung mancher Museen ihnen letztlich selbst am meisten schadet.

"Viele Museen reagieren in aller Regel erst dann, wenn Anwälte konkrete Forderungen an sie stellen. Das führt meist dazu, dass die Bilder verkauft werden müssen, um die Anwälte zu bezahlen. Könnten die Museen von sich aus mehr Personal und Geld in die Provenienzforschung investieren, ließen sich sachgerechtere Lösungswege finden."

Ein Restitutionsverfahren muss nämlich nicht zwangsläufig mit dem Verlust des Kunstwerks enden. In zahlreichen Fällen sind Eigentümer bereit, ein Gemälde als Leihgabe an seinem Platz zu lassen oder dem Museum ein Vorkaufsrecht einzuräumen. Aber man solle nicht den Eindruck erwecken, als seien die Eigentümer in irgendeiner Weise dazu verpflichtet, meint Julius Schöps.
Die Restitution wird erschwert dadurch, dass in den Jahren der Verfolgung viele Unterlagen, mit denen sich Eigentumsansprüche nachweisen ließen, verloren gegangen sind. Kulturstaatsminister Neumann stellt für diese und andere schwierige Fälle klar.

"Der Zweifel muss zugunsten des Verfolgten sprechen. Und es ist gerecht, dass die Beweislast auf Seiten der öffentlichen Einrichtungen liegt."

So klar die politische Richtung scheint, so kompliziert ist die Wirklichkeit. Kein Fall ist wie der andere und die Wege der Kunstwerke von den einstigen jüdischen Eigentümern zu den heutigen Besitzern sind oft sehr verschlungen. Und der tatsächliche Umfang der Raubkunst ist bis heute nicht bekannt.