Erzähltes Leben auf CD

Von Susanne von Schenck |
Persönliche Vermächtnisse haben Konjunktur. Immer mehr Menschen wollen ihr Leben noch einmal Revue passieren lassen. Dabei hilft Rainer Koch mit seinen "Lebens-hör-spielen" für den privaten Gebrauch: Er führt mit Ineressierten lange Interviews, fasst ihre Lebensgeschichte als Hörspiel zusammen und überreicht ihnen am Schluss eine Erinnerungs-CD.
"Das ist interessant an meinem Leben, dass ich in der Weimarer Republik geboren wurde, bei den Nazis in die Schule gegangen bin, bei den Sozis gearbeitet habe und jetzt bei den Kapitalisten meine Rente beziehe. "

Ein Schnipsel aus einem langen Leben – aufgezeichnet von Rainer Koch. Der Geschichtensammler aus Dresden produziert "Lebens-hör-bücher", seit drei Jahren. Damals war er der erste, der autobiographische Hörbücher für den Privatgebrauch anbot.

"So was wie ein Schlüsselerlebnis war auf jeden Fall der Tod meiner Mutter, das war 1995, und da mein Vater gestorben war, als ich noch ein Kind war, da war ich fünf Jahre alt und ich die Großeltern nicht gekannt hab, außer einem Großvater, und den nur flüchtig, ist mir klar geworden, nachdem meine Mutter gestorben war, dass ich relativ wenig über meine Familie weiß und damit auch meinen beiden Kindern relativ wenig davon mitteilen kann. Und da war dann dieser Punkt: Man hätte es eigentlich festhalten müssen, was Mutter noch wusste. Und es war das Bedauern darüber, dass das nicht passiert ist, das wahrscheinlich in mir etwas in Gang gesetzt hat. "

Aus einem Versäumnis wird ein neuer Beruf. Viele Jahre war Koch Hörfunkjournalist, hat als Korrespondent aus Prag berichtet, in Dresden Features und Hörspiele produziert. 2002 gibt er seine Stelle auf. Das schnelllebige Geschäft hat er satt. Mit "Spuren hinterlassen" umschreibt er seine neue Tätigkeit.

Rainer Koch ist Ende 50, leichter Bartwuchs, schmale Gestalt. Er hat zwei Kinder, von seiner Frau lebt er zwar getrennt, arbeitet aber mit ihr zusammen. Bei zahlreichen Produktionen hat sie schon Regie geführt.

Zu seinem 60. Geburtstag möchte Rainer Koch, gedrängt von seinen Kindern, übrigens eine eigene CD erstellen. Allerdings fehlt ihm noch jemand, der ihn dann interviewt.

"Meine Mutter ist sehr krank, aber sie möchte doch noch schnell ihr Leben aufzeichnen. Können Sie kommen?" - solche Anrufe erhält Rainer Koch häufig. Dann fährt er los, quer durch Deutschland, das Aufnahmegerät im Gepäck, bereit für fremde, ihn oft berührende Lebensgeschichten.

"Ja, die Liebe ist sehr, sehr empfindlich. Das war ja dann mein größtes Problem, dass man in der Liebe schon sehr verletzlich ist und dass das sehr weh tut, was einem ein anderer antun kann. "

Bevor Rainer Koch seine meist älteren Kunden zuhause besucht, schickt er ihnen einen umfangreichen Fragebogen. Die Notizen sollen im anschließenden Gespräch als Orientierung dienen. Bis zu zehn Stunden dauern dann die Interviews, das ist harte Arbeit.

Bilanz ziehen, wenn sich das Leben dem Ende zuneigt, wenn ungeklärte Verhältnisse die Seele belasten - die Rückschau auf das eigene Leben, auf Schicksalsschläge, Fehltritte und Verborgenes geht selten ohne Tränen ab. Rainer Koch wird manchmal ungewollt zum Therapeuten.

"Ich hab bei einem älteren Herrn von über 70 Jahren jetzt eine ganz bewegende Geschichte erlebt. Der erzählte von seinem heißgeliebten Vater und sagte plötzlich ganz am Rand, ach das erzähl ich lieber nicht. Da haben wir ausgeschaltet und er hat erzählt. Da war die Tatsache, dass Vater fremdgegangen war und dass daraus ein Kind entstanden war und dieses Kind in der unmittelbaren Nachbarschaft aufwuchs. Das war das Trauma der ganzen Familie. Vater wurde darüber zum Alkoholiker. Seine Kinder wussten das nicht, seine erwachsenen Kinder. Es hat ihm die Seele abgedrückt. Und so hat eben jeder seinen problematischen Teil der Biographie. Und mancher nutzt die Chance und mancher nicht. "

Der Anstoß zu einer CD kommt häufig von den Kindern und Enkeln. Sie möchten mehr über das Leben der älteren Generation erfahren, das sich fundamental von ihrem eigenen unterscheidet. Die Biographien der heute 70-, 80-Jährigen sind oft von traumatischen Erlebnissen der Kriegs- und Nachkriegsjahre geprägt. Gut ein halbes Jahrhundert haben viele von ihnen geschwiegen. Nun erzählen sie – für ihre im Frieden aufgewachsenen Nachkommen.

Wie Ursula Schachanowski. Mit Mitte neunzig ist sie Rainer Kochs älteste Kundin.

"Mich selbst hat es ja angeregt, darüber zu sprechen. Ich war ja immer tätig im Krankenhaus, und hab die Ausbombung und viele Verwundete durch die Ausbombung erlebt. Ich hab mit operieren müssen und so. Darüber hab ich nie richtig gesprochen. Eigentlich ist es jetzt erst richtig bekannt geworden in der Familie. "

Ein Mitarbeiter von Rainer Koch sitzt am Computer, "zerschneidet" Stimmen, korrigiert Versprecher, glättet manchen Schachtelsatz. Vor ihm liegt ein Manuskript. Am Nebentisch verfolgt Rainer Koch konzentriert die Arbeit. Eine Erinnerungs-CD – das ist jedes Mal eine mühevolle und akribische Kleinarbeit. Die langen Interviews müssen für eine 80-minütige CD gekürzt werden. Die Kosten: 850 Euro für eine einfache "Erzähl CD", 2000 Euro, wenn Sprecher, Musik und historisches Tonmaterial hinzukommen.

Warum erzählen Menschen ihr Leben auf CD? Und warum hören sich Kinder oder Enkel die Geschichten an? Zerrissene Familien, wechselnde Partner, wackelige Arbeitsplätze, eine spirituell verarmte Gesellschaft – immer mehr Menschen beschleiche das Gefühl, dem nicht gewachsen zu sein, meint Rainer Koch.

"Man wird so langsam in dieser Identitätsflut beliebig. Und so langsam haben die Leute das Gefühl, irgendeinen Halt brauchen sie noch und dieser Halt könnte zum Beispiel familiäre Identität sein. "

Denn: wer weiß, woher er kommt, kann sich auch leichter vergewissern, wer er ist und wohin er geht.