Es geschah in Tiefenort
Sonntag, der 3.12.1989 - früher Mittag. Die Menschen in der thüringischen Gemeinde Tiefenort scheinen fast ausnahmslos auf den Straßen unterwegs zu sein. Sie reihen sich Mensch an Mensch, Hand in Hand, bilden eine Kette. Pfarrer Helmut Sobko und die Kirchengemeinde haben dazu aufgerufen, einem DDR-weiten Ruf kirchlicher Gruppierungen zu folgen: einer Menschenkette für die Erneuerung und Demokratisierung der Gesellschaft.
Kreuz und Quer durch die DDR. Sobko fährt mit einem Fernsehteam des HR die Strecke ab, von Tiefenort über Nachbargemeinden bis über den Grenzübergang Philippstal und hinein in die BRD. Der Länderreport besucht den Ort, den Pfarrer, seine Familie und erinnert an diesen Tag deutsch-deutscher Geschichte.
Werner Krah: "Hier sehen Sie: der Aufruf an der Tiefenorter Kirche zur Menschenkette am 3. Dezember um 12 Uhr, mit Bildern am Weißen Stein und auf der Frankfurter Straße in Richtung Kieselbach, Dorndorf, bis zur hessischen Grenze und auch weiter."
Werner Krah steht vor einer Fototafel – eine kleine Wanderausstellung widmet sich 20 Jahren friedlicher Revolution im Wartburgkreis. Krah ist so etwas wie der Ortschronist von Tiefenort und hat die Ausstellung mitorganisiert. Beim Anblick der frierenden, aber gut gelaunten Menschen auf den Fotos bekommt er glasige Augen.
Krah: "Ein Sonntag, ein frostiger Tag, es war leichter Schneefall, na ja, aber die Leute haben sich eben - das Wetter ist ja kein Hindernis - dementsprechend gekleidet. Ich war auch dabei, und zwar von Tiefenort in der Hälfte: wir sagen von der Salztröger Höhe bis hinunter zum Weißen Stein, dort habe ich gestanden mit meiner Familie, Es war ein sehr bewegendes Gefühl: teils Freude und auch Neugierigkeit auf die Zukunft, aber doch auch etwas Angst dabei. Denn man wusste ja nicht, wie alles enden wird. Es konnte ja auch eine Gegenrevolution entstehen, und dann, man weiß nicht, was dann geschehen wäre."
Ähnliche Befürchtungen hatte damals auch Helmut Sobko, seit Mitte der 80er-Jahre Pfarrer in Tiefenort, Antriebsmotor der lokalen Oppositionsbewegung und der Initiator der Menschenkette am 3. Dezember 1989.
Helmut Sobko: "Wir hatten gerade in unserer Region dadurch, dass dort dieser große Kalibetrieb war mit seiner großen Parteipräsenz der SED, wir hatten damals noch große Befürchtungen, dass das Rad doch zurückgedreht werden könnte und alles, was bisher in dieser Wendezeit erreicht worden ist, also wieder den Bach runtergeht, die Grenzen waren zwar schon offen, aber es war immer noch die Angst da, es war ja auch für viele Menschen so unglaublich, was da geschehen war, das Wort, das damals in jeder Munde war, war das Wort ‚Wahnsinn’. Viele dachten schon, dass dieser positive Wahnsinn irgendwie auch schon wieder hätte ein Ende finden können, weil vor allem wir am Ort merkten, da gibt es auch Leute, die gerne die Zeit zurückdrehen wollen."
Und dagegen, so der Pfarrer, musste ein Zeichen gesetzt werden. So ganz waren diese Befürchtungen auch nicht aus der Luft gegriffen. Denn neben kirchlichen Gruppierungen und dem ‚Neuen Forum’ hatte in Tiefenort auch die SED zur Teilnahme an der Menschenkette aufgerufen. So auch Helmut Lorenz, zwölf Jahre lang ehrenamtlicher SED-Parteisekretär im Ort.
Helmut Lorenz: "Und zwar aus innerer Überzeugung. Es ging mir darum, dass der ganze Umbruch friedlich geschieht. Und dass auf demokratischem Weg wir weiterkommen. Ich war nie dafür, dass die DDR aufhören sollte zu existieren. Und ich bin heute noch der Meinung, dass es ein Fehler war. Obwohl ich mir andererseits auch nicht vorstellen kann, wie es wäre, wenn die DDR als souveräner Staat geblieben wäre."
Um zwölf Uhr mittags an jenem kalten Sonntag, dem 3. Dezember 1989 läuteten für eine Viertelstunde die Glocken in Tiefenort. Die Menschen aus der Region strömten zusammen, aus Tiefenort kam mehr als die Hälfte der damals etwa 3500 Bewohner. Sie fassten sich an den Händen und bildeten eine zwölf Kilometer lange Menschenkette: von Tiefenort an die deutsch-deutsche Grenze bei Vacha und Philippsthal und noch ein paar hundert Meter weiter - rüber in den Westen. Dort, wo die Menschen sich nicht an den Händen fassen konnten, überbrückte man die Distanz mit bunten Bändern. Auch Susanne Sobko, die Tochter des Pfarrers war dabei - sie hatte schon an den Montagsdemonstrationen in Leipzig teilgenommen.
Susanne Sobko: "Natürlich war es sehr schön, dass das dann auch in meinen Heimatort rüber geschwappt ist, quasi die Revolution, also wenn man sich vorstellt, dass man mit Menschen sich an der Hand hält, die man sonst nicht unbedingt zu seinen Bekannten zählt, und das war ja auch das Phantastische an dieser Zeit, dass auch die Leute, die vorher sich als Gegner gesehen haben, plötzlich zusammengearbeitet haben, SED-Genossen waren mit dabei und sicher auch der eine oder andere Stasi-Spitzel sogar, und das, denke ich, war ein Vorteil dieser Zeit: dass man über seinen Schatten gesprungen ist, und das war schon schön, das zu sehen, dass es nun auch in der Provinz stattgefunden hat, die so genannte Wende."
Die meisten Teilnehmer an der Menschenkette ärgerten sich über die SED-Wendehälse in ihren Reihen. Fernsehaufnahmen des Hessischen Rundfunks von damals dokumentieren ihren Unmut.
Bürger 1: "Das finde ich jetzt ganz schuftig, was die sich jetzt rausnehmen, dass alles von der SED aus kommt, und bei uns stand jetzt auch in der Zeitung drin, dass die SED selbst aufruft für die Menschenkette, das finde ich nicht für richtig, was die sich einbilden jetzt, was die Menschheit jetzt fordert und weiter fordern wird, das machen die sich zu Nutzen jetzt, das ist nicht in Ordnung."
Bürgerin 2: "Also noch einmal solche Experimente machen 40 Jahre lang, das können wir uns nicht erlauben, dazu sind wir schon zu alt."
"40 Jahre Qualen – wir fordern freie Wahlen": Sprüche wie diese hatten einzelne Bürger auf Plakate und Transparente geschrieben. Wer mit dem Auto an der Menschenkette vorbeifahren wollte, wurde einfach angehalten und aufgefordert, sich einzureihen. Die meisten machten spontan mit - und für manch einen in Tiefenort war die Menschenkette am 3. Dezember 1989 eine Art Erweckungserlebnis.
Norbert Hill: "Also von innen raus?"
Zum Beispiel für den damaligen CDU-Vorsitzenden und Gemeindevorstand Norbert Hill.
Norbert Hill: "Meiner Meinung nach war das, nachdem die Menschenkette war, dass es sich auch wirklich in der richtigen Richtung entwickelt. Da war ich dann auch mit Herz und Seele dabei. Man ist eben immer ein bisschen vorsichtig gewesen früher. Man hat sich eben, wenn es irgend geht, nicht so weit aus dem Fenster hinausgelegt, nee."
Ortschronist Werner Krah, auch eher einer der Vorsichtigen in Tiefenort, ist bis heute beeindruckt von der Hartnäckigkeit der kirchlichen Oppositionsbewegung damals. Er hat noch den Handschuh eines Mitbürgers vor Augen, der vom vielen Demonstrieren über und über mit Kerzenwachs verklebt war.
Werner Krah: "Später hat man es sich, nach einigen Tagen oder auch Wochen, da hat man doch den Wunsch im Hinterkopf, und der ist dann auch von vielen geäußert worden bei den Demonstrationen: Deutschland, einig Vaterland. Ich war auch dafür. Wir haben dann auch schon tüchtig mitgemacht.
Und auch das Deutschlandlied, was ja eigentlich zu DDR-Zeiten verboten war und nur im geheimen Kämmerlein abends um zwölf Uhr abgehört werden durfte vom Westfunk, das haben wir dann schon beizeiten drauf gekriegt und laut gesungen. Ich bin ja auch im Gesangverein, in der Gaststätte haben wir dann schon geübt das Deutschlandlied."
Helmut Sobko: "Ich bin fest überzeugt: Bis noch weit in das neue Jahr 1990 hinein war die Mehrheit der Tiefenorter Bürger, wollte eine erneuerte DDR."
Für Gemeindepfarrer Helmut Sobko war die Auseinandersetzung mit der alten Obrigkeit noch nicht zu Ende. Denn zwei Wochen nach der Menschenkette zeigte die SED, dass sie immer noch viel Macht im Dorf hatte.
Helmut Sobko: "Da fand dann eine Gemeindevertretersitzung statt, und auf dieser Gemeindevertretersitzung wurde der damalige Bürgermeister im Ort, der sehr wendefreundlich war, und nicht nur freundlich war, der sich zu dieser Zeit schon ganz auf die Seite des Volkes, der Menschen gestellt hatte, ist der in einer Gemeindevertretersitzung abgewählt worden. Und zwar von den Genossen der SED, die die Mehrheit im Gemeindeparlament hatten."
Die Genossen verpassten dem Bürgermeister die Quittung dafür, dass er aus der Partei ausgetreten war und versuchte, in der neu gegründeten SPD unterzuschlüpfen.
Helmut Sobko: "Wir haben eine Unterschriftensammlung gemacht für unseren Wendebürgermeister, und die Mehrzahl der Bürger hat sich dafür ausgesprochen, dass er zumindest bis zu den Wahlen im Frühjahr Bürgermeister bleiben soll, weil wir wussten: Mit ihm zusammen können die Dinge weitergeführt werden. Und tatsächlich: Bei dieser zweiten Wahl haben dann notgedrungen auch die Genossen der SED ihn wieder gewählt. Wir haben ihnen vorher ganz deutlich gesagt, wer gegen diesen Bürgermeister ist, der aktiv für die Wende in Tiefenort eintritt, der ist gegen das Volk."
So erfolgreich Pfarrer Sobko und seine Mitstreiter im Kleinen waren, so wenig konnten sie das große Rad der Geschichte aufhalten. Immer wieder hatten sie die alte Staatsmacht provoziert, bis endlich im Herbst 89 auch die Bürger massenhaft in die Kirche gekommen waren und eine neue, eine bessere Republik gefordert hatten. Doch nun steuerte Deutschland auf die Wiedervereinigung zu. Und dafür sollte Helmut Sobko alle seine Ideale aufgeben?
Helmut Sobko: "Ich war mit vielen anderen schon enttäuscht, weil wir die Hoffnung hatten – heute würde ich vielleicht hinter die Hoffnung ein Fragezeichen setzen und vielleicht schreiben: War es eine Illusion? – Dass es eine erneuerte DDR und auch einen dritten Weg geben könnte. Diese Illusion hatten wir damals wirklich, weil wir ja sahen, wir brauchten nur zu sagen ‚Wir sind das Volk’ und alles wurde erreicht, siehe Bürgermeisterabwahl und –wahl. Also wir erhofften uns eine noch bessere Republik."
Pfarrer Sobko hat Tiefenort verlassen. 1995 zog er einer neuen Liebe wegen auf die Schwäbische Alb. Und die Kirche in Tiefenort? Sie hat ihre Anziehungskraft von damals verloren. Zum letzten Gottesdienst der diesjährigen Friedensdekade am Buß- und Bettag kamen gerade mal elf Gläubige.
Pfarrerstochter Susanne Sobko wohnt inzwischen knapp 30 Kilometer entfernt von Tiefenort in Eisenach. Anlässlich des Mauerfall-Jubiläums hat sie noch einmal den Film hervorgeholt, den der Hessische Rundfunk über die Wende in Tiefenort gedreht hatte. Und so sieht sie sich noch einmal, damals, als 17-Jährige.
Susanne Sobko: "Denn ich habe denen auch gesagt, dass wir so viel erreicht haben ganz allein durch unsere eigene Kraft ohne jede Hilfe …"
Sie fühlte sich als Speerspitze der Bewegung, entsprechend wehmütig ist sie heute, wenn sie die Fernsehbilder sieht.
Susanne Sobko: "… dass wir da noch viel mehr erreichen können. Vielleicht auch alles, was wir wollen. Wenn bloß alle mitmachen."
Susanne Sobko: "Wir haben wirklich gedacht, wir könnten die Welt ändern. Wir dachten wirklich, wir machen jetzt einen Vorzeigestaat, der tatsächlich vielleicht ausstrahlt in alle Welt. Ich weiß nicht, wo das herkam, ich kann da heute auch nur drüber lachen, aber nun hat ja auch die ganze Welt auf uns geschaut, auf die DDR, es war ja schon ziemlich einmalig, so eine friedliche Revolution, und wir haben gehofft, dass das jetzt ganz weite Kreise zieht, und das ist natürlich für so einen Jugendlichen toll."
Als der Film Bilder von der Montagsdemonstration in Eisenach zeigt, wird Susanne Sobko kurz wütend: ab da habe sie nicht mehr demonstriert, das seien völlig andere Menschen gewesen, die nun für die Einheit auf die Straße gegangen seien.
Susanne Sobko: "Natürlich habe ich mich andererseits auch gefreut, ich glaube, ich habe auch mein Begrüßungsgeld abgeholt und bin natürlich auch gern dann das erste Mal im Westen einkaufen gegangen, aber dass das plötzlich die einzigen Ziele waren, die kommerziellen Wünsche, das war für mich schon sehr erschreckend. Und hat mich damals unendlich traurig gemacht. Es gibt auch Gedichte aus dieser Zeit, wo diese tiefe Trauer zum Ausdruck kommt."
Tiefenort heute: Das ist ein ansehnlicher Flecken Erde im Tal der Werra, am Nordrand der Rhön. Die Straßen sind asphaltiert, die Häuser saniert oder neu gebaut, leer stehende, verfallende Gebäude gibt es keine. Und - es gibt Arbeit: in der Schmiede werden zum Beispiel gerade Eisenstangen für die Deutsche Bundesbahn gefertigt.
Die Infrastruktur ist für einen Ort mit gut 4000 Einwohnern hervorragend: drei Ärzte, drei Zahnärzte, eine Apotheke, zwei Banken, drei Supermärkte, eine Kindertagesstätte, eine Grund- und Regelschule und die Kreisverwaltung sind hier ansässig, dazu diverse Handwerksbetriebe und Einzelhändler. In Tiefenort und Umgebung gibt es allein 35 Vereine. (ATMO 6 langsam weg) Norbert Hill, der alte Schmied, der seinen Betrieb längst an die beiden Söhne übergeben hat, findet auch, dass sich Tiefenort ganz prächtig entwickelt hat.
Norbert Hill: "Wenn ich sehe, was in diesem Ort alles gemacht worden ist an Straßen und Gebäuden, das Schwimmbad saniert, die Sporthalle, die wir da vorne haben, eine neue Brücke haben wir bekommen, eine neue Hochstraße über das Hochwassergebiet, der alte Steg konnte überhaupt nicht mehr genutzt werden, weil alles defekt war über die vielen Jahre, wir können hier bei uns in Tiefenort sagen: Bei uns sind in den 20 Jahren, ist eine blühende Landschaft entstanden."
Hans-Georg Hüther heißt der Bürgermeister von Tiefenort, ein freundlicher und energischer Mann. An diesem Morgen kommt er zu spät zur Arbeit, weil er mit seinem Auto etliche Minuten an einer defekten Baustellenampel warten musste. Sofort greift er zum Telefon und veranlasst, dass sie abgebaut und der Ersatzweg über den Acker geführt wird. "Wir lassen uns doch nicht die ganze Wirtschaft von so einer Ampel lahm legen", blafft er in den Hörer.
Auch Hans-Georg Hüther hat sich damals in die Menschenkette eingereiht. Seit 19 Jahren ist er Bürgermeister von Tiefenort. Obwohl er es niemals werden wollte. Weil aber der eigentliche Kandidat bei den ersten freien und geheimen Kommunalwahlen 1990 kurzfristig einen Rückzieher machte, ließ Hüther sich aufstellen und wurde gewählt.
Hans-Georg Hüther: "Ich habe gewollt, dass es anders wird, und dann werde ich auch meinen Beitrag leisten, in dem Sinne habe ich es frohen Herzens getan, und dann habe ich eben gelesen, gebüffelt, zugehört, bis es immer interessanter wurde. Und die Ereignisse haben mich gejagt. Wie schnell waren Währungsunion oder Wiedervereinigung, es hat sich ein Event ans andere gekettet, war eine tolle Zeit."
Doch auch die schwerste Krise der Region, das Ende des Kalibergbau, fällt in seine Amtszeit. Zu DDR-Zeiten arbeiteten in den nahe gelegenen Kalibergwerken etwa 8000 Menschen. Dann kam die Wende und mit ihr das Ende. Ortschronist Werner Krah war selbst 37 Jahre dort beschäftigt.
Werner Krah: "Der Schacht ist ja auch mit vielen Millionen nach der Wende auf den modernsten Stand gebracht worden, das Kraftwerk ist für 25 Millionen umweltfreundlich gemacht worden, alle Anlagen neu gemacht worden und auch die Fabrik und ein Jahr gelaufen, und dann wurde eben zugemacht. Es müsste Anfang 1992 gewesen sein, die Fabrikanlagen wurden so schnell wie möglich abgerissen, damit ja nicht noch mal einer kommt und schaltet den Betrieb ein."
Übrig geblieben sind ein Erlebnis-Bergwerk – und ein Gewerbegebiet als Pilotprojekt des Grenzlandprogramms zur Wiederaufarbeitung brachliegender, ungenutzter Industrieflächen der Kaliregion Werratal.
Werner Krah: "Na ja, wenn man 37 Jahre in einem Betrieb war und man hat den ganzen Betrieb gekannt von der Pieke auf, dann hängt man schon dran. Und wenn man dann sieht, wie scheibchenweise der Betrieb abgebaut wird und abgerissen wird, also - Tut weh, tut heute noch weh? Ja, das ist so."
Hans-Georg Hüther: "Die Freiheit gibt es nicht umsonst. Das merken wir hier jeden Tag. Und die Leute sollten sich das vor Augen führen."
20.000 neue Arbeitsplätze habe man den Bürgern im Rahmen des Pilotprojektes versprochen, nur ein Bruchteil dessen sei realisiert worden. Zerplatzte Träume wie diese haben Bürgermeister Hüther in den zwei Jahrzehnten seit der Wende zum Pragmatiker werden lassen.
Hans-Georg Hüther: "Wir setzen auf Wohnungen, auf Bevölkerungsstabilisierung und –zuwachs, und der Erfolg hat uns Recht gegeben. Wir hatten die Infrastrukturen: Schulen, Freizeitanlagen, Vereine und haben in zwei Abschnitten 100 Grundstücke erschließen wollen, wir haben den ersten Abschnitt noch nicht richtig fertig gehabt, da war er schon verkauft und haben den zweiten gleich angeschlossen und haben in unserer Bevölkerung zeitweise Zuwachs gehabt, jetzt im Moment haben wir einen Status erreicht, wo die Sterberate etwas höher ist als die Geburtenrate, aber insgesamt kann man noch von einer stabilen Bevölkerungsentwicklung reden."
Menschen, die vor der Wende in Tiefenort wohnten und nun zurückkehren, neue Bewohner, die in der Nähe einen Arbeitsplatz gefunden haben, insgesamt 100 neue Bauplätze: der so genannte "Hypothekenhügel" in Tiefenort ist das Sinnbild eines bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwungs, wie er im Osten Deutschlands selten geworden ist.
Hans-Georg Hüther: "Das sind Dinge, die wir nur erreicht haben, weil im Gemeinderat Hand in Hand gearbeitet worden ist, wie die Menschenkette, das war eigentlich immer wieder abrufbar."
Werner Krah: "Hier sehen Sie: der Aufruf an der Tiefenorter Kirche zur Menschenkette am 3. Dezember um 12 Uhr, mit Bildern am Weißen Stein und auf der Frankfurter Straße in Richtung Kieselbach, Dorndorf, bis zur hessischen Grenze und auch weiter."
Werner Krah steht vor einer Fototafel – eine kleine Wanderausstellung widmet sich 20 Jahren friedlicher Revolution im Wartburgkreis. Krah ist so etwas wie der Ortschronist von Tiefenort und hat die Ausstellung mitorganisiert. Beim Anblick der frierenden, aber gut gelaunten Menschen auf den Fotos bekommt er glasige Augen.
Krah: "Ein Sonntag, ein frostiger Tag, es war leichter Schneefall, na ja, aber die Leute haben sich eben - das Wetter ist ja kein Hindernis - dementsprechend gekleidet. Ich war auch dabei, und zwar von Tiefenort in der Hälfte: wir sagen von der Salztröger Höhe bis hinunter zum Weißen Stein, dort habe ich gestanden mit meiner Familie, Es war ein sehr bewegendes Gefühl: teils Freude und auch Neugierigkeit auf die Zukunft, aber doch auch etwas Angst dabei. Denn man wusste ja nicht, wie alles enden wird. Es konnte ja auch eine Gegenrevolution entstehen, und dann, man weiß nicht, was dann geschehen wäre."
Ähnliche Befürchtungen hatte damals auch Helmut Sobko, seit Mitte der 80er-Jahre Pfarrer in Tiefenort, Antriebsmotor der lokalen Oppositionsbewegung und der Initiator der Menschenkette am 3. Dezember 1989.
Helmut Sobko: "Wir hatten gerade in unserer Region dadurch, dass dort dieser große Kalibetrieb war mit seiner großen Parteipräsenz der SED, wir hatten damals noch große Befürchtungen, dass das Rad doch zurückgedreht werden könnte und alles, was bisher in dieser Wendezeit erreicht worden ist, also wieder den Bach runtergeht, die Grenzen waren zwar schon offen, aber es war immer noch die Angst da, es war ja auch für viele Menschen so unglaublich, was da geschehen war, das Wort, das damals in jeder Munde war, war das Wort ‚Wahnsinn’. Viele dachten schon, dass dieser positive Wahnsinn irgendwie auch schon wieder hätte ein Ende finden können, weil vor allem wir am Ort merkten, da gibt es auch Leute, die gerne die Zeit zurückdrehen wollen."
Und dagegen, so der Pfarrer, musste ein Zeichen gesetzt werden. So ganz waren diese Befürchtungen auch nicht aus der Luft gegriffen. Denn neben kirchlichen Gruppierungen und dem ‚Neuen Forum’ hatte in Tiefenort auch die SED zur Teilnahme an der Menschenkette aufgerufen. So auch Helmut Lorenz, zwölf Jahre lang ehrenamtlicher SED-Parteisekretär im Ort.
Helmut Lorenz: "Und zwar aus innerer Überzeugung. Es ging mir darum, dass der ganze Umbruch friedlich geschieht. Und dass auf demokratischem Weg wir weiterkommen. Ich war nie dafür, dass die DDR aufhören sollte zu existieren. Und ich bin heute noch der Meinung, dass es ein Fehler war. Obwohl ich mir andererseits auch nicht vorstellen kann, wie es wäre, wenn die DDR als souveräner Staat geblieben wäre."
Um zwölf Uhr mittags an jenem kalten Sonntag, dem 3. Dezember 1989 läuteten für eine Viertelstunde die Glocken in Tiefenort. Die Menschen aus der Region strömten zusammen, aus Tiefenort kam mehr als die Hälfte der damals etwa 3500 Bewohner. Sie fassten sich an den Händen und bildeten eine zwölf Kilometer lange Menschenkette: von Tiefenort an die deutsch-deutsche Grenze bei Vacha und Philippsthal und noch ein paar hundert Meter weiter - rüber in den Westen. Dort, wo die Menschen sich nicht an den Händen fassen konnten, überbrückte man die Distanz mit bunten Bändern. Auch Susanne Sobko, die Tochter des Pfarrers war dabei - sie hatte schon an den Montagsdemonstrationen in Leipzig teilgenommen.
Susanne Sobko: "Natürlich war es sehr schön, dass das dann auch in meinen Heimatort rüber geschwappt ist, quasi die Revolution, also wenn man sich vorstellt, dass man mit Menschen sich an der Hand hält, die man sonst nicht unbedingt zu seinen Bekannten zählt, und das war ja auch das Phantastische an dieser Zeit, dass auch die Leute, die vorher sich als Gegner gesehen haben, plötzlich zusammengearbeitet haben, SED-Genossen waren mit dabei und sicher auch der eine oder andere Stasi-Spitzel sogar, und das, denke ich, war ein Vorteil dieser Zeit: dass man über seinen Schatten gesprungen ist, und das war schon schön, das zu sehen, dass es nun auch in der Provinz stattgefunden hat, die so genannte Wende."
Die meisten Teilnehmer an der Menschenkette ärgerten sich über die SED-Wendehälse in ihren Reihen. Fernsehaufnahmen des Hessischen Rundfunks von damals dokumentieren ihren Unmut.
Bürger 1: "Das finde ich jetzt ganz schuftig, was die sich jetzt rausnehmen, dass alles von der SED aus kommt, und bei uns stand jetzt auch in der Zeitung drin, dass die SED selbst aufruft für die Menschenkette, das finde ich nicht für richtig, was die sich einbilden jetzt, was die Menschheit jetzt fordert und weiter fordern wird, das machen die sich zu Nutzen jetzt, das ist nicht in Ordnung."
Bürgerin 2: "Also noch einmal solche Experimente machen 40 Jahre lang, das können wir uns nicht erlauben, dazu sind wir schon zu alt."
"40 Jahre Qualen – wir fordern freie Wahlen": Sprüche wie diese hatten einzelne Bürger auf Plakate und Transparente geschrieben. Wer mit dem Auto an der Menschenkette vorbeifahren wollte, wurde einfach angehalten und aufgefordert, sich einzureihen. Die meisten machten spontan mit - und für manch einen in Tiefenort war die Menschenkette am 3. Dezember 1989 eine Art Erweckungserlebnis.
Norbert Hill: "Also von innen raus?"
Zum Beispiel für den damaligen CDU-Vorsitzenden und Gemeindevorstand Norbert Hill.
Norbert Hill: "Meiner Meinung nach war das, nachdem die Menschenkette war, dass es sich auch wirklich in der richtigen Richtung entwickelt. Da war ich dann auch mit Herz und Seele dabei. Man ist eben immer ein bisschen vorsichtig gewesen früher. Man hat sich eben, wenn es irgend geht, nicht so weit aus dem Fenster hinausgelegt, nee."
Ortschronist Werner Krah, auch eher einer der Vorsichtigen in Tiefenort, ist bis heute beeindruckt von der Hartnäckigkeit der kirchlichen Oppositionsbewegung damals. Er hat noch den Handschuh eines Mitbürgers vor Augen, der vom vielen Demonstrieren über und über mit Kerzenwachs verklebt war.
Werner Krah: "Später hat man es sich, nach einigen Tagen oder auch Wochen, da hat man doch den Wunsch im Hinterkopf, und der ist dann auch von vielen geäußert worden bei den Demonstrationen: Deutschland, einig Vaterland. Ich war auch dafür. Wir haben dann auch schon tüchtig mitgemacht.
Und auch das Deutschlandlied, was ja eigentlich zu DDR-Zeiten verboten war und nur im geheimen Kämmerlein abends um zwölf Uhr abgehört werden durfte vom Westfunk, das haben wir dann schon beizeiten drauf gekriegt und laut gesungen. Ich bin ja auch im Gesangverein, in der Gaststätte haben wir dann schon geübt das Deutschlandlied."
Helmut Sobko: "Ich bin fest überzeugt: Bis noch weit in das neue Jahr 1990 hinein war die Mehrheit der Tiefenorter Bürger, wollte eine erneuerte DDR."
Für Gemeindepfarrer Helmut Sobko war die Auseinandersetzung mit der alten Obrigkeit noch nicht zu Ende. Denn zwei Wochen nach der Menschenkette zeigte die SED, dass sie immer noch viel Macht im Dorf hatte.
Helmut Sobko: "Da fand dann eine Gemeindevertretersitzung statt, und auf dieser Gemeindevertretersitzung wurde der damalige Bürgermeister im Ort, der sehr wendefreundlich war, und nicht nur freundlich war, der sich zu dieser Zeit schon ganz auf die Seite des Volkes, der Menschen gestellt hatte, ist der in einer Gemeindevertretersitzung abgewählt worden. Und zwar von den Genossen der SED, die die Mehrheit im Gemeindeparlament hatten."
Die Genossen verpassten dem Bürgermeister die Quittung dafür, dass er aus der Partei ausgetreten war und versuchte, in der neu gegründeten SPD unterzuschlüpfen.
Helmut Sobko: "Wir haben eine Unterschriftensammlung gemacht für unseren Wendebürgermeister, und die Mehrzahl der Bürger hat sich dafür ausgesprochen, dass er zumindest bis zu den Wahlen im Frühjahr Bürgermeister bleiben soll, weil wir wussten: Mit ihm zusammen können die Dinge weitergeführt werden. Und tatsächlich: Bei dieser zweiten Wahl haben dann notgedrungen auch die Genossen der SED ihn wieder gewählt. Wir haben ihnen vorher ganz deutlich gesagt, wer gegen diesen Bürgermeister ist, der aktiv für die Wende in Tiefenort eintritt, der ist gegen das Volk."
So erfolgreich Pfarrer Sobko und seine Mitstreiter im Kleinen waren, so wenig konnten sie das große Rad der Geschichte aufhalten. Immer wieder hatten sie die alte Staatsmacht provoziert, bis endlich im Herbst 89 auch die Bürger massenhaft in die Kirche gekommen waren und eine neue, eine bessere Republik gefordert hatten. Doch nun steuerte Deutschland auf die Wiedervereinigung zu. Und dafür sollte Helmut Sobko alle seine Ideale aufgeben?
Helmut Sobko: "Ich war mit vielen anderen schon enttäuscht, weil wir die Hoffnung hatten – heute würde ich vielleicht hinter die Hoffnung ein Fragezeichen setzen und vielleicht schreiben: War es eine Illusion? – Dass es eine erneuerte DDR und auch einen dritten Weg geben könnte. Diese Illusion hatten wir damals wirklich, weil wir ja sahen, wir brauchten nur zu sagen ‚Wir sind das Volk’ und alles wurde erreicht, siehe Bürgermeisterabwahl und –wahl. Also wir erhofften uns eine noch bessere Republik."
Pfarrer Sobko hat Tiefenort verlassen. 1995 zog er einer neuen Liebe wegen auf die Schwäbische Alb. Und die Kirche in Tiefenort? Sie hat ihre Anziehungskraft von damals verloren. Zum letzten Gottesdienst der diesjährigen Friedensdekade am Buß- und Bettag kamen gerade mal elf Gläubige.
Pfarrerstochter Susanne Sobko wohnt inzwischen knapp 30 Kilometer entfernt von Tiefenort in Eisenach. Anlässlich des Mauerfall-Jubiläums hat sie noch einmal den Film hervorgeholt, den der Hessische Rundfunk über die Wende in Tiefenort gedreht hatte. Und so sieht sie sich noch einmal, damals, als 17-Jährige.
Susanne Sobko: "Denn ich habe denen auch gesagt, dass wir so viel erreicht haben ganz allein durch unsere eigene Kraft ohne jede Hilfe …"
Sie fühlte sich als Speerspitze der Bewegung, entsprechend wehmütig ist sie heute, wenn sie die Fernsehbilder sieht.
Susanne Sobko: "… dass wir da noch viel mehr erreichen können. Vielleicht auch alles, was wir wollen. Wenn bloß alle mitmachen."
Susanne Sobko: "Wir haben wirklich gedacht, wir könnten die Welt ändern. Wir dachten wirklich, wir machen jetzt einen Vorzeigestaat, der tatsächlich vielleicht ausstrahlt in alle Welt. Ich weiß nicht, wo das herkam, ich kann da heute auch nur drüber lachen, aber nun hat ja auch die ganze Welt auf uns geschaut, auf die DDR, es war ja schon ziemlich einmalig, so eine friedliche Revolution, und wir haben gehofft, dass das jetzt ganz weite Kreise zieht, und das ist natürlich für so einen Jugendlichen toll."
Als der Film Bilder von der Montagsdemonstration in Eisenach zeigt, wird Susanne Sobko kurz wütend: ab da habe sie nicht mehr demonstriert, das seien völlig andere Menschen gewesen, die nun für die Einheit auf die Straße gegangen seien.
Susanne Sobko: "Natürlich habe ich mich andererseits auch gefreut, ich glaube, ich habe auch mein Begrüßungsgeld abgeholt und bin natürlich auch gern dann das erste Mal im Westen einkaufen gegangen, aber dass das plötzlich die einzigen Ziele waren, die kommerziellen Wünsche, das war für mich schon sehr erschreckend. Und hat mich damals unendlich traurig gemacht. Es gibt auch Gedichte aus dieser Zeit, wo diese tiefe Trauer zum Ausdruck kommt."
Tiefenort heute: Das ist ein ansehnlicher Flecken Erde im Tal der Werra, am Nordrand der Rhön. Die Straßen sind asphaltiert, die Häuser saniert oder neu gebaut, leer stehende, verfallende Gebäude gibt es keine. Und - es gibt Arbeit: in der Schmiede werden zum Beispiel gerade Eisenstangen für die Deutsche Bundesbahn gefertigt.
Die Infrastruktur ist für einen Ort mit gut 4000 Einwohnern hervorragend: drei Ärzte, drei Zahnärzte, eine Apotheke, zwei Banken, drei Supermärkte, eine Kindertagesstätte, eine Grund- und Regelschule und die Kreisverwaltung sind hier ansässig, dazu diverse Handwerksbetriebe und Einzelhändler. In Tiefenort und Umgebung gibt es allein 35 Vereine. (ATMO 6 langsam weg) Norbert Hill, der alte Schmied, der seinen Betrieb längst an die beiden Söhne übergeben hat, findet auch, dass sich Tiefenort ganz prächtig entwickelt hat.
Norbert Hill: "Wenn ich sehe, was in diesem Ort alles gemacht worden ist an Straßen und Gebäuden, das Schwimmbad saniert, die Sporthalle, die wir da vorne haben, eine neue Brücke haben wir bekommen, eine neue Hochstraße über das Hochwassergebiet, der alte Steg konnte überhaupt nicht mehr genutzt werden, weil alles defekt war über die vielen Jahre, wir können hier bei uns in Tiefenort sagen: Bei uns sind in den 20 Jahren, ist eine blühende Landschaft entstanden."
Hans-Georg Hüther heißt der Bürgermeister von Tiefenort, ein freundlicher und energischer Mann. An diesem Morgen kommt er zu spät zur Arbeit, weil er mit seinem Auto etliche Minuten an einer defekten Baustellenampel warten musste. Sofort greift er zum Telefon und veranlasst, dass sie abgebaut und der Ersatzweg über den Acker geführt wird. "Wir lassen uns doch nicht die ganze Wirtschaft von so einer Ampel lahm legen", blafft er in den Hörer.
Auch Hans-Georg Hüther hat sich damals in die Menschenkette eingereiht. Seit 19 Jahren ist er Bürgermeister von Tiefenort. Obwohl er es niemals werden wollte. Weil aber der eigentliche Kandidat bei den ersten freien und geheimen Kommunalwahlen 1990 kurzfristig einen Rückzieher machte, ließ Hüther sich aufstellen und wurde gewählt.
Hans-Georg Hüther: "Ich habe gewollt, dass es anders wird, und dann werde ich auch meinen Beitrag leisten, in dem Sinne habe ich es frohen Herzens getan, und dann habe ich eben gelesen, gebüffelt, zugehört, bis es immer interessanter wurde. Und die Ereignisse haben mich gejagt. Wie schnell waren Währungsunion oder Wiedervereinigung, es hat sich ein Event ans andere gekettet, war eine tolle Zeit."
Doch auch die schwerste Krise der Region, das Ende des Kalibergbau, fällt in seine Amtszeit. Zu DDR-Zeiten arbeiteten in den nahe gelegenen Kalibergwerken etwa 8000 Menschen. Dann kam die Wende und mit ihr das Ende. Ortschronist Werner Krah war selbst 37 Jahre dort beschäftigt.
Werner Krah: "Der Schacht ist ja auch mit vielen Millionen nach der Wende auf den modernsten Stand gebracht worden, das Kraftwerk ist für 25 Millionen umweltfreundlich gemacht worden, alle Anlagen neu gemacht worden und auch die Fabrik und ein Jahr gelaufen, und dann wurde eben zugemacht. Es müsste Anfang 1992 gewesen sein, die Fabrikanlagen wurden so schnell wie möglich abgerissen, damit ja nicht noch mal einer kommt und schaltet den Betrieb ein."
Übrig geblieben sind ein Erlebnis-Bergwerk – und ein Gewerbegebiet als Pilotprojekt des Grenzlandprogramms zur Wiederaufarbeitung brachliegender, ungenutzter Industrieflächen der Kaliregion Werratal.
Werner Krah: "Na ja, wenn man 37 Jahre in einem Betrieb war und man hat den ganzen Betrieb gekannt von der Pieke auf, dann hängt man schon dran. Und wenn man dann sieht, wie scheibchenweise der Betrieb abgebaut wird und abgerissen wird, also - Tut weh, tut heute noch weh? Ja, das ist so."
Hans-Georg Hüther: "Die Freiheit gibt es nicht umsonst. Das merken wir hier jeden Tag. Und die Leute sollten sich das vor Augen führen."
20.000 neue Arbeitsplätze habe man den Bürgern im Rahmen des Pilotprojektes versprochen, nur ein Bruchteil dessen sei realisiert worden. Zerplatzte Träume wie diese haben Bürgermeister Hüther in den zwei Jahrzehnten seit der Wende zum Pragmatiker werden lassen.
Hans-Georg Hüther: "Wir setzen auf Wohnungen, auf Bevölkerungsstabilisierung und –zuwachs, und der Erfolg hat uns Recht gegeben. Wir hatten die Infrastrukturen: Schulen, Freizeitanlagen, Vereine und haben in zwei Abschnitten 100 Grundstücke erschließen wollen, wir haben den ersten Abschnitt noch nicht richtig fertig gehabt, da war er schon verkauft und haben den zweiten gleich angeschlossen und haben in unserer Bevölkerung zeitweise Zuwachs gehabt, jetzt im Moment haben wir einen Status erreicht, wo die Sterberate etwas höher ist als die Geburtenrate, aber insgesamt kann man noch von einer stabilen Bevölkerungsentwicklung reden."
Menschen, die vor der Wende in Tiefenort wohnten und nun zurückkehren, neue Bewohner, die in der Nähe einen Arbeitsplatz gefunden haben, insgesamt 100 neue Bauplätze: der so genannte "Hypothekenhügel" in Tiefenort ist das Sinnbild eines bescheidenen wirtschaftlichen Aufschwungs, wie er im Osten Deutschlands selten geworden ist.
Hans-Georg Hüther: "Das sind Dinge, die wir nur erreicht haben, weil im Gemeinderat Hand in Hand gearbeitet worden ist, wie die Menschenkette, das war eigentlich immer wieder abrufbar."