"Es braucht eine neue Strategie"

Moderation: Hanns Ostermann |
Der frühere deutsche UNO-Botschafter Gunter Pleuger rechnet nach der Veröffentlichung des Berichts der Baker-Kommission mit einer Änderung der US-Strategie im Irak. "An dem Papier wird der Präsident nicht vorbei können", sagte Pleuger.
Ostermann: Neun Monate arbeitete die unabhängige Kommission zum Irak und überprüfte die amerikanische Außenpolitik. Das Dokument – 96 Seiten stark -, das jetzt vorliegt, enthält eine Vielzahl von Anregungen und Vorschläge, die vor allem von Diplomaten in Angriff genommen werden müssen; ihr Job ist es ja, schwierige Aufgaben zu lösen. Ich freue mich, dass jetzt Gunter Pleuger am Telefon ist, der ehemalige Botschafter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Guten Morgen, Herr Pleuger!

Pleuger: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Der Bericht der Baker-Kommission, wenn Sie ihn jetzt lesen, ist das nicht ein absolutes Scheitern der amerikanischen Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten?

Pleuger: Darauf kann man nur ganz klar mit ja antworten. Sehen Sie, es ist ja nicht der einzige Bericht, der jetzt vorliegt. Der frühere Verteidigungsminister hat kurz vor seinem Abgang noch ein Memorandum herausgebracht, das dann auch an die "New York Times" gegangen ist und das im Grunde genommen zu demselben Schluss kommt, die Strategie war verfehlt, es braucht eine neue Strategie. Dann haben Sie die Aussagen von Herrn Gates, dem designierten neuen Verteidigungsminister, im Senat, der ebenfalls davon gesprochen hat, dass der Krieg im Irak nicht zu gewinnen ist und dass man eine neue Strategie braucht. Und wie wir wissen, planen noch weitere Leute zusätzliche Studien. In den nächsten Tagen wird eine Studie des Nationalen Sicherheitsrats und wohl auch eine Studie des Pentagon, nämlich des Generalstabs erwartet, die wohl zu ähnlichen Ergebnissen kommen werden. Nimmt man das alles zusammen, dann kann man, glaube ich, sagen, die Botschaft ist, die bisherige Politik ist gescheitert, wir brauchen eine neue.

Ostermann: Hat denn Präsident Bush dann überhaupt noch eine Möglichkeit, anders zu entscheiden, als die Ratgeber jetzt möglicherweise vorschlagen?

Pleuger: Er hat ja gesagt, dass die Berichte, die er jetzt bekommt, alle interessante Elemente enthalten, die er ernsthaft prüfen und berücksichtigen will. Für ihn ist natürlich die Schwierigkeit, eine 180-Grad Kehrtwende vorzunehmen, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren, nach alledem, was er vorher jahrelang erzählt hat.

Ostermann: Er hat ja bereits Gespräche mit dem Iran und mit Syrien abgelehnt, mit dem Iran insofern dann, wenn Teheran nicht bereit ist, sozusagen die Atomkraft nicht weiter zu erforschen. Also unter diesem Gesichtspunkt hat doch Präsident Bush jetzt bereits einigen Ansätzen, nämlich die Nachbarn auch unter die Lupe zu nehmen, einen Korb gegeben, oder ist das hier falsch aufgenommen worden?

Pleuger: Nein, es ist eine halbe Kehrtwendung, die er dort vorgenommen hat. Er hat ja gesagt, er ist bereit, sich mit den drei Europäern an den Verhandlungstisch zu Iran zu setzen, wenn die Iraner zuvor die Anreicherung von Uran aufgeben.

Ostermann: Aber das wollen sie nicht.

Pleuger: Das wollen sie nicht, aber das ist eine Sache, die man diplomatisch lösen kann mit einer Formulierung, die beiden Seiten das Gesicht wahrt, und das ist ja auch einer der zentralen Vorschläge der Baker-Kommission, dass man mit Iran und mit Syrien das direkte Gespräch aufnimmt. Sehen Sie, wenn Sie einen Konflikt lösen wollen und zum Frieden zurückkehren wollen, dann müssen Sie mit allen Konfliktbeteiligten sprechen, und alle Konfliktbeteiligten müssen sich nachher an das Vereinbarte halten, und Syrien und Iran sind Konfliktbeteiligte, sowohl im Irak wie auch im Libanon, und sie deshalb außen vor zu lassen ist gleichbedeutend mit einem Scheitern der Friedensbemühungen.

Ostermann: Herr Pleuger, was macht Sie eigentlich so sicher, dass die Nachhaltigkeit dieses Baker-Papiers doch größer ist, als man möglicherweise glaubt? Sie haben selbst gerade angesprochen, es gibt noch zahlreiche Expertisen, das heißt, der amerikanische Präsident kann ja aus jeder Expertise das ziehen, was ihm gerade passt.

Pleuger: Ja, das ist theoretisch richtig, und der Präsident wird sicherlich versuchen, am Schluss eine Politik und eine Strategie vorzuschlagen, die sein Stempel trägt. Aber das ist nötig für die Gesichtswahrung, nur darf man dabei nicht verkennen, dass das Baker-Papier natürlich wirklich großes politisches Gewicht hat. Das ist ein Papier, das von Mitgliedern des Kongresses und von sehr angesehenen Politikern ausgearbeitet worden ist, und die Kommission war paritätisch besetzt von Republikanern und Demokraten. An dem Papier wird der Präsident nicht vorbei können.

Ostermann: Werden wirklich alle heiklen Fragen in diesem Papier angesprochen, denkt man an den israelisch-palästinensischen Konflikt oder an Syrien und die Golanhöhen?

Pleuger: Das ist natürlich ein Teil der Konfliktlösung. Es ist ganz klar, wenn Sie Syrien und Iran als Partner bei der Konfliktlösung brauchen, dann ist natürlich selbstverständlich, dass diese beiden Staaten auch den eigenen Vorteil dabei sehen, und Syrien ist eben nicht nur ein Konfliktbeteiligter im Iran und im Libanon, sondern auch Israel im israelisch-palästinensischen Konflikt, und einer der wichtigsten Punkte in diesem Konflikt ist die Annektion der Golanhöhen durch Israel, und es ist ganz sicher, dass die Syrer diese Frage nicht außen vor lassen werden, wenn sie zu irgendwelchen Verhandlungen zu Tisch gebeten werden.

Ostermann: Welche Rolle kann denn jetzt Deutschland spielen, um bei der Bewältigung der Probleme mitzuhelfen?

Pleuger: Ich glaube, Deutschland kann nicht nur eine wichtige Rolle spielen, sondern spielt bereits eine wichtige Rolle. Außenminister Steinmeier ist ja in der Region gewesen, er war erst vor wenigen Tagen auch in Syrien. Er ist heute in Washington, um sich mit seiner Kollegin Condoleezza Rice zu beraten. Sehen Sie, Deutschland hat erstens mal in der Region großes Ansehen und Vertrauen, und Deutschland kann deshalb, glaube ich, vermitteln, um Verhandlungen zustande zu bringen, die alle Konfliktbeteiligten mit einbeziehen, und das wird nicht ganz einfach sein, vor allen Dingen nicht für Amerika, weil die USA in fast allen Konflikten der Region als Partei betrachtet werden. Deutschland ist nicht Partei, Deutschland kann zwischen den streitenden Parteien vermitteln, und hinzukommt, dass sowohl der Libanonkrieg wie auch das Irakdesaster natürlich in der Region die Stellung von Iran und Syrien gestärkt haben. Beide Staaten fühlen sich durch den Ausgang des Konfliktes bisher gestärkt in ihrer Position und in derer Wichtigkeit. Das macht es natürlich schwieriger, sie zu konstruktiven Mitarbeitern bei der Erarbeitung eines Friedensplans zu gewinnen, und ich glaube, dass Deutschland hier eine Rolle hat und diese Rolle auch gut spielen kann und, so wie ich Außenminister Steinmeier kenne, auch gut spielen wird.

Ostermann: Herr Pleuger, Sie sind ein erfahrener Beobachter der politischen Landschaft. Mit der Bitte um eine kurze Antwort, sind Sie jetzt in der Tat nach diesen Papieren in den USA, nach den Anhörungen etwas optimistischer?

Pleuger: Das ist schwer zu sagen. Erstens mal muss man abwarten, welche Konsequenzen der amerikanische Präsident aus diesen Vorschlägen zieht. Zweitens weiß man nicht genau, wie die Konfliktbeteiligten in der Region darauf reagieren. Wir haben gesehen, dass die Reaktion im Irak auf den Baker-Bericht äußerst zurückhaltend ist, und bisher ist auch noch nicht geklärt, unter welchen Bedingungen Iran und Syrien bereit sind, hier konstruktive Mitarbeit zu leisten. Die Lage im Iran ist unter Verhandlungen der fünf ständigen Mitglieder plus Deutschland. Die Sache im Irak ist so verfahren, dass ich glaube, jede Voraussage eine reine Spekulation ist.

Ostermann: Gunter Pleuger war das, der ehemalige Botschafter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.