Erzählungen aus einem Kommissarleben

28.12.2006
Der Schriftsteller Mario Soldati blieb in seinem Leben in Norditalien verwurzelt und machte jene Regionen immer wieder zum Gegenstand seiner Geschichten. Das gilt auch für den schmalen Band "Die Fälle des Maresciallo". Darin sind acht Erzählungen versammelt, bei denen es um Fälle aus einem langen Kommissarleben geht. Den Hintergrund bildet das ländliche Italien, das sich allmählich durch die Neuerungen der rasanten Industrialisierung wandelt.
Mit seinen tadellosen Anzügen, der unvermeidlichen Zigarre im Mundwinkel, nachlässig gebundener Fliege und weltläufigen Manieren wirkte Mario Soldati (1906-1999) immer wie der Aristokrat unter den italienischen Schriftstellern. Dabei ist in seinen literarischen Werken von aristokratischem Gebaren oder Manierismen keine Spur.

Geprägt durch seine Erfahrungen in den USA, wo Soldati zwischen 1929 und 1931 an der Columbia Universität unterrichtete, hatte er die Einfachheit und Leichtigkeit zu seinem grundlegenden erzählerischen Prinzip gemacht. Der überzeugte Antifaschist kehrte nach Italien zurück und schrieb ein legendäres Buch über seine Erfahrungen in Amerika, "America primo amore" (1935). Nach Kriegsende lebte Mario Soldati zwischen Rom und Mailand und begann eine mehrgleisige Karriere als Schriftsteller, Regisseur, Drehbuchautor und Journalist. Soldati verfasste über 40 Drehbücher, drehte Krimis, Komödien und Abenteuerfilme und leistete durch Literaturverfilmungen einen wichtigen Beitrag zum italienischen Neorealismus. Sein faszinierender Schreibzwang erstreckte sich auch auf das Gebiet der Literatur: mehr als zwanzig Romane, etliche Erzählbände, Reiseberichte, Erinnerungen, Theaterstücke und Gedichte zählen zu seinem Werk.

Ein Geschmack am Morbiden und Merkwürdigen verleiht seinen Büchern einen ganz eigenen Charme. Soldati, der 1906 in Turin geboren wurde, blieb Zeit seines Lebens in Norditalien verwurzelt und machte jene Regionen immer wieder zum Gegenstand seiner Geschichten. Das gilt auch für den schmalen Band "Die Fälle des Maresciallo", der im Original 1984 erschien. Schon 1957 hatte der Schriftsteller während der Dreharbeiten zu einer aufsehenerregenden Fernsehserie über die Poebene und die dortige Küche einen Maresciallo namens Arnaudi kennengelernt. Dieser Mann, ein gebürtiger Süditaliener, inspirierte ihn zu seinem Helden Gigi Arnaudi.

Anders als sein Vorbild aus der Wirklichkeit stammte seine literarische Figur allerdings nicht aus Süditalien, sondern ist, genau wie Soldati selbst, ein typischer Norditaliener. 1963 veröffentlichte Soldati die Erzählungen des Maresciallo in der Tageszeitung "Il Giorno". Die Beschäftigung mit den Speisen und Weinen des norditalienischen Landstrichs fließt in die Geschichten mit ein: Jedes Mal, wenn sich der Ich-Erzähler, der unter dem Klarnamen des Schriftstellers agiert, mit Arnaudi trifft, setzen sie sich zum Essen hin und genießen die lokalen Spezialitäten. Während sich die beiden Freunde an Polenta und einer Flasche Val Tidone erfreuen, breitet Arnaudi seine letzten Abenteuer aus und berichtet seinem Gegenüber von rührenden Betrügern, gewitzten Strolchen, rückfälligen Diebinnen, denen er eigentlich zu einem besseren Leben verhelfen wollte, naiven Carabinieri und durchtriebenen Bösewichtern. Der Polizist verkörpert so etwas wie den gesunden Menschenverstand und hat das Herz auf dem rechten Fleck. Acht Erzählungen sind in dem Band versammelt.

Der Tonfall ist unprätentiös und dem mündlichen Erzählstil nachempfunden; beiläufig, zwischen Nudeln und Dessert, nehmen die Geschichten ihren Lauf. Den Hintergrund bildet das ländliche Italien, das sich allmählich durch die Neuerungen der rasanten Industrialisierung wandelt: Autobahnen werden gebaut, Neureiche verändern die Dorfstrukturen, familiäre Bindungen verlieren an Bedeutung. Einmal lässt sich der erfahrene Polizist von der Unbeholfenheit einer jungen Frau aus dem Friaul blenden, die väterliche Gefühle in ihm weckt. Doch obwohl er ihr eine zweite Chance gibt und ihr eine Arbeitsstelle verschafft, fällt sie auf den nächst besten Halunken herein. Ein anderes Mal kommt der Maresciallo einem als Priester verkleideten Tabakwarenladendieb auf die Spur, den er noch aus ihrer gemeinsamen Jugend kennt: Leider hat der Mann die Neigung, sich in unglückliche Liebesgeschichten zu verwickeln und aus Geldnot in verzwickte Situationen zu geraten. Mit seiner neuen Angebeteten im Schlepptau verwickelt der Pseudo-Priester Tabakladenbesitzer in ein Gespräch, während seine hübsche Freundin hinterrücks Ware entwendet. Als Arnaudi den früheren Freund stellt, bricht dieser in Tränen aus und zeigt tiefe Reue. Hinter der beschaulichen Ausstattung der kleinen Erzählungen verbergen sich kleine Chroniken des Landlebens, die von Erkenntnissen über die anthropologischen Veränderungen durchsetzt sind. Soldati, dessen Geburtstag sich in diesem Herbst zum hundertsten Mal jährte, ist ein augenzwinkernder Moralist und ein unbeirrbarer Erforscher des Menschlichen.

Rezensiert von Maike Albath

Mario Soldati:
Die Fälle des Maresciallo

Aus dem Italienischen von Chaterine Rückert.
Verlag Klaus Wagenbach 2006.
116 Seiten, 13, 90 Euro.