"Es gibt da unterschiedliche Lebenswege, die da auch kaputtgegangen sind"

Reinhold Beckmann im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 13.01.2011
Der ARD-Journalist Reinhold Beckmann war als junger Kameraassistent dabei, als Udo Lindenberg 1983 in der DDR auftrat. In seiner Dokumentation "Akte Lindenberg" erinnert er sich an das Konzert.
Stephan Karkowsky: Heute Abend ist es so weit, heute hat das Udo-Lindenberg-Musical in Berlin Premiere, und passend dazu dokumentiert Reinhold Beckmann heute Abend im Ersten seine ganz persönliche Udo-Story. Beckmann war als junger Kameraassistent dabei, als Lindenberg 1983 in der DDR auftrat. Michael Meyer stellt den Film vor.

Beitrag von Michael Meyer

Ich begrüße den Macher und Erzähler dieser Dokumentation Reinhold Beckmann. Guten Morgen!

Reinhold Beckmann: Ja, schönen guten Morgen!

Karkowsky: 1983 – Lindenberg mit Vokuhila, Sie selbst 27 Jahre jung und Tonassistent. Waren Sie eigentlich Fan?

Beckmann: Ja, ich war schon Fan, also ich war damals noch Fan dieser bekloppten Inszenierung von Udo Lindenberg. Es gab ja die Ball-Pompös-Tournee, Zadek hatte ja glaube ich zwei Tourneen insgesamt mitgestaltet. Ich kann mich noch an ein Konzert in Bremen erinnern, das war in der Stadthalle, sollte um acht Uhr beginnen, um acht Uhr stand aber nichts auf der Bühne, kein Verstärker, kein Instrument. Da war das Panikorchester irgendwo im Stau stecken geblieben, und dann kamen die so um viertel nach acht und bauten ganz schnell auf und begannen das Konzert, ohne dass die Anlage komplett aufgebaut war, und die ersten Stücke spielten sie, obwohl da noch die Roadies drum herum bauten, und das war irgendwie ein eigenes Spektakel. Und aus diesem Druck entstand eben ein großartiges Konzert. Also ich habe damals Lindenberg mehrmals gesehen, ja.

Karkowsky: Und vor allen Dingen waren Sie 83 dann mit ihm in Ostberlin. Wie kommt es denn, dass Sie uns erst heute, also fast 28 Jahre später, diese Geschichte erzählen?

Beckmann: Das frage ich mich auch. Also Sie haben vollkommen recht, im Grunde genommen war auch immer das so mein Bedürfnis, ich wollte die Geschichte noch mal nacherzählen, weil bestimmte Dinge waren mir damals einfach auch nicht klar. Also ich ... Für uns war das ja auch eine gespenstische Situation, ich war nie zuvor in einem Raum, in einer Halle mit 3000 Blauhänden, und habe das natürlich auch nicht alles verstanden, was da im Hintergrund ablief.

Und jetzt, wo auch einige Kulturfunktionäre aus der zweiten und dritten Reihe der DDR auch reden und die Tür aufmachen und auch noch mal über gewisse Hintergründe erzählen, die auf der anderen Seite, aber auch Fritz Rau oder Udo Lindenberg selbst, tun sich ja ein paar neue Wahrheiten auf.

Karkowsky: Ich habe heute in der Kantine mit ein paar jüngeren Kollegen zusammengesessen, die kannten nicht mal mehr die Texte, und in dem Sinne denke ich mal ist es wichtig, dass Sie vielleicht denen, die die DDR nicht mehr kennen, erklären: Was für eine Reise war das, 83 einen Westkünstler nach drüben zu begleiten?

Beckmann: Es war ein hohes Politikum, es war lange Zeit eingefädelt worden von Kulturfunktionären auf beiden Seiten und insbesondere von Fritz Rau, dem damaligen Konzertveranstalter, der viele große Künstler unter Vertrag hatte, unter anderem auch Harry Belafonte. Es war eine offizielle FDJ-Veranstaltung, Udo Lindenberg hat dort nur vier Stücke gespielt an dem Abend, war Teil eines großen Programms, der Haupt-Act war eigentlich Harry Belafonte. Damit hat sich damals auch Egon Krenz sehr geschmückt.

Und es war immer die Frage, und auch in der journalistischen und politischen Begleitung: Hat sich hier an dieser Stelle, an diesem Tag, in diesem Oktober 1983 Udo Lindenberg instrumentalisieren lassen? Er hat hoch gepokert, er wollte unbedingt die Tournee durch die DDR, und es gab natürlich in der DDR – das haben viele vergessen – einen hohen Zuspruch, also es gab "Das Mädchen aus Ostberlin", es gab "Rock’n-Roll-Arena in Jena", und es gab natürlich den "Sonderzug nach Pankow" inzwischen, das waren die drei Stücke, die auch Udos Verhältnis zu der DDR geprägt haben. Und mir ist an dem Tag klar geworden durch den Zuspruch draußen, vor der Halle, als Udo Lindenberg kurz rausging und wir versucht haben, ihn zu begleiten, was für eine emotionale Nähe da von vielen auf Udo niederging.

Karkowsky: Diese Dokumentation ist enorm spannend gemacht, es gibt die vielen Live-Ausschnitte, alte Lindenberg-Videos, das hätte ja schon gereicht für eine nette Unterhaltungsstory, aber Sie wollten noch mehr erzählen. War für Sie die wichtigste Frage tatsächlich: Hat sich Lindenberg instrumentalisieren lassen vom SED-Staat?

Beckmann: Na ja, ich glaube, zum Teil schon, aber ohne, dass er es letztlich wusste. Die Enttäuschung kam erst später, weil es ist ja nie zur Tournee gekommen, es blieb – das ist ja das Enttäuschende –, es blieb ja bei diesem einzigen Auftritt. Es war ja der Wunsch von Lindenberg und es gab eine vertragliche Zusage seitens der DDR, dass es eine Tournee danach geben würde, wenn er diese FDJ-Veranstaltung machen würde, dann würde es eine richtig große Tournee geben. Es ist nie eingelöst worden. Es gab dann einige Monate später diese schriftlich formulierte Absage an Lindenberg, aus, vorbei, das Risiko war zu groß.

Karkowsky: Im Film ist der ehemalige FDJ-Chef Krenz zu sehen als Gastgeber, Lindenberg spricht da, Fans von damals sind zu hören, ehemalige Funktionäre, die Panikband. Gibt es andere, die Sie gern gefragt hätten, die aber nichts sagen wollten?

Beckmann: Also wir haben natürlich lange an Egon Krenz gearbeitet, der hat natürlich nicht von Beginn an zugesagt, das war schon, hat ein bisschen gedauert, den zu überreden. Ich bin sehr froh, dass es dann auch zu dieser Auseinandersetzung und diesem Austausch der unterschiedlichen Positionen kommt in dem Film.

Für mich war es wichtig, auch einen Zugang zu finden zu den Kulturfunktionären, die das im Hintergrund eingetütet haben, wo auch Lebenswege kaputt gegangen sind. Wenn Sie mal an die Figur Heinemann denken, der sich oft mit Lindenberg getroffen hat in Ostberlin, der das eigentlich alles eingetütet hat, ...

Karkowsky: Der war, was war der?

Beckmann: Er war in der Kulturebene, auf der zweiten, dritten Ebene, und hat dann ... nachher wurde er gezwungen, die Absage schriftlich zu unterschreiben, obwohl er dagegen war. Danach ging bei dem nichts mehr in seiner DDR-Biografie. Also es gibt da unterschiedliche Lebenswege, die da auch kaputtgegangen sind an der Stelle.

Karkowsky: Im Saal, also das Publikum, waren nur ausgewählte Funktionäre, Linientreue. Lindenbergs Unterhändler vermutet im Film, auch die damalige FDJ-Funktionärin Angela Merkel sei da gewesen. Haben Sie denn die Kanzlerin mal danach fragen können?

Beckmann: Nein, das ist mehr eine rhetorische Einlassung, also ich glaube nicht, dass sie da vor Ort war, und man sieht ja das Schmunzeln bei ihm, wenn er das sagt. Es ist mehr eine rhetorische Einlassung. Es könnte möglicherweise sein, dass sie dort gewesen wäre. Nehmen wir das mal nicht so ernst an der Stelle.

Karkowsky: Gucken wir uns dann als Schlagzeile an morgen.

Beckmann: Ja.

Karkowsky: Wie sieht denn Udo Lindenberg das eigentlich selbst zur Frage, ob er sich hat instrumentalisieren lassen?

Beckmann: Ich glaube, dass er an dem Abend selber schon den ersten großen Schock gekriegt hat. Es gibt ja diese Szene zum Schluss, da stehen alle vorne am Bühnenrand und singen "We shall overcome". Es war ja eine Veranstaltung mit vielen Künstlern, Harry Belafonte war sozusagen der Haupt-Act, mit dem sich Egon Krenz natürlich schmückte und den auch alleine unbedingt vom Flughafen abholen wollte, da sollte ihm nicht Lindenberg dazwischenkommen, deshalb musste Lindenberg ja nach dem Grenzübergang erst mal eine Viertelstunde rumstehen und warten, damit das Timing wieder richtig war.

Und am Ende dieses Konzerts gab es dieses Tutti, dieses gemeinsame Singen von "We shall overcome" mit allen Künstlern – nur Lindenberg sitzt in dem Moment etwas verstohlen, verschüchtert am Schlagzeug und singt nicht mit und groovt nur so ein bisschen mit, und ich glaube, das war der Moment, wo er einfach gemerkt hat, Mist, ich bin hier, glaube ich, benutzt worden.

Karkowsky: Aber was für eine Frage ist das, wie wichtig ist das? Seinem Image bei den Fans in der DDR hat es nicht geschadet, oder? Also er sagt ja im Film, noch heute sei bei Auftritten in Ostdeutschland so eine Art Liebesbeziehung spürbar.

Beckmann: Ich glaube, das ist ja das, was ich auch erst da selbst persönlich an dem Abend verstanden habe, und zwar in dem Moment, als Lindenberg so nach der Probe, nach dem Soundcheck hat er sich so rausgestohlen aus der Halle, und wir haben das erst gar nicht gemerkt. Dann sagte Stefan, der Kameramann, Reinhold komm’, lass uns hinterhergehen, der geht da gerade alleine raus, das hatten auch die anderen Musiker gar nicht gemerkt. Dann haben wir schnell unseren Kram zusammengepackt, Kamera, und sind auch mit raus und haben das gedreht, daher kommen diese Bilder, wo er dann mitten in der Traube dieser Fans ist und dann auch zu denen redet, und das wird ja immer mehr.

Und die Situation eskaliert ja, und die DDR-Kontrollorgane da wollen das wieder in den Griff kriegen. Das ist ja eine spektakuläre Szene, die aber auch ausdrückt, welche emotionale Nähe auch zu den Fans da war. Ich weiß selber noch, ich hatte Freunde in Halle, die ich kurz vorher besucht hatte, und dann habe ich einfach gemerkt, welche Bedeutung Lindenberg für die Musikszene und für die Menschen, für die jungen Leute im Osten hatte. Das war einfach so.

Karkowsky: Reinhold Beckmann erzählt uns heute Abend um 23.30 Uhr im Ersten von der "Akte Lindenberg: Udo und die DDR". Herr Beckmann, danke für das Gespräch!

Beckmann: Danke Ihnen, vielen Dank!
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