Erzählungen eines lustvollen Sprach-Arbeiters

14.06.2011
Der beste Witz kommt aus der Selbstironie. Schriftsteller neigen nicht unbedingt dazu, aber gelegentlich kommt sie vor.
Der schreibende Ich-Erzähler einer bislang unveröffentlichten Erzählung von Hermann Kant resümiert den Brief eines zu "konstruktivem Missfallen" neigenden Freundes: "... kräftig unterstrichen hat er die Auskunft, beim M. gehe übermäßige Handlungsarmut mit unnötigem Formenreichtum einher."

Natürlich hat der Autor dieser Zeilen kritische Anwürfe, die ihm bekannt sind, darin verarbeitet. Ein Hieb auf die zeitweilig in Zitier-Mode befindliche Stasi-Sprache ("beim M.") findet sich ebenso darin wie ein satirisches Ausstellen sprachlicher Schludrigkeit ("übermäßige Handlungsarmut").

Und doch behält der tückische Kern der Aussage sein Gewicht: "Handlungsarmut" und "Formenreichtum", das könnte man fast jeder der hier versammelten Erzählungen aus nunmehr rund 50 Jahren schriftstellerischer Arbeit vorwerfen. Oder zu schätzen wissen! Denn Hermann Kant braucht nicht unbedingt die großen dramatischen Verwerfungen, um seine Erzählungen zu konstruieren. Er ist ein überaus lustvoller Sprach-Arbeiter, einer, der bauscht und drechselt und sich von fast jeder Abschweifung gern verführen lässt, der feilt und schmirgelt und poliert, bis die Sache zu ihrem Hochglanz gefunden hat.

Ist da etwas unter diesem Blinken und Funkeln, unter dieser ausgestellten Kunstfertigkeit, die den Wert des gut Geformten so sehr zu schätzen weiß? Unbedingt. Und das nicht nur, weil sich etwa das Gewicht deutscher Geschichte in diesen Texten gespiegelt findet wie in jenem, der den Moment der Gefangenschaft eines deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg in Polen verarbeitet. Mehr noch wirken diese Texte, weil sie den Horizont dessen, was eine Erzählung leisten kann, so genau im Blick haben. Weil sie das Ungesagte, das Unterschwellige und Doppelbödige transportieren, jene Erschließungsmasse, die der Leser zu durchforsten hat. Es ist nicht das Schlechteste, was sich über Erzählungen sagen lässt, wenn man ihnen dabei Humor bescheinigen kann.

Das Wiederlesen mancher dieser Erzählungen erzeugt dabei einen interessanten Effekt: Mochte man Texte wie "Der dritte Nagel" oder "Bronzezeit" als humorig-stichelnde DDR-Satiren in Erinnerung haben, stellt man fest, dass sie, erstens, weiterhin richtig gut zu lesen sind, und, zweitens, einen historischen Zufall wie die DDR nicht wirklich als Hintergrund brauchen. Die erzählerische Bilanz des Hermann Kant, dieser "Lebenslauf, zweiter Absatz", präsentiert überaus haltbare Texte.

Zum Autor:
Hermann Kant wurde 1926 in Hamburg in einfachen Verhältnissen geboren, absolvierte eine Elektriker-Lehre und wurde 1944 Soldat der Wehrmacht. Er geriet in polnische Kriegsgefangenschaft, durchlief und leitete Antifa-Schulungen, studierte später Germanistik in Berlin. Sein erster Erzählungsband erschien 1962. Seine Romane "Die Aula" (1965) und "Der Aufenthalt" (1977) gelten als bedeutsame Texte der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. In seiner Rolle als Präsident des Schriftstellerverbands der DDR (1978-1990) war er überaus umstritten, gegen Vorwürfe, er sei Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gewesen, hat er sich erfolgreich vor Gericht verteidigt.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Hermann Kant: Lebenslauf, zweiter Absatz
Aufbau-Verlag, Berlin 2011
208 Seiten, 18,95 Euro
Mehr zum Thema