Erzählung

Karibische Krabbenwanderung

Von Sylvia Schwab · 27.11.2013
Während der Krabbenwanderung auf ihrer heimatlichen Karibikinsel hat Cynthia eine schwierige Zeit: Der Vater verlässt die Familie und der Freund entpuppt sich als Drogendealer. Hanna Jansen schaut in ihrer Identitäts- und Familiengeschichte hinter die Fassaden von Schönheit und Bigotterie des Inselparadieses.
Nach ihrem Highschool-Abschluss kehrt die 17-jährige Cynthia zurück auf die kleine Karibikinsel ihrer Kindheit. Alles scheint wie immer – wunderschön, idyllisch und heiß - und doch ist es anders: Die Freundin zieht sich zurück, der Vater verlässt die Familie, der Freund entpuppt sich als Drogendealer und ein alter Junkie wird fast zu Tode geprügelt. Die "Zeit der Krabben" - wochenlang ziehen Krabbenschwärme aus dem Gebirge zum Eierablegen ins Meer und zurück in ihre Höhlen - wird für Cynthia eine schwierige Zeit der Suche nach der Wahrheit und nach ihrem eigenen Weg. Das liest sich faszinierend, ist voller aufwühlender Entdeckungen und Erlebnissen.
Hanna Jansen breitet eine exotische Welt vor uns aus. Ein Inselparadies mit herrlichen Stränden, türkisblauem Meer, Palmen und einem großartigen Tauchrevier. Doch der Schein trügt. Längst liegt Müll im Urwald, die jungen Leute trinken und koksen zu viel, Korruption und Erpressung bestimmen die Lokalpolitik. Die Autorin schaut hinter die Fassaden von Schönheit und Bigotterie und entwirft Figuren mit gebrochenen Lebenswegen. Ein Ensemble von bunten Gestalten mit zum Teil dramatischen Schicksalen bevölkert Cynthias Welt und sie alle tragen zur Spannung der Geschichte bei.
Die Enge der Insel hinter sich lassen
Cynthia erzählt ihre Geschichte selbst, in einem natürlichen, zupackenden Ton. Sie beobachtet ihre Umgebung sehr genau, denkt viel über ihre Eltern und Geschwister nach, beschreibt das Leben auf der Insel. Die harte Arbeit im Restaurant der Mutter macht ihr nichts aus, sie liebt ihre Insel und dennoch sehnt sie sich nach einem anderen, freieren Leben. Intensiv, aber nicht kitschig, innig, aber nie pathetisch schildert sie die beglückende Schönheit der Sonnenuntergänge, den Duft der Blumen, die Farben des Meeres und doch liegt über allem ein Hauch von Zerbrechlichkeit: Die Natur ist gefährdet, menschliche Beziehungen auch.
"Zeit der Krabben" ist eine bewegende Identitäts- und eine dramatische Familiengeschichte. Die karibische Insel mit ihrem exotischen Flair und der erstaunlichen Schilderung der Krabbenwanderung ist dabei keine Staffage, sondern ein authentischer und eindrucksvoller Schauplatz. Krimimotive und eine zarte Liebesbeziehung bringen zusätzliche Spannung in die Geschichte. Und obwohl Cynthia einige traumatische Erlebnisse verarbeiten muss, bleibt ihre Erzählung nie im Düsteren stecken, sondern strahlt bis zum Schluss Optimismus und Kraft aus.
Ein größerer zeitlicher Abstand liegt zwischen der verwirrenden "Zeit der Krabben" und dem Zeitpunkt, an dem Cynthia ihre Geschichte erzählt. Ein Abstand, der es möglich macht, das chaotische Geschehen zu verstehen und zu ordnen. Dabei wendet sich Cynthia immer wieder an ihre Leser, spricht sie direkt an, so als höre ihr endlich jemand zu! Ihr, der jungen Frau, die es schaffte, sich ihre Sehnsucht zu erfüllen und so die Enge der Insel hinter sich lassen konnte.

Hanna Jansen: Zeit der Krabben
Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2013,
185 Seiten, 16,90 Euro, ab 13 Jahren

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