"Es gibt genetische Risikofaktoren"

Peter-Andreas Löschmann im Gespräch mit Marietta Schwarz · 21.09.2010
Der Mediziner Peter-Andreas Löschmann kann über die Möglichkeiten einer echten Alzheimer-Therapie, die die Krankheit aufhalten könnte, keine Prognose abgeben. Die Ursachen und Auslöser der häufigsten Demenzerkrankung sind einfach noch zu unklar.
Marietta Schwarz: Und im Studio begrüße ich jetzt den Alzheimer-Experten und medizinischen Direktor beim Pharmaunternehmen Pfizer, herzlich willkommen, Dr. Peter-Andreas Löschmann!

Peter-Andreas Löschmann: Schönen guten Morgen!

Schwarz: Herr Löschmann, die frühe Diagnose – das haben wir eben gehört – ist der Schlüssel zur Bekämpfung beziehungsweise zur Eindämmung von Alzheimer. Ab wann spricht man von Alzheimer und wie lange ist ein Mensch nur vergesslich?

Löschmann: Ja das ist natürlich ein fließender Übergang. Wissenschaftlich genau muss man sagen, dass man die Diagnose Alzheimer erst stellen kann, wenn der Patient gestorben ist. Das heißt, die charakteristischen Veränderungen des Gehirns sieht man erst dann. Es gibt sehr viele Formen von Demenzen, Alzheimer ist mit 60 Prozent ungefähr die häufigste Form der Demenz.

Das heißt also, wenn man jemanden vor sich hat, der eine tatsächliche Demenz hat, ist es hochwahrscheinlich, dass er Alzheimer hat. Die Grenzen zwischen der Vergesslichkeit, die man immer gelegentlich mal haben kann – Schlüssel nicht finden –, und dann dem Vergessen von wirklich wichtigen Dingen ist sehr fließend.

Schwarz: Wann sollten Angehörige mit Vater, Mutter, mit den Verwandten zum Arzt gehen?

Löschmann: Relativ häufig – das ist meine Erfahrung – berichten die zukünftigen Patienten über Vergesslichkeit und sie werden nicht richtig ernst genommen. Das heißt, wenn der zukünftige Patient sich beeinträchtigt fühlt, dann sollte er einen Neurologen und Psychiater mit der Spezialisierung für Demenzerkrankung aufsuchen und dann eine Diagnostik machen. Es ist entscheidend wichtig, dass man weiß, wie hoch der Grad der Beeinträchtigung ist, das kann man messen mit Skalen, die die Patienten ausfüllen, und anderen psychologischen Tests.

Schwarz: Gibt es Erkenntnisse darüber, wie diese Krankheit ausgelöst wird?

Löschmann: Auslöser kennen wir nicht. Wir wissen, dass es in zehn Prozent der Fälle ungefähr eine familiäre Belastung gibt, man hat in betroffenen Familien charakteristische Genveränderungen gefunden, sogenannte Genmutationen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen können, dass jemand an Alzheimer erkrankt, aber nicht sicher bedeuten, dass man die Krankheit auch wirklich bekommt. Das heißt also, es gibt genetische Risikofaktoren.

Man könnte sich auch vorstellen, dass es Umweltfaktoren gibt, die das Entstehen der Erkrankung begünstigen, aber auch da sind wir eigentlich noch nicht so weit, dass man sagen könnte, daraus kann man präzise Verhaltensweisen ableiten.

Schwarz: Die Medizin, die Pharmaindustrie reagiert auf Alzheimer mit sogenannten Antidementiva, heißen die Medikamente. Was machen diese Medikamente denn im Körper?

Löschmann: Also es gibt zwei Gruppen von Antidementiva: Die Cholinesterase-Inhibitoren, das sind Substanzen, die hemmen ein bestimmtes Enzym, was den Abbau eines wichtigen Nervenüberträgerstoffs verlangsamt. Da bei der alzheimischen Erkrankung Nervenzellen zugrunde gehen, wird die Übertragung natürlich verschlechtert, und man kann durch die Erhöhung der Verfügbarkeit dieses Neurotransmitters Cholin erreichen, dass die geistige Leistungsfähigkeit besser bleibt. Die zweite Substanz hat einen etwas anderen Wirkungsmechanismus, die wirkt über andere Neurotransmitter, das Memantin.

Schwarz: Das heißt, man versucht, dieses fortschreitende Vergessen, diese Veränderungen im Gehirn aufzuhalten?

Löschmann: Ja man versucht hier ganz krass gesagt nur, die Symptome zu beseitigen, oder man kann nur die Symptome beseitigen. Der zugrunde liegende Prozess des Nervenzelluntergangs wird durch die Substanzen soweit wir wissen nicht beeinflusst. Deswegen wirken sie auch nicht sehr lange.

Schwarz: Was haben diese Medikamente für Nebenwirkungen?

Löschmann: Also die hauptsächlichen Nebenwirkungen beziehen sich auf den Magen-Darm-Trakt. Also sie werden relativ schlecht vertragen, das heißt, man muss sie sehr langsam aufdosieren, bis man dann die Menge geben kann, die notwendig ist, um einen therapeutischen Effekt zu beobachten.

Schwarz: Jetzt haben Sie gerade die Behandlung von Symptomen mit Medikamenten erwähnt. Verfolgen Sie auch andere Ansätze bei der Entwicklung?

Löschmann: Ja, in der Einleitung wurde ja schon gesagt, dass ein wesentlicher Bestandteil der Erkrankung offensichtlich die falsche Prozessierung von Eiweißen im Gehirn ist. Das heißt bestimmte Eiweiße, die normalerweise in den Nerven oder an den Nervenzellen vorkommen, werden falsch zerschnitten und können dann nicht mehr abgebaut werden und bilden die sogenannten Amyloid Plaques. Und diese Ablagerungen sind Zeichen der Erkrankung und vermutlich auch bei der Krankheitsentstehung beteiligt. Und nach dieser Amyloid-Hypothese sollte eine Beeinflussung dieses falschen Stoffwechsels dazu führen, dass man die Krankheit behandeln kann, möglicherweise auch ihr Fortschreiten günstig beeinflussen kann.

Schwarz: Gibt es eine zeitliche Perspektive, wann das fertig entwickelt sein wird?

Löschmann: Ja, Vorhersagen sind immer schwer, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Wir erwarten die ersten Ergebnisse aus sogenannten Phase-III-Studien, das heißt also der breiten klinischen Erprobung im Jahr 2012, 2013, und werden dann wissen, ob das Verfahren tatsächlich das bringt, was wir uns davon versprechen. Dann kommt natürlich noch die Zeit der Entwicklung, die Zeit der Prüfung der Unterlagen durch die Behörden dazu. Also wir reden noch über einen Zeithorizont von einigen Jahren, bevor wir überhaupt wissen, ob das Prinzip funktioniert.

Schwarz: Herr Löschmann, jetzt spreche ich zwar mit einem Pharmavertreter, aber ich frage Sie trotzdem: Kann sich der gesunde Mensch auch jenseits von Medikamenten schützen vor Alzheimer?

Löschmann: Nein, das ist natürlich eine wichtige Frage. Es gibt ja zahlreiche Publikationen über Gehirnjogging, das Gehirn benutzen und es nicht verkümmern lassen. Das kann mit Sicherheit nicht schaden. Ob Sudoku dazu zählt, weiß ich nicht, aber es gibt auch andere Verfahren.

Und darüber hinaus, wenn man an die Ernährung denkt, ist es eigentlich wie bei vielen Erkrankungen: Eine ausgewogene, gesunde mediterrane Diät sollte Stand der Ernährung sein und hat soweit wir wissen auch positive Einflüsse auf die Erkrankung. Und vor allen Dingen möchte ich davor warnen, dass man ungezielt, ungerichtet Vitaminpräparate in großen Mengen zu sich nimmt oder ähnliche Dinge. Das kann, wie wir wissen, eher schaden als nutzen. Also eine ausgewogene auch fischreiche Diät ist durchaus vernünftig.

Schwarz: Dr. Peter-Andreas Löschmann, Alzheimer-Experte beim Pharmaunternehmen Pfizer war das. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Löschmann: Nichts zu danken, schönen Tag noch!

Service:
Termine und Informationen zum Welt-Alzheimertag bietet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft.
Mehr zum Thema