Erziehung & Sexualität

Sollen wir mit Kindern über Pornos reden?

Beleuchtestes Neonreklameschild für Pornografie
Durch das Internet sind Pornos immer und jederzeit verfügbar – auch für Kinder. © imago / Magictorch
Von Katja Bigalke · 13.07.2017
Pornos gucken statt die Sendung mit der Maus? Mit durchschnittlich 14 Jahren schauen Kinder das erste Mal einen Porno. Die feministische Porno-Regisseurin Erika Lust fordert Eltern deshalb auf, frühzeitig mit Kindern über Pornos zu reden. Auf ihrer Webseite gibt sie Tipps.
"Meine Pornoabhängigkeit begann als ich 14 Jahre alt war. Am Anfang habe ich einmal, zweimal und dreimal einen Porno geschaut und dann stundenlang", erzählt eine Frau. Ein Mann erzählt, von den Videos, die er als Jugendlicher im Netz entdeckte: "So zu tun, als ob man gewürgt werden will oder geschlagen, das habe ich in Videos gesehen."

"Ich habe mir Pornos angeschaut, weil ich etwas über homosexuellen Sex erfahren wollte"

Diese Erzählungen stammen aus einem Dokumentarfilm der BBC zum Thema Pornographie und deren Einfluss auf Jugendliche. Der Film steht als Video auf der Webseite thepornconversation.org der feministischen Pornofilmregisseurin Erika Lust zum Download zur Verfügung. Genau wie aufklärerische Animationsfilme zum Thema und Artikel aus der New York Times, dem Telegraph oder dem Guardian zur Frage, wie Eltern mit ihren Kindern über Pornographie sprechen könnten.
Erika Lust will frühzeitig über das Thema aufklären, auch weil sie selbst zwei Töchter hat, die sie gewappnet wissen will, wenn diese im Netz über pornografische Inhalte stolpern:
"Ich empfehle, dass man die Kinder nicht angreift. Nicht sagt: Ich habe mir deinen Verlauf angeguckt. Porno ist schlecht und du darfst das nicht gucken. Das werden die nämlich dann erst recht tun. Wir nennen unser Projekt ja extra 'Pornconversation'. Es sollte eine Unterhaltung sein und kein Vortrag nach dem Motto: Setz dich hin! Ich erzähle dir was Porno ist."
Erika Lust hat ihre Werkzeuge zum elterlichen Umgang mit dem Thema Pornographie für verschiedene Altersgruppen zusammengefasst. Unter elf Jahre, elf bis 15 Jahre und über 15 Jahre. Wobei Lust davon ausgeht, dass es viel einfacher sei, mit einem Kind zwischen 9 und 11 Jahren das Gespräch zu suchen als später. Erika Lust gibt Eltern Tipps, wie sie eine Unterhaltung mit ihrem Kind beginnen können:
"Hey, das ist mir ein bisschen unangenehm, aber ich bin neulich zufällig über ein paar sehr verstörende Dinge im Internet gestolpert und ich mache mir Sorgen, dass du das vielleicht auch gesehen hast. Wenn ich auf den normalsten Webseiten einkaufe, poppen bei mir so pornografische Anzeigen auf. Passiert dir das auf deinem Handy auch manchmal?"

Sex-Videos statt Mickey Mouse

Zwar ist es in Deutschland verboten Jugendlichen unter 18 Jahren Pornografie zugänglich zu machen. Studien zeigen jedoch, dass das Durchschnittsalter in dem Jungen und Mädchen Pornographie entdecken, bei 14 Jahren liegt.
Außerdem: Auch Grundschüler mit Zugang zu Smartphones oder Computern finden mühelos durch ein paar Klicks Zugang zu Sexfilmen. Der durch Pornoseiten verursachte Traffic soll für ein Drittel der über das Internet verschickten Daten verantwortlich sein.
Alles Fakten, die eine Ignoranz gegenüber dem Thema verbieten, meint Erika Lust:
"Das Problem mit Porno ist, dass das meiste was auf den Mainstream Plattformen zu finden ist sexistisch, frauenfeindlich, homophob und rassistisch ist. Wenn junge Menschen, die noch nie Sex erlebt haben, so etwas sehen, dann können Pornos wie Sexualerziehung wirken, obwohl das nie so angelegt war. Und ob wir das wollen oder nicht, wir müssen als verantwortliche Eltern mit unseren Kindern darüber reden."

Porno ist nicht das wahre Leben

Doch wie redet man mit seinem Kind nicht nur über Blümchensex, sondern auch über frauenverachtende, gewalttätige Pornos? Auf Erika Lusts Webseite thepornconversation findet man folgende Tipps:
- Pornografie ist kein echter Sex. Menschen führen etwas vor und das hat nichts mit echtem Sex zu tun.
- Männer und Frauen haben Intimbehaarung und das ist normal und okay.
- Rassismus ist allgegenwärtig in Mainstreampornografie. Wenn man allein über die Hautfarbe definiert, ob man etwas gerne ansieht oder nicht.

Generation Porno?

Immer wieder bekommt die feministische Pornoregisseurin Nachrichten von Kindern und Jugendlichen, die sie um Rat fragen:
"Ich kann ihnen sagen, dass sie für sich selbst denken müssen und dass es Zeit braucht sich selbst und seinen Körper und dementsprechend auch einen anderen kennen zu lernen. Ich bekomme so viele Mails von jungen Leuten, die frustriert sind, weil sie Pornos gesehen haben bevor sie Sex im echten Leben hatten. Sie haben dann versucht, das zu reproduzieren und waren dann enttäuscht. Die Jungs, weil sie keine Sexmaschinen sind und die Frauen, weil sie ihre ganze Energie da reinsteckten, den Mann zu befriedigen."
Es gibt zwar nach wie vor keine Langzeituntersuchungen zum Einfluss von Pornographie auf die Entwicklung von Sexualität. Aber – so Andreas Ritter, Sexualpädagoge bei profamilia Berlin:
"Die Jugend heute sei definitiv nicht sexuell verwahrlost, wie das vor knapp zehn Jahren Zeitschriften und Bücher prognostizierten mit Titeln wie 'Voll Porno!' oder 'Deutschlands sexuelle Tragödie: Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist'.
Untersuchungen zeigen, dass die meisten Jugendlichen nach wie vor mit 16, 17 Jahren Sex erleben. Und dass die deutschen Jugendlichen Spitzenreiter sind beim Thema Verhütung. Da ist also ein weitgehend verantwortungsvoller Umgang mit Sexualität."

Über Sex reden – und über Gefühle

Die Sexualaufklärung in der Schule sei ein essentieller Baustein in Sachen Aufklärung, sagt Ritter. Aber – und da teilt er Lusts Ansatz – das Gespräch mit den Eltern sei genauso wichtig:
"Die schulische Sexualerziehung hat oft keine Antwort auf emotionale Fragen. Da hat sich wenig geändert. Eigentlich geht es denen ja auch um Gefühle und Emotionen und auch darum, mit was sie so konfrontiert sind."
Und da gehört das Thema Pornographie definitiv mit dazu. "Let’s talk about Porno" lautet der Titel einer Materialsammlung der EU-Initiative Klicksafe, die in Zusammenarbeit mit profamilia entstanden ist und die Ritter auch Lehrern gerne mitgibt. Der Einstieg ins Thema ist ein "Selbsterkundungsbogen":
"Ich kenne pornografische Seiten im Internet" "Ja/Nein
"Ich habe Pornografie in meinem Leben bereits zur sexuellen Stimulation benutzt"? Ja/Nein
Um mit Jugendlichen über solche Dinge sprechen zu können, ist es sinnvoll sich erstmal seinen eigenen Standpunkt klar zu machen, sagt Ritter. Je facettenreicher die Meinungen dann sind, die vermittelt werden, umso besser:
"Es ist gut wenn es verschiedene Statements gibt. Wenn einer sagt, ich find’s gut bestimmte Dinge sind auch ganz schön. Bei manchen Themen gibt es erstmal gar keine Antwort Was Jugendliche merken ist, wenn Eltern schräg sind. Wenn Eltern sich schämen und anfangen zu stammeln. Es ist wichtig authentisch zu sein. Da kann man auch sagen, mir ist das Thema unangenehm, aber mir ist es echt wichtig."
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