Es bildet ein Charakter sich im Strom der Welt

Von Klaus Bölling |
Es geht, Entschuldigung, nicht um Galanterie, es geht um pure Politik oder, genauer, um politischen Instinkt. Die Kanzlerin hat einer eben 32-jährigen Parteifreundin ein Ressort mit der gleichsam universellen Postanschrift anvertraut: "Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend".
Männer werden nicht ausdrücklich genannt, die gehören halt zur Familie und wenn nicht, dann sollten sie sich ranhalten. Scheuen wir nicht die Allerweltsweisheit, dass der Mann oder die Frau an der Spitze einer Partei junge Talente erst entdecken und dann, wenn die Begabung erwiesen ist, auch richtig fördern sollte. Nun gibt es neuerdings ein gewisses Grummeln, leise, leise, in den Reihen der Strukturkonservativen der CDU. Ist, altmodisch geredet, das Portefeuille, sprich der Geschäftsbereich der aparten Ministerin Kristina Köhler, nicht ein paar Nummern zu groß?

Evangelisch, das ist gut, besser noch ihre Aktivität in der Wiesbadener Johanniter-Schwesternschaft, freilich nicht am Krankenbett, sondern im Verwaltungsrat. Die Ministerin ist ledig, das wird sich über ein Weilchen ändern, Kinderwunsch schon bekundet, sehr gut. Es kommt noch besser. In dieser Woche bereits wird sie den Doktortitel führen dürfen.

Kristina Köhlers Dissertation hat den akademisch hochfrisierten Titel: "Empirische Analyse der objektiven und subjektiven Responsivität von Bundestagsabgeordneten". Die Abgeordnete wollte erkunden, was ihre Parlamentskollegen und die CDU-Parteimitglieder von Gerechtigkeit halten. Einige, die Köhlers Promotion schon gelesen haben, vermissen darin so etwas wie eigene Gedanken oder eine politische Grundüberzeugung.

Und ihr Doktorvater, der uns vom Bildschirm vertraute Mainzer Professor Jürgen Falter, wird mit der Bemerkung zitiert: "Eine gute Arbeit, sie wäre noch besser geworden, hätte die Doktorandin mehr Zeit gehabt." Dazu meinte jemand in der Umgebung des Professors, das sei wohl eher ein dezent vergiftetes Lob.

Die Ministerin, die uns erzählt hat, dass sie schon mit 14 für Helmut Kohl geschwärmt hat, wird sich Angela Merkel erkenntlich zeigen. Die Frage ist, gewiss nicht despektierlich, ob jungen Menschen mit erkennbar politischer Begabung, aber ohne jede Berufs- und Lebenserfahrung eine so große Verantwortung übertragen werden darf. Es gibt im politischen Berlin einen gar nicht netten Spruch: "Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal", sprich Bundestag. Es gibt Varianten.

Andrea Nahles, neulich zur Generalsekretärin der SPD aufgerückt, arbeitet, man weiß nicht genau, wie lange schon, an ihrem Magister Artium. Was verbindet sie mit dem wirklichen Leben? Es ist die Partei, wenig sonst als die Partei. Nahles kennt, so wird gespottet, jeden Ortsverein der SPD. Sie ist die Inkarnation einer Funktionärin und innerhalb und außerhalb der SPD nicht sonderlich beliebt.

Ihre männlichen Vorgänger im Vorsitz der Jungsozialisten haben sich, ohne Umweg über einen bürgerlichen Beruf, ruckzuck in die Politik gestürzt. Nils Annen, ein starkes Talent, das zeigte er kurze Zeit im Bundestag, studierte ungezählte Semester, scheiterte, unter anderem, am Kleinen Latinum und musste aufgeben. Björn Böhning, auch er einst Juso-Chef, sieht sich als das linke Gewissen der SPD.

Klaus Wowereit berief ihn als Planungschef ins Rote Rathaus. Die Berliner SPD verlor am 27. September gleich 300.000 Stimmen. Mit Böhnings Planung kann da etwas nicht gestimmt haben. Übersehen wir nicht den gelegentlich gegen die Frau Vorsitzende Merkel aufmuckenden Philipp Mißfelder, der die Junge Union befehligt und, längst vergeben, den Mitbürgern jenseits der 80 Hüftoperationen versagen wollte. Vom Abitur über die Uni gleich ins politische Getümmel, talentiert auch er, katholisch, verheiratet, gut vernetzt. Vernetzt:

Da haben wir’s: Ohne Parteinetzwerk kommt keiner nach oben. Von Kristina Köhler über Andrea Nahles bis zu Philipp Mißfelder, alle sind Geschöpfe ihrer Parteien und deshalb zum Bravsein verpflichtet. Parteikarrieren, so ist zu beobachten, sind nicht unbedingt Leistungskarrieren. Widmen wir den jungen Begabungen der deutschen Politik ein Goethe-Wort: "Es bildet ein Talent sich in der Stille. Sich ein Charakter in dem Strom der Welt."


Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des Weltspiegel, USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".
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