"Es gibt eine Grenze der Zumutbarkeit"
Wenn man Friedhöfe wieder mehr ins öffentliche Leben rücken wolle und erreichen, dass Menschen sich auch mit den Fragen des Todes auseinander setzen, dann müsse man die Friedhöfe öffnen, sagt Jürgen Quandt, Geschäftsführer des Evangelischen Friedhofsverbands Berlin Stadtmitte, EVFBS - jedoch nicht uneingeschränkt.
Ralf bei der Kellen: In Berlin gehören die meisten historischen Friedhöfe den evangelischen Kirchengemeinden. Kommunale Friedhöfe wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts angelegt. Spätestens zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde klar, dass sich viele Friedhöfe nicht mehr selbst tragen können. Als Hauptgrund wird immer wieder die Urnenbestattung genannt, vor allem die Beisetzung in Urnengemeinschaftsgräbern, bekannt auch als Bestattung "unter der Wiese".
Um mit dieser Entwicklung umzugehen, gründete sich in Berlin im Februar 2009 der EVFBS - der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte, der mit seinen 40 Friedhöfen der größte in ganz Deutschland sein dürfte. Der Verband kümmert sich um den Erhalt der historischen Friedhöfe, arbeitet mit der Denkmalpflege zusammen und wirbt für Grabpatenschaften. Vor sechs Jahren legte der Berliner Senat in einem Friedhofsentwicklungsplan fest, dass 40 Prozent der vorhandenen Friedhofsflächen in Zukunft nicht mehr benötigt werden. Seitdem veräußert der EVFBS Friedhofsflächen, auf denen entweder nie bestattet wurde oder auf denen die letzte Bestattung schon über 40 Jahre zurückliegt.
Diese Flächen werden dann zu Parks oder Bauland. Die so gewonnen Gelder werden in den Erhalt der historischen Friedhöfe investiert. Wenn es um Kultur auf Friedhöfen geht, ist in Berlin der EVFBS Hauptansprechpartner. Geschäftsführer der Körperschaft des öffentlichen Rechts mit über 100 Angestellten ist der Pfarrer im Ruhestand Jürgen Quandt. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und wollte zunächst wissen, welche Bandbreite Kultur auf Friedhöfen heute hat. Die meisten Menschen werden bei dem Begriff zunächst an Lesungen und klassische Konzerte denken - aber es gibt ja noch viel mehr.
Jürgen Quandt: Na ja, das ist eine Entwicklung, die gerade erst beginnt, würde ich sagen. Das ist auch eher befremdlich für viele, also allein schon die Frage: Was für kulturelle Angebote sozusagen oder Veranstaltungen gibt es auf Friedhöfen? Als ich angefangen habe vor einigen Jahren, mich mit diesen Fragen zu beschäftigen, habe ich mich damit auch auseinandersetzen müssen, dass Friedhofsverwalter zum Beispiel oder überhaupt auch Friedhofsträger natürlich die Friedhofskapellen, die ja, wenn Sie so wollen, kleine Kirchen sind, also auf kirchlichen Friedhöfen, eben nur zu Trauerfeiern geöffnet sind und ansonsten eben verschlossen sind. Das ist der Regelfall bis heute.
Ich selber bin Gemeindepfarrer hier in Kreuzberg seit Jahrzehnten und habe mit einer großen Kirche aus dem ... also einem großen Kirchengebäude aus dem 19. Jahrhundert als Gemeindepfarrer zu tun gehabt, wo sich vor 30 Jahren im Prinzip die gleiche Frage gestellt hat: Wie können wir in einer völlig veränderten Situation mit einem solchen Gebäude noch Gemeinde abbilden, Gottesdienste feiern? Und wir haben daraus die Schlussfolgerung gezogen: Wir müssen unsere Kirche so umgestalten, dass Sie zugänglich ist an allen Tagen der Woche, also offen ist, und dass dort mehr als nur der sonntägliche Gottesdienst stattfinden kann.
Und das ist eigentlich auch nach meinem Dafürhalten eine Frage, die auch hier an die Situation auf den Friedhöfen zu stellen ist: Wenn man möchte, dass die Menschen sich mit diesen Orten auch wieder auseinandersetzen, dass sie sich auch mit Fragen des Todes beschäftigen, dann muss man die Friedhöfe öffnen, dass die Menschen sich eingeladen fühlen, diese Orte auch wahrzunehmen.
Das geschieht zunehmend, sie sind natürlich auch Grünflächen innerhalb der Stadt, sie werden also auch als naturnahe Erholungsflächen wahrgenommen. Daraus ergeben sich auch manchmal gewisse Probleme und Konflikte, wenn beispielsweise manche denken, Sonnenbaden ist doch auch auf einer Wiese auf einem Friedhof was Schönes, dann ergeben sich daraus bestimmte Schwierigkeiten.
Kultur, würde ich sagen, haben Sie völlig recht, wenn Sie sagen, na, da vermutet man doch kleine Konzerte, Lesungen - damit fängt es jetzt hier und da auch an. Es gibt auch schon einzelne Beispiele dafür, dass Installationen von Künstlern auch auf Friedhöfen stattfinden. Natürlich ist ein Thema die Gestaltung von Grabmälern, das ist ja immer auch eine Herausforderung an die Kunst gewesen. Und da gibt es auch zunehmend Bildhauer, die sich eben nicht nur kunsthandwerklich sozusagen also auch mit dem Tod auseinandersetzen, sondern auch künstlerisch, und das findet man hier und da auf Friedhöfen, und eine weitere Möglichkeit der Öffnung sind Friedhofscafés.
Also da gibt es ein Beispiel hier in Berlin seit einigen Jahren, das wird sehr gut angenommen, auf dem Alten St.-Matthäus-Friedhof, und wir werden jetzt also nach dem Sommer hier an der Bergmannstraße, wo wir uns jetzt hier gerade aufhalten, auch ein erstes Friedhofscafé des Friedhofsverbandes eröffnen, Räumlichkeiten, die direkt anliegen an einer Friedhofskapelle, wo auch Beisetzungen durchgeführt werden.
Ralf bei der Kellen: Wenn es um Kultur auf Friedhöfen geht, dann wird vielen Menschen ja relativ schnell das Stichwort Pietät einfallen. Die meisten Menschen gehen ja nach wie vor auf den Friedhof, weil sie dort um jemanden trauern, und da kann es ja auch durchaus mal passieren, dass jemand, der sich noch in einem aktiven Trauerprozess befindet, weil er erst kürzlich jemanden verloren, dass der oder die sich dann daran stört, dass da Musik gemacht wird, vielleicht auch mal ausgelassen gelacht wird. Wo ist da die Grenze, was würden Sie sagen?
Quandt: Das ist relativ, aber es gibt eine, ja, auch eine Grenze der Zumutbarkeit. Wir haben besondere Probleme an einer Stelle, wo eine Friedhofskapelle abgegeben worden ist an eine Theatergruppe. Und das ist zu Zeiten geschehen, da gab es diesen Friedhofsverband noch gar nicht, sondern das hat die Eigentümergemeinde in der Vergangenheit zugelassen. Und Hintergrund dafür ist auch, dass da öffentliche Mittel in die Sanierung dieser Kapelle geflossen sind und der Bezirk ein Interesse daran hatte - weil das eben ein Friedhof ist, ein kleiner Friedhof, auf dem auch nicht mehr viele Beisetzungen durchgeführt werden, aber immer noch -, ein Interesse daran hatte, in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlicher Gelder zur Sanierung dieses Gebäudes dort auch ein kulturelles Angebot zu machen.
So. Und da hat sich nun etwas entwickelt, was aus Sicht etlicher Friedhofsnutzer grenzwertig ist, so würde ich es mal sagen. Also da finden eben regelmäßig Theaterveranstaltungen statt, da gab es auch immer wieder die Frage der Mieter dieser Kapelle, ob sie da nicht auch im Außenbereich Gastronomie betreiben können, was dann irgendwie doch bedeutet hätte, Alkoholausschank und lange Öffnungszeiten - das bereitet uns Probleme. Das haben wir bisher immer ablehnen müssen. Inzwischen ist diese Kapelle auch bepflastert mit Plakaten und Graffitis und da gibt es Beschwerden, und die sind aus meiner Sicht nicht unberechtigt.
Und da gibt es also eine Schnittstelle, die ist nicht konfliktlos sozusagen zu behandeln. Wie wir damit langfristig klarkommen, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass der Bezirksbürgermeister dieses Bezirks ein großes Interesse daran hat, dass dieses kulturelle Projekt erhalten bleibt, so. Das bereitet uns Schwierigkeiten.
An anderer Stelle ist es ganz anders: Es gibt hier ein paar Leute, die sehr eng mit der Stiftung Historische Friedhöfe und uns zusammenarbeiten, die angefangen haben im letzten Sommer, kleine Konzerte in einer Friedhofskapelle in Stadtmitte durchzuführen, und jetzt in diesem Sommer das ausgeweitet haben auch auf Aufführungen hier in Kreuzberg in der Bergmannstraße, in einer Kapelle in Neukölln - da gibt es überhaupt gar keine Probleme. Und das sind dann auch keine Rockkonzerte oder sonst was, sondern das sind ja kleine Veranstaltungen, die immer nur innerhalb der Öffnungszeiten der Friedhöfe auch stattfinden. Das gilt übrigens auch für solche Friedhofscafés, die wir einrichten. Die sind dann nur geöffnet, diese Lokalitäten, solange die Friedhöfe auch geöffnet sind. Wenn die Friedhofstore geschlossen sind, dann ist eben auch dieser Betrieb dort geschlossen. Also da gibt es Grenzen, die muss man ausloten.
Das andere ist: Es gibt natürlich viele Menschen, die Friedhöfe gerade im Innern der Stadt eben, wie ich eingangs schon sagte, als Erholungsflächen wahrnehmen. Und da gibt es auch natürlich unterschiedliche Verhaltensweisen. Die einen sagen: Ich kann hier mit meinem Kind im Kinderwagen spazieren gehen und es ist Ruhe und ich höre Vögel und ich kann Bäume bewundern und Blumen - das ist überhaupt kein Problem. Und dann gibt es die anderen, die morgens, bevor sie zur Arbeit gehen, noch eine Runde joggen müssen und den Friedhof vor der Tür haben und denken, na, ist doch wunderbar, da kann ich jetzt mal meine Joggingrunden drehen. Das passt nicht auf den Friedhof. Oder andere, die sagen, ach, da gibt es ja eine wunderbare Abkürzung über den Friedhof und dann brauche ich nicht mit meinem Fahrrad durch die verkehrsreichen Straßen drum herum, sondern dann fahre ich mit meinem Fahrrad mal glatt durch. Das sind also nicht verträgliche Nutzungen. Da gibt es einfach Konflikte, Probleme. Damit muss man irgendwie umgehen.
Ralf bei der Kellen: Wenn jetzt Organisatoren Kulturveranstaltungen auf einem Friedhof planen, also zum Beispiel so ein Verein wie Friedhofsmuseum e.V., treten die eigentlich auch an die Kirche heran? Also holen die sich bei Ihnen ganz konkret Beratung, wenn es darum geht, was können wir machen und was können wir nicht machen?
Quandt: Also die gestalten ihr Programm, ihr künstlerisches Programm selber, und da bin ich auch sehr froh drüber, die verstehen davon mehr als wir. Aber wir gucken uns natürlich an, was die vorhaben, und das stimmen wir miteinander ab. Und wenn der Eindruck entstehen sollte, dass das nicht zuträglich oder passend ist für einen Friedhof, dann müssen wir darüber reden. Den Eindruck habe ich bisher nicht. Aber wir sind da auch jetzt nur in der Weise hilfreich, wenn Sie so wollen, als wir eben unentgeltlich unsere Räumlichkeiten, also die Kapellen, zur Verfügung stellen. Alles andere müssen die selber organisieren, machen, auch auf eigenes Risiko.
Ralf bei der Kellen: Geht es bei solchen Kulturveranstaltungen nicht letztlich auch immer darum, wie wir es ja auch vorhin im Beitrag gehört haben, dass die Lebenden wieder stärker auf die Friedhöfe geholt werden, um eben den Menschen zu zeigen: Hier, es gibt eine Bestattungskultur?
Quandt: Also das ist unsere Interesse und unser Ziel. Wir werden also auf lange Sicht die Begräbnisstätten in dieser Stadt, die Friedhöfe, nur als wichtigen Teil auch des kulturellen Gedächtnisses dieser Stadt erhalten können, wenn es ein öffentliches Bewusstsein gibt, dass das wichtig und unverzichtbar ist, also auch für unser eigenes Dasein, für unsere eigene Kultur. Wenn das nicht da ist, dieses Bewusstsein, dann werden solche Orte zwangsläufig verfallen, auch wenn sich Einzelne da vielleicht bemühen. Es muss so etwas wie ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein entstehen.
Und das bedeutet einerseits, dass also auf der Ebene der Politik ein Bewusstsein dafür vorhanden sein muss, auch die Bereitschaft entstehen muss, die finanziellen Mittel, die dazu erforderlich sind, wie auch immer bereitzustellen, das ist das eine. Es muss aber auch ein privates Engagement entstehen, und das kann eigentlich nur entstehen, wenn Menschen diese Friedhöfe auch als Orte erleben, die etwas für sie bedeuten, vielleicht auch mit ihrem Leben etwas zu tun hat, und nicht erst dann, wenn sie selber eine Grabstelle auf einem Friedhof besuchen, sondern wenn sie eben Friedhöfe auch wahrnehmen als wichtige Orte im Leben, als Orte etwa der Erinnerung. Und das finde ich ganz wichtig.
Ralf bei der Kellen: Theodor Fontane hat ja mal gesagt: Nichts ist lebendiger als ein Friedhof. Stimmen Sie dem zu?
Quandt: Ja, ich wohne auf einem Friedhof, also auf dem Friedhof, der ehemals meiner Gemeinde gehörte, also dem Heilig-Kreuz-Friedhof, und von daher weiß ich, wie lebendig auch das Leben auf einem Friedhof sein kann. Und natürlich ist es so - und das erleben wir jetzt auch hier, seit wir mit unserer Geschäftsstelle hier auf einem Friedhof uns angesiedelt haben vor einem Jahr -, dass natürlich nach wie vor glücklicherweise immer noch viele Menschen diese Friedhöfe aufsuchen aus unterschiedlichen Gründen, aber vor allen Dingen eben auch Menschen, die hier natürlich Gräber besuchen, die auch Friedhöfe als Orte wahrnehmen der Trauerbewältigung und Orte, wo sie Trost finden.
Deswegen ist zum Beispiel ganz wichtig, dass wir hier auch Ansprechpartner sind, also auf diesen Friedhöfen. Das ist leider nicht mehr überall in dem Maße zu gewährleisten, wie das in der Vergangenheit war - das ist ein Verlust. Und deswegen ist es gut, wenn wir jetzt nicht mehr auf jedem Friedhof eine eigene Verwaltung also haben können, andere Anlässe zu schaffen, wo so etwas wie eine gewisse Öffentlichkeit entsteht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Um mit dieser Entwicklung umzugehen, gründete sich in Berlin im Februar 2009 der EVFBS - der Evangelische Friedhofsverband Berlin Stadtmitte, der mit seinen 40 Friedhöfen der größte in ganz Deutschland sein dürfte. Der Verband kümmert sich um den Erhalt der historischen Friedhöfe, arbeitet mit der Denkmalpflege zusammen und wirbt für Grabpatenschaften. Vor sechs Jahren legte der Berliner Senat in einem Friedhofsentwicklungsplan fest, dass 40 Prozent der vorhandenen Friedhofsflächen in Zukunft nicht mehr benötigt werden. Seitdem veräußert der EVFBS Friedhofsflächen, auf denen entweder nie bestattet wurde oder auf denen die letzte Bestattung schon über 40 Jahre zurückliegt.
Diese Flächen werden dann zu Parks oder Bauland. Die so gewonnen Gelder werden in den Erhalt der historischen Friedhöfe investiert. Wenn es um Kultur auf Friedhöfen geht, ist in Berlin der EVFBS Hauptansprechpartner. Geschäftsführer der Körperschaft des öffentlichen Rechts mit über 100 Angestellten ist der Pfarrer im Ruhestand Jürgen Quandt. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und wollte zunächst wissen, welche Bandbreite Kultur auf Friedhöfen heute hat. Die meisten Menschen werden bei dem Begriff zunächst an Lesungen und klassische Konzerte denken - aber es gibt ja noch viel mehr.
Jürgen Quandt: Na ja, das ist eine Entwicklung, die gerade erst beginnt, würde ich sagen. Das ist auch eher befremdlich für viele, also allein schon die Frage: Was für kulturelle Angebote sozusagen oder Veranstaltungen gibt es auf Friedhöfen? Als ich angefangen habe vor einigen Jahren, mich mit diesen Fragen zu beschäftigen, habe ich mich damit auch auseinandersetzen müssen, dass Friedhofsverwalter zum Beispiel oder überhaupt auch Friedhofsträger natürlich die Friedhofskapellen, die ja, wenn Sie so wollen, kleine Kirchen sind, also auf kirchlichen Friedhöfen, eben nur zu Trauerfeiern geöffnet sind und ansonsten eben verschlossen sind. Das ist der Regelfall bis heute.
Ich selber bin Gemeindepfarrer hier in Kreuzberg seit Jahrzehnten und habe mit einer großen Kirche aus dem ... also einem großen Kirchengebäude aus dem 19. Jahrhundert als Gemeindepfarrer zu tun gehabt, wo sich vor 30 Jahren im Prinzip die gleiche Frage gestellt hat: Wie können wir in einer völlig veränderten Situation mit einem solchen Gebäude noch Gemeinde abbilden, Gottesdienste feiern? Und wir haben daraus die Schlussfolgerung gezogen: Wir müssen unsere Kirche so umgestalten, dass Sie zugänglich ist an allen Tagen der Woche, also offen ist, und dass dort mehr als nur der sonntägliche Gottesdienst stattfinden kann.
Und das ist eigentlich auch nach meinem Dafürhalten eine Frage, die auch hier an die Situation auf den Friedhöfen zu stellen ist: Wenn man möchte, dass die Menschen sich mit diesen Orten auch wieder auseinandersetzen, dass sie sich auch mit Fragen des Todes beschäftigen, dann muss man die Friedhöfe öffnen, dass die Menschen sich eingeladen fühlen, diese Orte auch wahrzunehmen.
Das geschieht zunehmend, sie sind natürlich auch Grünflächen innerhalb der Stadt, sie werden also auch als naturnahe Erholungsflächen wahrgenommen. Daraus ergeben sich auch manchmal gewisse Probleme und Konflikte, wenn beispielsweise manche denken, Sonnenbaden ist doch auch auf einer Wiese auf einem Friedhof was Schönes, dann ergeben sich daraus bestimmte Schwierigkeiten.
Kultur, würde ich sagen, haben Sie völlig recht, wenn Sie sagen, na, da vermutet man doch kleine Konzerte, Lesungen - damit fängt es jetzt hier und da auch an. Es gibt auch schon einzelne Beispiele dafür, dass Installationen von Künstlern auch auf Friedhöfen stattfinden. Natürlich ist ein Thema die Gestaltung von Grabmälern, das ist ja immer auch eine Herausforderung an die Kunst gewesen. Und da gibt es auch zunehmend Bildhauer, die sich eben nicht nur kunsthandwerklich sozusagen also auch mit dem Tod auseinandersetzen, sondern auch künstlerisch, und das findet man hier und da auf Friedhöfen, und eine weitere Möglichkeit der Öffnung sind Friedhofscafés.
Also da gibt es ein Beispiel hier in Berlin seit einigen Jahren, das wird sehr gut angenommen, auf dem Alten St.-Matthäus-Friedhof, und wir werden jetzt also nach dem Sommer hier an der Bergmannstraße, wo wir uns jetzt hier gerade aufhalten, auch ein erstes Friedhofscafé des Friedhofsverbandes eröffnen, Räumlichkeiten, die direkt anliegen an einer Friedhofskapelle, wo auch Beisetzungen durchgeführt werden.
Ralf bei der Kellen: Wenn es um Kultur auf Friedhöfen geht, dann wird vielen Menschen ja relativ schnell das Stichwort Pietät einfallen. Die meisten Menschen gehen ja nach wie vor auf den Friedhof, weil sie dort um jemanden trauern, und da kann es ja auch durchaus mal passieren, dass jemand, der sich noch in einem aktiven Trauerprozess befindet, weil er erst kürzlich jemanden verloren, dass der oder die sich dann daran stört, dass da Musik gemacht wird, vielleicht auch mal ausgelassen gelacht wird. Wo ist da die Grenze, was würden Sie sagen?
Quandt: Das ist relativ, aber es gibt eine, ja, auch eine Grenze der Zumutbarkeit. Wir haben besondere Probleme an einer Stelle, wo eine Friedhofskapelle abgegeben worden ist an eine Theatergruppe. Und das ist zu Zeiten geschehen, da gab es diesen Friedhofsverband noch gar nicht, sondern das hat die Eigentümergemeinde in der Vergangenheit zugelassen. Und Hintergrund dafür ist auch, dass da öffentliche Mittel in die Sanierung dieser Kapelle geflossen sind und der Bezirk ein Interesse daran hatte - weil das eben ein Friedhof ist, ein kleiner Friedhof, auf dem auch nicht mehr viele Beisetzungen durchgeführt werden, aber immer noch -, ein Interesse daran hatte, in Verbindung mit der Bereitstellung öffentlicher Gelder zur Sanierung dieses Gebäudes dort auch ein kulturelles Angebot zu machen.
So. Und da hat sich nun etwas entwickelt, was aus Sicht etlicher Friedhofsnutzer grenzwertig ist, so würde ich es mal sagen. Also da finden eben regelmäßig Theaterveranstaltungen statt, da gab es auch immer wieder die Frage der Mieter dieser Kapelle, ob sie da nicht auch im Außenbereich Gastronomie betreiben können, was dann irgendwie doch bedeutet hätte, Alkoholausschank und lange Öffnungszeiten - das bereitet uns Probleme. Das haben wir bisher immer ablehnen müssen. Inzwischen ist diese Kapelle auch bepflastert mit Plakaten und Graffitis und da gibt es Beschwerden, und die sind aus meiner Sicht nicht unberechtigt.
Und da gibt es also eine Schnittstelle, die ist nicht konfliktlos sozusagen zu behandeln. Wie wir damit langfristig klarkommen, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass der Bezirksbürgermeister dieses Bezirks ein großes Interesse daran hat, dass dieses kulturelle Projekt erhalten bleibt, so. Das bereitet uns Schwierigkeiten.
An anderer Stelle ist es ganz anders: Es gibt hier ein paar Leute, die sehr eng mit der Stiftung Historische Friedhöfe und uns zusammenarbeiten, die angefangen haben im letzten Sommer, kleine Konzerte in einer Friedhofskapelle in Stadtmitte durchzuführen, und jetzt in diesem Sommer das ausgeweitet haben auch auf Aufführungen hier in Kreuzberg in der Bergmannstraße, in einer Kapelle in Neukölln - da gibt es überhaupt gar keine Probleme. Und das sind dann auch keine Rockkonzerte oder sonst was, sondern das sind ja kleine Veranstaltungen, die immer nur innerhalb der Öffnungszeiten der Friedhöfe auch stattfinden. Das gilt übrigens auch für solche Friedhofscafés, die wir einrichten. Die sind dann nur geöffnet, diese Lokalitäten, solange die Friedhöfe auch geöffnet sind. Wenn die Friedhofstore geschlossen sind, dann ist eben auch dieser Betrieb dort geschlossen. Also da gibt es Grenzen, die muss man ausloten.
Das andere ist: Es gibt natürlich viele Menschen, die Friedhöfe gerade im Innern der Stadt eben, wie ich eingangs schon sagte, als Erholungsflächen wahrnehmen. Und da gibt es auch natürlich unterschiedliche Verhaltensweisen. Die einen sagen: Ich kann hier mit meinem Kind im Kinderwagen spazieren gehen und es ist Ruhe und ich höre Vögel und ich kann Bäume bewundern und Blumen - das ist überhaupt kein Problem. Und dann gibt es die anderen, die morgens, bevor sie zur Arbeit gehen, noch eine Runde joggen müssen und den Friedhof vor der Tür haben und denken, na, ist doch wunderbar, da kann ich jetzt mal meine Joggingrunden drehen. Das passt nicht auf den Friedhof. Oder andere, die sagen, ach, da gibt es ja eine wunderbare Abkürzung über den Friedhof und dann brauche ich nicht mit meinem Fahrrad durch die verkehrsreichen Straßen drum herum, sondern dann fahre ich mit meinem Fahrrad mal glatt durch. Das sind also nicht verträgliche Nutzungen. Da gibt es einfach Konflikte, Probleme. Damit muss man irgendwie umgehen.
Ralf bei der Kellen: Wenn jetzt Organisatoren Kulturveranstaltungen auf einem Friedhof planen, also zum Beispiel so ein Verein wie Friedhofsmuseum e.V., treten die eigentlich auch an die Kirche heran? Also holen die sich bei Ihnen ganz konkret Beratung, wenn es darum geht, was können wir machen und was können wir nicht machen?
Quandt: Also die gestalten ihr Programm, ihr künstlerisches Programm selber, und da bin ich auch sehr froh drüber, die verstehen davon mehr als wir. Aber wir gucken uns natürlich an, was die vorhaben, und das stimmen wir miteinander ab. Und wenn der Eindruck entstehen sollte, dass das nicht zuträglich oder passend ist für einen Friedhof, dann müssen wir darüber reden. Den Eindruck habe ich bisher nicht. Aber wir sind da auch jetzt nur in der Weise hilfreich, wenn Sie so wollen, als wir eben unentgeltlich unsere Räumlichkeiten, also die Kapellen, zur Verfügung stellen. Alles andere müssen die selber organisieren, machen, auch auf eigenes Risiko.
Ralf bei der Kellen: Geht es bei solchen Kulturveranstaltungen nicht letztlich auch immer darum, wie wir es ja auch vorhin im Beitrag gehört haben, dass die Lebenden wieder stärker auf die Friedhöfe geholt werden, um eben den Menschen zu zeigen: Hier, es gibt eine Bestattungskultur?
Quandt: Also das ist unsere Interesse und unser Ziel. Wir werden also auf lange Sicht die Begräbnisstätten in dieser Stadt, die Friedhöfe, nur als wichtigen Teil auch des kulturellen Gedächtnisses dieser Stadt erhalten können, wenn es ein öffentliches Bewusstsein gibt, dass das wichtig und unverzichtbar ist, also auch für unser eigenes Dasein, für unsere eigene Kultur. Wenn das nicht da ist, dieses Bewusstsein, dann werden solche Orte zwangsläufig verfallen, auch wenn sich Einzelne da vielleicht bemühen. Es muss so etwas wie ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein entstehen.
Und das bedeutet einerseits, dass also auf der Ebene der Politik ein Bewusstsein dafür vorhanden sein muss, auch die Bereitschaft entstehen muss, die finanziellen Mittel, die dazu erforderlich sind, wie auch immer bereitzustellen, das ist das eine. Es muss aber auch ein privates Engagement entstehen, und das kann eigentlich nur entstehen, wenn Menschen diese Friedhöfe auch als Orte erleben, die etwas für sie bedeuten, vielleicht auch mit ihrem Leben etwas zu tun hat, und nicht erst dann, wenn sie selber eine Grabstelle auf einem Friedhof besuchen, sondern wenn sie eben Friedhöfe auch wahrnehmen als wichtige Orte im Leben, als Orte etwa der Erinnerung. Und das finde ich ganz wichtig.
Ralf bei der Kellen: Theodor Fontane hat ja mal gesagt: Nichts ist lebendiger als ein Friedhof. Stimmen Sie dem zu?
Quandt: Ja, ich wohne auf einem Friedhof, also auf dem Friedhof, der ehemals meiner Gemeinde gehörte, also dem Heilig-Kreuz-Friedhof, und von daher weiß ich, wie lebendig auch das Leben auf einem Friedhof sein kann. Und natürlich ist es so - und das erleben wir jetzt auch hier, seit wir mit unserer Geschäftsstelle hier auf einem Friedhof uns angesiedelt haben vor einem Jahr -, dass natürlich nach wie vor glücklicherweise immer noch viele Menschen diese Friedhöfe aufsuchen aus unterschiedlichen Gründen, aber vor allen Dingen eben auch Menschen, die hier natürlich Gräber besuchen, die auch Friedhöfe als Orte wahrnehmen der Trauerbewältigung und Orte, wo sie Trost finden.
Deswegen ist zum Beispiel ganz wichtig, dass wir hier auch Ansprechpartner sind, also auf diesen Friedhöfen. Das ist leider nicht mehr überall in dem Maße zu gewährleisten, wie das in der Vergangenheit war - das ist ein Verlust. Und deswegen ist es gut, wenn wir jetzt nicht mehr auf jedem Friedhof eine eigene Verwaltung also haben können, andere Anlässe zu schaffen, wo so etwas wie eine gewisse Öffentlichkeit entsteht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.