Es geht um mehr als um entführte Soldaten

Von Robert B. Goldmann |
Die Zweifrontenkrise an Israels Grenzen mit Libanon und Gaza, um nicht zu sagen der Zweifrontenkrieg, wurde von Terroristen verschiedener Zugehörigkeit provoziert. Im Libanon ist es die von Iran unterstützte und belieferte Hisbollah, und in Gaza sind es die Mitglieder des militärischen Flügels der Hamas.
Ähnlich wie im Libanon sind die Hamas-Terroristen unabhängig von der palästinensischen Regierung und unterstehen dem in Syrien exilierten Hamas-Politbüro. Somit führen die Terroristen die Befehle der unerbittlichsten Feinde Israels aus.

Worin sich Hamas, Hisbollah, der Islamische Dschihad, Syrien und Iran einig sind, ist die Ablehnung der Existenz Israels. Sie sehen sich einer vom Mittelmeer bis an den Jordan reichenden, wie sie meinen illegitimen Besatzung gegenüber, was vor wenigen Tagen der Sprecher des Militärflügels der islamistischen Dschihad-Bewegung in Gaza, Abu Achmed, unmissverständlich klar machte. Auf die Frage des Korrespondenten der "New York Times§, ob seine Bewegung ein politisches Übereinkommen auf der Grundlage zweier nebeneinander existierender Staaten respektieren würde, antwortete er: "Das gesamte historische Palästina gehört uns. Wir unterscheiden nicht zwischen 1948 und 1967" (also den Grenzen des Staates Israel vor und nach dem Sechstagekrieg, als Israel das Westjordanland und Gaza besetzte.)

Die klarste Ausdrucksform der Nichtanerkennungspolitik sind die palästinensischen Flüchtlingslager, deren Bewohner nur provisorisch untergebracht wurden, obwohl viele schon ein halbes Jahrhundert dort leben. Sie sollen dem jüdischen Staat und aller Welt zeigen, dass "das Recht auf Rückkehr" eine grundsätzliche Forderung ist; und dass Jerusalem die Hauptstadt von ganz Palästina sein muss, wie nicht nur Abu Achmed und Hamas, sondern Zeitungen, Fernsehsendungen, Schulbücher und zahllose Predigten moslemischer Geistlicher ihren Lesern und Zuhörern versichern.

Könnte man sich vorstellen, dass die vertriebenen Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in Lagern an der tschechischen Grenze aufgestapelt worden wären, um damit die Forderung ihrer Rückkehr zu bekräftigen? Viele wollten gar nicht zurück, und vielleicht ist dies auch der Fall bei manchen Palästinensern. Trotzdem bestehen die palästinensischen Vertreter auf dem Recht auf Rückkehr, und diese hängt eng mit der Anerkennung oder Nichtanerkennung Israels zusammen.

In der Sicht der Palästinenser und vieler ihrer Nachbarn ist Israel ein schmaler Streifen am Rand des Mittelmeers, umgeben von einer Kontinente übergreifenden islamischen Welt. Dazu kommt eine arabische Minderheit von 20 Prozent innerhalb des jüdischen Staates - eine Minderheit, die weitaus schneller anwächst als die jüdische Bevölkerung. Warum sollte es unrealistisch sein, auf "das Ganze" hinzusteuern, einen Staat, in dem die Juden, wie im Rest der Welt, wieder als Minderheit leben würden - falls sie dann überhaupt dort leben wollten? Wieder hilft ein Vergleich mit Europa: Jahrhunderte lang stritten sich Deutschland und Frankreich um Elsass-Lothringen, aber nie zweifelte Deutschland oder Frankreich am Existenzrecht des Anderen.

Hingegen dient die Nichtanerkennung Israels einem Ziel, das in den Augen von Millionen Menschen im Nahen Osten in nicht allzu ferner Zukunft erreichbar ist. Daher ist es unwahrscheinlich, dass man das israelisch-palästinensische Problem "lösen" kann. Westliche Diplomatie sollte daher dem "management" des Konflikts dienen. Das heißt helfen, militärische Zusammenstösse zu verhindern oder zu beenden und wirtschaftlich erforderliche Kontakte zu gewährleisten.

Aus der Perspektive der vom Westen noch immer angestrebten Verhandlungen unter der "road map" ist dies ein bescheidenes Ziel. Angesichts der gegenwärtigen Kämpfe und Spannungen ist es aber realistisch. Und es erübrigt die sowohl für Israel als auch für viele Juden in der Diaspora erniedrigende Forderung nach Anerkennung des Lebensrechts des jüdischen Staates.

Robert B. Goldmann wurde 1921 als einziger Sohn eines jüdischen Landarztes in einem Odenwalddörfchen geboren. Er machte in Frankfurt am Main Abitur. Kurz darauf verließ die Familie Deutschland und kam 1940 über Großbritannien nach New York. Goldmann schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, um sein Studium zu finanzieren. Er war viele Jahre lang Journalist, bevor er sich sozial- und entwicklungspolitischen Aufgaben in der Dritten Welt widmete und schließlich ein Wegbereiter für die deutsch-jüdische Verständigung wurde. 1996 veröffentlichte er sein vielbeachtetes Buch "Flucht in die Welt", eine Lebens- und Familiengeschichte. Goldmann arbeitete lange für die Anti-Defamation League in New York und publiziert noch immer in amerikanischen und deutschen Medien.