Erzählung

Lost in Lissabon

Der italienische Schriftsteller Antonio Tabucchi verstarb 2012
Der italienische Schriftsteller Antonio Tabucchi verstarb 2012 © dpa / picture alliance / Julian Martin
Von Marko Martin · 02.05.2014
Antonio Tabucchis posthumes Erzählstück "Für Isabel" zeugt von der Portugal-Faszination des italienischen Romanciers. Es ist zwar kein neues Meisterwerk, kann aber atmosphärisch überzeugen.
Antonio Tabucchi, geboren 1943 in der Nähe von Pisa, war nicht nur einer der bedeutendsten Gegenwartsschriftsteller Italiens - auch die portugiesische Literatur hat ihm Immenses zu verdanken. Kein Zufall also, dass im Jahre 2012 der seit langem kränkelnde Romancier, Erzähler und Literaturwissenschaftler sein geliebtes Lissabon als Sterbeort gewählt hatte. Bereits Jahre zuvor hatte er sein fiktives "Lissaboner Requiem" sogar auf portugiesisch geschrieben, und auch "Die letzten drei Tage des Fernando Pessoa" handelten auf unnachahmlich melancholische Weise von Tod und Vergänglichkeit - ohne jemals in folkloristischen Saudade-Kitsch abzudriften.
Es ist deshalb eine gute Nachricht, dass nun - als erstes posthumes Werk - Antonio Tabucchis "Für Isabel" erscheint. Der Autor hatte das Manuskript, das den Untertitel "Ein Mandala" trägt, bereits Mitte der 90er-Jahre fertiggestellt. Ausgehend von jener mythischen Form konzentrischer Kreise wird hier – und dies mit großer Konzentration – die Geschichte einer Suchbewegung erzählt. Ein polnischer Dichter namens Waclaw Slowacki macht sich in der Gegenwart auf die Suche nach einer Frau namens Isabel, die während der dunklen Zeit der Salazar-Diktatur plötzlich verschwunden war. Hatte die Studentin in der Haft Selbstmord begangen oder brachte sie sich aus Depression wegen einer unglücklichen Liebschaft um? Der Ich-Erzähler spürt im heutigen Lissabon diverse Zeugen auf, die freilich nicht immer glaubwürdig sind – dies jedoch zum Lektüre-Vergnügen des Lesers, denn da ist er noch einmal, jener zaubrische Tabucchi-Ton, romantisch und ironisch-unwirsch zugleich, darstellungsgenau und doch vieles im poetisch Ungefähren lassend.
Spurensuche im poetisch Ungefähren
Schließlich trägt ihn die Suche sogar in die ehemalige portugiesische Kolonie Macao, wo er zwar eine weitere Spur auffindet, sein Erfinder Tabucchi jedoch den roten Faden verliert. Die Schlusskapitel, als achter und neunter Kreis bezeichnet, spielen in der Schweiz und an der Riviera, sind dann leider jedoch nur noch hochtönende Kulissenschieberei und Nummernrevue. Überdies ist es durchaus irritierend, dass jene Isabel während der ganzen Suchaktion immer blasser wird und auch der mehrfache Verweis auf die polnische Nationalität des Dichter-Erzählers der Handlung nichts an zusätzlicher Dimension hinzufügt.
Somit ein misslungenes Werk? Nicht zur Gänze, ist doch die Tatsache, dass die Geschichte erst dann zerfasert und an Spannung verliert, als sie den portugiesischen Kulturkreis verlässt, schon fast wieder ein originäres Tabucchi-Sujet. Überdies: Wer Romane wie "Erklärt Pereira" und "Der verschwundene Kopf des Damasceno Monteiro" geschrieben hat, ist der Dankbarkeit seiner Leser auf ewig sicher. Selbst wenn nun aus der Schublade kein neues Meisterwerk aufgetaucht ist, sondern ein atmosphärisch bezirzendes Erzählstück, das erst gegen Ende hin in kosmischen Spekulationen verröchelt. Saudade.
Antonio Tabucchi: Für Isabel. Ein Mandala
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
Hanser Verlag, München 2014
172 Seiten, 16,90 Euro