"Es gibt einen Konsens, dass die Substanz gut ist"

Der Botschafter Österreichs in Deutschland, Christian Prosl, hat einen neuen Anlauf für eine Verfassung der Europäischen Union gefordert. Man habe in einigen Ländern zu wenig über die Inhalte des gescheiterten Verfassungsvertrags gesprochen, erklärte Prosl.
Marie Sagenschneider: Wenn die Worte "EU" und "Verfassung" fallen, dann ist "die Krise" fast schon zum selbstverständlichen Anhängsel geworden. Die Krise der EU - na ja, was soll man dazu schon sagen? Der finnische Außenminister jedenfalls bleibt gelassen: Er wundere sich immer über dieses Krisengerede, schließlich handele es sich doch um einen Dauerzustand in der EU. Tja, so gesehen wird Finnland wohl nichts schocken, wenn es morgen die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, die im vergangenen halben Jahr Österreich innehatte. Und damals, zu Jahresbeginn, da herrschte schon rundum Verdruss und Ratlosigkeit wegen der gescheiterten, wegen des gescheiterten, ne, der gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und in den Niederlanden. Und ratlos sind zwar noch immer alle, aber die Stimmung ist deutlich besser. Christian Prosl ist der Botschafter Österreichs in Deutschland und nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Prosl.

Christian Prosl: Guten Morgen, Frau Sagenschneider.

Sagenschneider: Ist dies, die bessere Stimmung, das wichtigste Verdienst der österreichischen Ratspräsidentschaft? Dass jetzt alle wieder ein bisschen optimistischer sind?

Prosl: Na ich glaube nicht, aber auch. Sie haben es richtig gesagt, natürlich hat sich die Stimmung eindeutig gebessert. Und ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass wir versucht haben, dem europäischen Bürger zu sagen: Wir nehmen Eure Ängste ernst, aber wir haben auch Lösungen, die wir Euch anbieten. Das heißt also, Europa ist nicht das Europa der Mandarine in Brüssel, sondern das Europa der Bürger, unser Europa. Und das war auch das Ziel auch der Präsidentschaft.

Sagenschneider: Welche Bilanz ziehen Sie denn jetzt aus österreichischer Sicht für dieses halbe Jahr? Was ist richtig gelungen?

Prosl: Na ich glaube, man muss da unterscheiden zwischen ganz konkreten Sachen und zwischen den grundsätzlichen Sachen und vielleicht auch mit den Überraschungen. Vielleicht fangen wir mal mit den Überraschungen an. Sie erinnern sich, am 1. Jänner hat einmal gleich die Energiekrise begonnen. Das kann man nicht planen, aber ich glaube, das haben wir relativ gut gemeistert. Dann hatten wir den Karikaturenstreit. Auch das ist relativ glimpflich über die Bühne gegangen. Und natürlich bleibt noch das Iran-Problem, aber an dem arbeiten wir. So, jetzt ganz konkret: Was haben wir im Rahmen der Europäischen Union gemacht? Ich glaube, das Wichtigste war zuerst einmal die finanzielle Vorausschau, das heißt das Budget für die Jahre 2007 bis 2013. Da konnten wir diese Einigung mit dem Europäischen Parlament erreichen. Das war besonders wichtig, weil ohne Geld keine Muse, wie man in Österreich sagt. Das Zweite, was ich glaube, was auch wichtig ist, war vielleicht nicht hundertprozentig, das war die Dienstleistungsrichtlinie. Nicht hundertprozentig im Sinn, dass wir wirklich eine Liberalisierung erreicht haben, aber ich glaube sicher, dass es der richtige Schritt in die richtige Richtung war. Und wir haben damit auch bewiesen, dass Europa handlungsfähig ist und auch zu handeln bereit ist. Dann vielleicht könnte man noch daran erinnern, dass wir uns geeinigt haben über die Erweiterung, dass das ziemlich klar ist, die Frage auch der Absorptionskapazität. Das heißt: Wie weit ist Europa selber bereit, neue Mitglieder aufzunehmen? Und dann schließlich vielleicht, was für Österreich auch wichtig war, dass wir bestätigt haben, dass der Balkan eine europäische Perspektive hat - je nach Land und je nach Entwicklung des Landes, aber diese Perspektive wurde bestätigt. Ich glaube, das ist an sich, sind ganz gute Ergebnisse und wir können zufrieden sein.

Sagenschneider: Das ist schön, wenn man noch mal einen Rückblick auf dieses halbe Jahr bekommt und dann doch denkt: Ja, stimmt, da ist eine ganze Menge passiert.

Prosl: Ja.

Sagenschneider: Das Problem ist, das zentrale Problem: die Verfassung, das bleibt ja und muss irgendwann gelöst werden, weil es sonst keine weitere Erweiterung der EU und keine so richtig praktikablen Mechanismen in der EU der 25 - oder eben bald auch 27, wenn im nächsten Jahr dann Rumänien und Bulgarien dazukommen. Jetzt warten alle im Grunde auf die deutsche Ratspräsidentschaft, Anfang 2007. Ist das nicht doch ein bisschen lang hin?

Prosl: Na schauen Sie, wir haben uns überlegt: Was ist da schief gelaufen? Und ich glaube, was schief gelaufen ist, dass in einigen Ländern, aber auch in Ländern, wo man ratifiziert hat, wir haben einfach zu wenig über diesen Verfassungsvertrag gesprochen. Daher haben wir uns vorgestellt in unserer Präsidentschaft - und haben das auch gemacht -, wir reden einmal über das europäische Lebensmodell. Welches Europa stellen wir uns vor? Wir wollen ein soziales Europa. Wir wollen ein Europa der Subsidiarität, das heißt, es muss nicht alles in Brüssel entschieden werden, man kann Sachen auch zu Hause entscheiden. Wir wollen ein Europa der Vielfalt. Und aus dieser Diskussion heraus wird sich dann auch ergeben, dass der Verfassungsvertrag, so wie er jetzt ist, ja im Grunde genommen nicht schlecht ist, sondern jeder, wir sagen alle, es gibt einen Konsens, dass die Substanz gut ist. Jetzt muss man halt schauen, was man daran ändern muss oder soll. Und darüber gibt es noch keinen Konsens. Aber immerhin, wir haben uns einen Fahrplan zurechtgelegt. Und Sie haben Recht, da kommt viel auf die deutsche Präsidentschaft zu. Allerdings möchte ich davor warnen, jetzt alles an der deutschen Präsidentschaft aufzuhängen. Denn, wir wissen, jedes Land hat eine Präsidentschaft von sechs Monaten und arbeitet an der permanenten Baustelle. Jeder macht seinen Abschnitt. Und wir werden sehen, wie weit wir kommen und dann geht es weiter.

Sagenschneider: Dann übergeben wir den Rest...

Prosl: Eins nach dem anderen.

Sagenschneider: ... an Frankreich, die danach dran sind, was...

Prosl: So ist es.

Sagenschneider: ... ja auch ganz praktisch ist. Wie wirbt man denn für die EU? Denn das ist ja ganz wichtig, um diese Fassung, Verfassung ein bisschen plausibler und auch sympathischer zu machen in diesen Polen zwischen Vielfalt und Wir-Gefühl, was es ja auch sein soll.

Prosl: Ja, Sie haben vollkommen Recht. Wir brauchen ein europäisches Bewusstsein. Und das kann ich nur dadurch erreichen, dass ich viel über Europa spreche. Dass ich auch die positiven Seiten Europas hervorhebe. Denken Sie doch zurück: Vor 60 Jahren, was war Europa? Es ist eben nicht selbstverständlich, dass ich heute ohne Pass quer durch Europa fahren kann, dass unsere Kinder studieren können in Lissabon und in Helsinki, ohne Probleme. Ich glaube, wir müssen positiv, wir müssen mehr über Europa reden, optimistisch. Wenn Sie sich erinnern, wir hatten doch diese Idee mit dem "Café d'Europe", typisch wienerisch natürlich, wir haben diese Kaffeehauskultur, da lädt man Freunde ein und dann diskutiert man. Und das wollen wir eigentlich auf europäischer Ebene in einem, sozusagen in einem Dauerzustand. Wir können doch stolz sein auf dieses Europa.

Sagenschneider: Herr Prosl, ich danke Ihnen. Christian Prosl war das, der österreichische Botschafter in Deutschland.
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