Es fehlt ein bisschen Fantasie

Von Michael Laages · 17.09.2010
Die Filme des Kino-Regisseurs werden mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit zu Theaterstücken, deren Autor nur bedingt Rainer Werner Fassbinder ist – die jüngste Fassbinder-Bearbeitung etwa folgt dem Drehbuch von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich.
Aber jene absichtsvoll verarmende, zielstrebig reduzierte Sprache, die fast alle Fassbinder-Filme (wie auch das "anti-theater” seiner ganz frühen Jahre) prägt, herrscht nun auch auf der Bühne; und wird gelegentlich auch zum Problem. Und da ist dann die Frage schon nicht mehr ganz so leicht zu beantworten, ob sich der Wechsel in der medialen Präsentationsform überhaupt lohnt.

Vielleicht wäre "Die Sehnsucht der Veronika Voss” ein stärkeres Ereignis auf der Bühne, wenn Regisseurin Bettina Bruinier und Bühnenbildner Markus Karner ein wenig mehr Fantasie darauf verwendet hätten, Zeit und Kolorit auf die kleine Bühne der Kammerspiele vom Schauspiel Frankfurt zu zaubern. Denn Fassbinders Sehnsucht in Filmen wie diesem war ja vor allem die nach wirklichem Verständnis für die komplizierten Wirtschaftswunderjahre der Nachkriegszeit in Deutschland gewesen – mit der traurigen Geschichte von Veronika Voss versuchte der Regisseur ja, den wirklichen Nieder- und Untergang der UFA-Schauspielerin Sibylle Schmitz nach zu erzählen, die als Goebbels-Protegé galt, dann aber Auftrittsverbot erhielt, vor allem aber nach dem Krieg überhaupt nicht wieder zurück ins Filmgeschäft fand.

Immerzu erzählt Fassbinders Film-Veronika jetzt auch auf der Bühne davon, welche Produktionsfirma sie gerade umwirbt – nichts davon ist wahr. An einen Sportjournalisten hängt sie sich (immerhin: ein Journalist!), aber für den sind die Heimspiele von 1860 München letztlich allemal wichtiger – wie sehr er sich auch für Veronika einsetzt in gesundheitlicher Hinsicht. Denn zugleich ist die verzweifelnde Schauspielerin abhängig vom der regelmäßigen Dosis Morphium (und von der Zuneigung), die sie von einer windigen Ärztin erhält.

Interessant wäre all das vor allem auf der Folie einer Epoche, die von der allerdirektesten Vergangenheit aus unzählig vielen guten Gründen nichts mehr wissen wollte – und so gewiss auch Profile ausgrenzte, die der Kreativität der neuen Zeit vielleicht ganz gut getan hätten. Dieses Moment aber fehlt der Frankfurter Aufführung fast völlig, nur ein paar Details zu Beginn, eher der Klischee-Abteilung entnommen, bezeichnen den zeitlichen Rahmen für das Melodram, das danach geradeaus und wenig spektakulär erzählt wird. Einzig ein Schlagzeuger in GI-Uniform sorgt für produktive Verstörung – er rhythmisiert vor allem zu Beginn sehr klug den Fortgang der Story.

1982 war als "Veronika Voss” Rosel Zech zu sehen, eine der unvergleichlichen Persönlichkeiten besonders im Theater von Peter Zadek und heute zu Unrecht vergessen von und auf den Bühnen; Stephanie Eidt in Frankfurt darf sich schon deshalb angenehm frei fühlen gegenüber der Vorgängerin vor 28 Jahren, weil sich das eigene Bild so deutlich vom Vor-Bild unterscheidet – in jeder Hinsicht dunkel umgurrt sie ihren Reporter, marlene-dietrich-haft düster singt sie, chic in Schwarz flieht sie ins helle Heim der Ärztin, die sie mit Aufhellern versorgt. Die kleine Aufführung, nicht länger als der Film, konzentriert sich ganz auf die Protagonistin – aber auch sie gibt (mit Fassbinders Worten) zuweilen beunruhigend platte Wahrheiten zu Protokoll.

Fassbinders Faszination entstand halt aus ganz anderen Dingen, eher nicht aus dem Wort. Wie stark auch immer also Fassbinders Themen auf der Bühne wirken mögen - ohne Bilder, die es mit Fassbinders Kamera-Blick aufnehmen könnten, bleiben sie immer nur ein halbes Ereignis – wie jetzt in Frankfurt.

"Die Sehnsucht der Veronika Voss” von Peter Märthesheimer & Pea Fröhlich nach Rainer Werner Fassbinder
Regie: Bettina Bruinier
Schauspiel Frankfurt