"Es brennt an allen Ecken und Enden"
Volker Skierka im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 15.09.2010
Die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung kann nicht mehr gewährleistet werden. Der Schwarzmarkt blüht. Die Regierung Kubas wird versuchen müssen, das Land nach und nach für ausländische Investoren zu öffnen, sagt der Autor einer Fidel-Castro-Biographie, Volker Skierka.
Jan-Christoph Kitzler: Am Ende will es Fidel Castro doch nicht so gemeint haben: Vor wenigen Tagen wurde er mit den Worten zitiert: "Das kubanische Modell funktioniert nicht mal mehr bei uns", und danach sagte er, er habe genau das Gegenteil gemeint. Wie auch immer – die Lage auf Kuba ist ziemlich schwierig. Gestern hat der dortige Gewerkschaftsbund angekündigt, dass jeder fünfte Staatsangestellte entlassen werden soll, das sind rund 500.000 Menschen, und das ist nichts weiter als ein gigantischer Befreiungsschlag eines offenbar ziemlich maroden Systems. Darüber spreche ich nun mit dem Publizisten Volker Skierka, unter anderem Autor einer Fidel-Castro-Biografie. Guten Morgen!
Volker Skierka: Guten Morgen!
Kitzler: Wie marode ist sie denn in Ihren Augen, die kubanische Wirtschaft?
Skierka: Ja, ich glaube, es brennt an allen Ecken und Enden, und die Ankündigung, also Sie sagten 500.000, ich lese eine Million inzwischen Staatsangestellte sollen entlassen werden – das entspricht einem Fünftel der gesamten arbeitenden Bevölkerung, und mit dieser Ankündigung wurde ja das, was Fidel Castro erst gesagt, dann berichtigt haben will, bestätigt. Hinzu kommen ganz andere Dinge, also die, sozusagen die erste Aussage von Castro, dass der ... das kubanische Modell selbst auf Kuba nicht mehr funktioniere, bestätigt, das heißt, die landwirtschaftliche Produktion ist praktisch dermaßen am Boden, dass die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung schon seit Langem nicht mehr gewährleistet werden kann, es müssen für 2,5 Milliarden Dollar jedes Jahr Lebensmittel importiert werden, überwiegend aus den USA. Die Zuckerernte, die ja immer ein Indikator für die Stärke, sage ich mal, dieses kubanischen Modells herhalten musste, ist mittlerweile auf den tiefsten Stand seit über 100 Jahren gesunken. Da hinzukommt, dass sich ein Schwarzmarkt, parallel ein Schwarzmarkt entwickelt hat, der mittlerweile, wie viele Experten sagen, schon den Staatskommunismus überflügelt hat.
Kitzler: Was ist denn eigentlich genau darunter zu verstehen bei dem kubanischen Modell, von dem jetzt immer die Rede ist?
Skierka: Na ja, das wird jetzt als ... das kubanische Modell, das weiß eigentlich keiner so genau, aber es ist eben, es ist praktisch ein kommunistisches staatswirtschaftliches Modell, das seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa ein einsames Dasein fristet, das heißt also, eine komplett staatsgelenkte Wirtschaft. Es gibt zwar ein paar Kleinunternehmer, 150.000, das ist sehr bescheiden, die auf eigene Rechnung arbeiten dürfen, aber in, ich würde mal sagen, so im Bereich von Zimmervermietung oder kleine Restaurants und so weiter, damit können Sie natürlich keine Wirtschaft am Laufen halten. Was dieses Land wirklich braucht, ist eine ... sind ausländische Investitionen, und ich glaube, das ist auch das, was hier beabsichtigt ist durch die Ankündigung, dass eine Million Staatsangestellte entlassen werden sollen – die sollen natürlich, müssen natürlich anderswo unterkommen. Das geht aber nur, wenn ausländische Investitionen ins Land geholt werden, und ich glaube, dass wir mittelfristig noch eine ganze Menge Überraschungen geboten bekommen. Also ich denke mal, dass mittelfristig sich die kubanische Wirtschaft öffnen wird gegenüber ausländischen Investoren. Das ist glaube ich auch, steckt glaube ich auch hinter diesen Ankündigungen oder hinter diesem selbstkritischen, dieser selbstkritischen Betrachtung Fidel Castros.
Kitzler: Wie optimistisch sind Sie denn, dass die jetzige politische Führung die nötigen Reformen auf den Weg bringen kann? Raúl Castro, der Bruder von Fidel, unternimmt ja vorsichtige Versuche.
Skierka: Ja, das unternimmt er schon lange, also das ist natürlich ... Solange die beiden an der Macht sind, ist es ... wird es natürlich sehr schwierig. Auf der anderen Seite sind sie die Einzigen, die einigermaßen einen Übergang garantieren könnten. Man hat aber bisher das Gefühl, dass sie auch die Normenklatura, die ja sehr eng, sehr von ihnen abhängt, dass die Normenklatura natürlich auch wenig gewillt ist, wirklich Reformen einzuleiten, denn in den letzten dreieinhalb Jahren ist da wirklich nicht sehr viel passiert. Wenn Sie sich mal ansehen, dass also gerade im landwirtschaftlichen Sektor ... Die Böden sind dermaßen mit Unkraut überwuchert, dass sie allein ... dass etwa die Hälfte der Böden aus ... allein aus diesem Grunde gar nicht nutzbar ist. Selbst wenn sie nutzbar wären, fehlt die gesamte Infrastruktur, um eine florierende Landwirtschaft zu entwickeln. Es gibt keine Kühlhäuser, es gibt wenig Transportmöglichkeiten et cetera et cetera, also die ganze Kette, die da dranhängt, die ist überhaupt nicht vorhanden, das heißt, das alles müsste aufgebaut werden. Und es ist allerhöchste Zeit, sonst bricht das wirklich alles zusammen.
Kitzler: Sie haben von der notwendigen Öffnung der kubanischen Wirtschaft gesprochen. Steht damit aber möglicherweise nicht nur das ganze Wirtschaftsmodell infrage, sondern auch die Unabhängigkeit des ganzen Landes?
Skierka: Das ist genau die ... Das ist natürlich die Befürchtung, die die Normenklatura hat, dass sie ihre Souveränität und all das, also viele ihrer sogenannten Errungenschaften aufgeben müssen. Es wird dann auf die Partner, also Europa und die Vereinigten Staaten insbesondere, ankommen, wie man das kubanische Modell, um noch mal diesen Begriff zu verwenden, in ein funktionierendes Modell hinüberrettet, ohne dass hinten alles zusammenbricht und es also auch zu sozialen Unruhen und so weiter kommt. Denn es hat wenig Sinn, wenn man jetzt das Land in eine Richtung reformiert, die dann irgendwo endet, wo Nicaragua heute steht oder andere mittelamerikanische Staaten, das heißt also, wenn Sie am Ende einen riesigen Bodensatz von Armut haben und sozialen Unruhen und auch Gewalt und so weiter. Das haben Sie ja in Kuba im Moment nicht, das ist ja noch relativ stabil.
Kitzler: Manche fürchten ja schon den drohenden Ausverkauf der Insel.
Skierka: Ja, es gibt ja nun auch vorsichtige Eröffnungen, dass also auch Grund und Boden langfristig verpachtet werden kann an Investoren, nur man wird da nicht drum herum kommen. Ich denke mal, es wird ... die werden versuchen, die wissen nicht genau, wie sie es machen, aber sie werden wohl versuchen, auch das Land nach und nach zu öffnen, denn sehen Sie mal, auch der Tourismus geht mittlerweile zurück. Die haben ... fehlen einfach auch Ideen von außen, es fehlt praktisch an allen Ecken, es fehlt an Geld, es fehlt an Ideen, es fehlt an Mut, an Initiative. Auf der anderen Seite haben die Kubaner ja eine Bevölkerung, die lesen und schreiben kann, auch insbesondere die jungen Menschen, die sind teilweise sehr gut ausgebildet. Die werden im Moment auch daran gehindert, ihr Können, ihr Wissen überhaupt irgendwo einzubringen, und zwar produktiv für das Land einzubringen. Und ich denke mal, dass, wenn wir es schaffen, ausländische Investitionen ins Land zu bekommen, wobei auch das schwierig sein wird, denn die haben ja im letzten Jahr ausländische Devisenkonten eingefroren, sie haben einen Schuldenberg von über 20 Milliarden Dollar angehäuft. Das alles wird natürlich schwierig. Sie müssen vertrauensbildende Maßnahmen schaffen, dass langfristige Investitionen sich auf Kuba auch lohnen und dass das Geld auch dort sicher angelegt ist, also dass die Staatswirtschaft sich aus den ganzen Bereichen, die sie jetzt also beherrschen – wie Tourismus und so weiter – zurückziehen.
Kitzler: Vielen Dank, Volker Skierka! Wie geht es weiter auf Kuba, das war unser Thema, ich sprach mit dem Journalisten und Publizisten Volker Skierka.
Volker Skierka: Guten Morgen!
Kitzler: Wie marode ist sie denn in Ihren Augen, die kubanische Wirtschaft?
Skierka: Ja, ich glaube, es brennt an allen Ecken und Enden, und die Ankündigung, also Sie sagten 500.000, ich lese eine Million inzwischen Staatsangestellte sollen entlassen werden – das entspricht einem Fünftel der gesamten arbeitenden Bevölkerung, und mit dieser Ankündigung wurde ja das, was Fidel Castro erst gesagt, dann berichtigt haben will, bestätigt. Hinzu kommen ganz andere Dinge, also die, sozusagen die erste Aussage von Castro, dass der ... das kubanische Modell selbst auf Kuba nicht mehr funktioniere, bestätigt, das heißt, die landwirtschaftliche Produktion ist praktisch dermaßen am Boden, dass die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung schon seit Langem nicht mehr gewährleistet werden kann, es müssen für 2,5 Milliarden Dollar jedes Jahr Lebensmittel importiert werden, überwiegend aus den USA. Die Zuckerernte, die ja immer ein Indikator für die Stärke, sage ich mal, dieses kubanischen Modells herhalten musste, ist mittlerweile auf den tiefsten Stand seit über 100 Jahren gesunken. Da hinzukommt, dass sich ein Schwarzmarkt, parallel ein Schwarzmarkt entwickelt hat, der mittlerweile, wie viele Experten sagen, schon den Staatskommunismus überflügelt hat.
Kitzler: Was ist denn eigentlich genau darunter zu verstehen bei dem kubanischen Modell, von dem jetzt immer die Rede ist?
Skierka: Na ja, das wird jetzt als ... das kubanische Modell, das weiß eigentlich keiner so genau, aber es ist eben, es ist praktisch ein kommunistisches staatswirtschaftliches Modell, das seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa ein einsames Dasein fristet, das heißt also, eine komplett staatsgelenkte Wirtschaft. Es gibt zwar ein paar Kleinunternehmer, 150.000, das ist sehr bescheiden, die auf eigene Rechnung arbeiten dürfen, aber in, ich würde mal sagen, so im Bereich von Zimmervermietung oder kleine Restaurants und so weiter, damit können Sie natürlich keine Wirtschaft am Laufen halten. Was dieses Land wirklich braucht, ist eine ... sind ausländische Investitionen, und ich glaube, das ist auch das, was hier beabsichtigt ist durch die Ankündigung, dass eine Million Staatsangestellte entlassen werden sollen – die sollen natürlich, müssen natürlich anderswo unterkommen. Das geht aber nur, wenn ausländische Investitionen ins Land geholt werden, und ich glaube, dass wir mittelfristig noch eine ganze Menge Überraschungen geboten bekommen. Also ich denke mal, dass mittelfristig sich die kubanische Wirtschaft öffnen wird gegenüber ausländischen Investoren. Das ist glaube ich auch, steckt glaube ich auch hinter diesen Ankündigungen oder hinter diesem selbstkritischen, dieser selbstkritischen Betrachtung Fidel Castros.
Kitzler: Wie optimistisch sind Sie denn, dass die jetzige politische Führung die nötigen Reformen auf den Weg bringen kann? Raúl Castro, der Bruder von Fidel, unternimmt ja vorsichtige Versuche.
Skierka: Ja, das unternimmt er schon lange, also das ist natürlich ... Solange die beiden an der Macht sind, ist es ... wird es natürlich sehr schwierig. Auf der anderen Seite sind sie die Einzigen, die einigermaßen einen Übergang garantieren könnten. Man hat aber bisher das Gefühl, dass sie auch die Normenklatura, die ja sehr eng, sehr von ihnen abhängt, dass die Normenklatura natürlich auch wenig gewillt ist, wirklich Reformen einzuleiten, denn in den letzten dreieinhalb Jahren ist da wirklich nicht sehr viel passiert. Wenn Sie sich mal ansehen, dass also gerade im landwirtschaftlichen Sektor ... Die Böden sind dermaßen mit Unkraut überwuchert, dass sie allein ... dass etwa die Hälfte der Böden aus ... allein aus diesem Grunde gar nicht nutzbar ist. Selbst wenn sie nutzbar wären, fehlt die gesamte Infrastruktur, um eine florierende Landwirtschaft zu entwickeln. Es gibt keine Kühlhäuser, es gibt wenig Transportmöglichkeiten et cetera et cetera, also die ganze Kette, die da dranhängt, die ist überhaupt nicht vorhanden, das heißt, das alles müsste aufgebaut werden. Und es ist allerhöchste Zeit, sonst bricht das wirklich alles zusammen.
Kitzler: Sie haben von der notwendigen Öffnung der kubanischen Wirtschaft gesprochen. Steht damit aber möglicherweise nicht nur das ganze Wirtschaftsmodell infrage, sondern auch die Unabhängigkeit des ganzen Landes?
Skierka: Das ist genau die ... Das ist natürlich die Befürchtung, die die Normenklatura hat, dass sie ihre Souveränität und all das, also viele ihrer sogenannten Errungenschaften aufgeben müssen. Es wird dann auf die Partner, also Europa und die Vereinigten Staaten insbesondere, ankommen, wie man das kubanische Modell, um noch mal diesen Begriff zu verwenden, in ein funktionierendes Modell hinüberrettet, ohne dass hinten alles zusammenbricht und es also auch zu sozialen Unruhen und so weiter kommt. Denn es hat wenig Sinn, wenn man jetzt das Land in eine Richtung reformiert, die dann irgendwo endet, wo Nicaragua heute steht oder andere mittelamerikanische Staaten, das heißt also, wenn Sie am Ende einen riesigen Bodensatz von Armut haben und sozialen Unruhen und auch Gewalt und so weiter. Das haben Sie ja in Kuba im Moment nicht, das ist ja noch relativ stabil.
Kitzler: Manche fürchten ja schon den drohenden Ausverkauf der Insel.
Skierka: Ja, es gibt ja nun auch vorsichtige Eröffnungen, dass also auch Grund und Boden langfristig verpachtet werden kann an Investoren, nur man wird da nicht drum herum kommen. Ich denke mal, es wird ... die werden versuchen, die wissen nicht genau, wie sie es machen, aber sie werden wohl versuchen, auch das Land nach und nach zu öffnen, denn sehen Sie mal, auch der Tourismus geht mittlerweile zurück. Die haben ... fehlen einfach auch Ideen von außen, es fehlt praktisch an allen Ecken, es fehlt an Geld, es fehlt an Ideen, es fehlt an Mut, an Initiative. Auf der anderen Seite haben die Kubaner ja eine Bevölkerung, die lesen und schreiben kann, auch insbesondere die jungen Menschen, die sind teilweise sehr gut ausgebildet. Die werden im Moment auch daran gehindert, ihr Können, ihr Wissen überhaupt irgendwo einzubringen, und zwar produktiv für das Land einzubringen. Und ich denke mal, dass, wenn wir es schaffen, ausländische Investitionen ins Land zu bekommen, wobei auch das schwierig sein wird, denn die haben ja im letzten Jahr ausländische Devisenkonten eingefroren, sie haben einen Schuldenberg von über 20 Milliarden Dollar angehäuft. Das alles wird natürlich schwierig. Sie müssen vertrauensbildende Maßnahmen schaffen, dass langfristige Investitionen sich auf Kuba auch lohnen und dass das Geld auch dort sicher angelegt ist, also dass die Staatswirtschaft sich aus den ganzen Bereichen, die sie jetzt also beherrschen – wie Tourismus und so weiter – zurückziehen.
Kitzler: Vielen Dank, Volker Skierka! Wie geht es weiter auf Kuba, das war unser Thema, ich sprach mit dem Journalisten und Publizisten Volker Skierka.