Erwin Wurm in Wolfsburg

Wo sich krumme Gurken sonnen

Der Künstler Erwin Wurm im Lehmbruck-Museum in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) neben seiner Skulptur "Kuss"
Der Künstler Erwin Wurm, hier im Lehmbruck-Museum in Duisburg, neben seiner Skulptur "Kuss" © picture alliance / dpa / Jonas Güttler
Von Simone Reber · 20.03.2015
Menschen als Lampenständer, Wurst-Skulpturen beim Kuss: Die Kunst des Österreichers Erwin Wurm zeichnet ein untergründiger Humor aus. Doch hinter den optischen Pointen verbergen sich oft bittere Einsichten. DAs Kunstmuseum Wolfsburg zeigt nun eine umfangreiche Werkschau.
"Das ist die Original-Volkswagen-Wurst, die wir hier in unserem Kunstobjekt verkaufen. Wir bieten es in verschiedenen Varianten an, wir haben einmal nur die Currywurst oder nur eine Portion Pommes oder das als Kombination."
Aus dem senfgelben VW-Bus, der vor dem Kunstmuseum Wolfsburg parkt, dringt der Geruch der Werkswurst auf. Durch eine kleine Luke reicht der Koch den Pappteller. Der österreichische Künstler Erwin Wurm hat für seine Grillbude die vertraute Karosserie des Bulli zu weichen Kurven aufgebläht.
"Das sind keine Beulen, das ist einfach Fett. Was mich am Fett interessiert ist, dass es deformiert, dass es Form verändert. Ich bin ja klassischer Bildhauer, das heißt, ich war einer derjenigen, die modellieren mit Ton, Volumen hinzufügen, Volumen wegnehmen. Und wenn man selbst zu- und abnimmt, kommt man auch schnell drauf, dass man Volumen zufügt und Volumen wegnimmt und da könnte man auch sagen, zu- und abnehmen ist Bildhauerei."
Der Mensch, ein Würstchen
Der Mensch ist ein armes Würstchen im irrwitzigen Werk von Erwin Wurm, vor allem dann, wenn er sich dick macht. Dabei verschont der Künstler auch sich selbst nicht vor seinem subversiven Witz. In der Museumshalle sonnen sich krumme Gurken auf weißen Sockeln im Scheinwerferlicht – erbarmungswürdige Sinnbilder gescheiterter Männlichkeit. Selbstporträt heißen die tragikomischen Gewächse. Der Rundgang durch die scharfsinnige Ausstellung ist eine Begegnung mit Niederlagen. Ganz klein fühlen sich die Besucher in dem dunklen Wald aus fünfzehn Nordmanntannen, die kopfüber von der hohen Decke hängen.
"Wald ist natürlich Projektionsfläche für Vieles. Wenn es um Großartigkeit ging, um Macht, um Gewalt, war es immer der Wald, das Meer oder der Himmel. Es ist nie eine Landschaft, die ins Detail geht, sondern wo immer ein Überblick geboten wird, weil Gewalt braucht kein Detail."
Farbeimer als Tretfallen
Größenwahn und Lächerlichkeit liegen in der Ausstellung dicht beieinander. Unter den imposanten Tannen riecht es nach Weihnachten, zwischen den grünen Nadeln aber leuchten Lampen aus Farbeimern den Weg.
"Die Eimer sind Lampen und das sind auch performative Skulpturen. Man kann sich hinstellen, das sind kleine Fallen. Man kann sich so einen Eimer aufsetzen und ist dann auch Lampe."
Gewachsen ist Wurms Werk aus dem Staub. Die früheste Skulptur zeigt einen Sockel mit Glasvitrine darunter Staub.
Erlebnispark mit dunklen Winkeln
"Da habe ich mich auf das ganz Wesentliche, ganz Minimale zurückgezogen. Ich habe versucht, Dreidimensionalität zu definieren durch dessen Abwesenheit. Und nur durch den Abdruck im Raum und im Zweidimensionalen durch den Staub im Raum, durch die Vorstellung und so hat das dann begonnen."
Vom Staubkorn zur Erhabenheit spannt sich der Bogen in Wolfsburg, immer wieder gebrochen durch untergründigen Humor. Kopfüber konterkarieren die Tannen die Sehnsucht eines Caspar David Friedrich nach melancholischer Einsamkeit. Aber bei Erwin Wurm verbirgt sich hinter der optischen Pointe oftmals eine bittere Note. Im Märchen ist der Wald auch der Ort, in dem sich die Kinder verirren – Schauplatz existenzieller Verlassenheit. Erwin Wurm erklärt den dunklen Kern seines nach außen vergnüglichen Erlebnisparks mit Jahren der Krise.
Vor Fichte niederknien
"Die waren wirklich vehement, hat lange gedauert, sechs Jahre insgesamt, wo ich lange gehadert habe mit meiner Arbeit. Ich habe vorher immer gedacht: Wie lächerlich, es wird immer dargestellt, dass Künstler Schmerz brauchen. Da habe ich immer gedacht, das ist bescheuert. Dann habe ich aber dummerweise die Erfahrung gemacht, dass einen das in eine andere Umgebung bringt, dass das eine andere Haltung provoziert und letztendlich war das für mich förderlich."
Aus der fundamentalen Verunsicherung entstanden zunächst die One Minute Sculptures. Für eine Minute können Besucher selbst zur Skulptur werden. Eines dieser Arrangements ist Fichte gewidmet – denn der Titel der Ausstellung bezieht sich auf den deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Auf dessen Reden an die deutsche Nation beriefen sich später alle deutschen Nationalisten. In der jüngsten Installation aus diesem Jahr, die Hauptquartier heißt, sind die Besucher aufgefordert, vor Johann Gottlieb Fichte nieder zu knien. Ralf Beil, der Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, macht das vor.
Stärke aus der Beiläufigkeit
"Dieses Niederknien, das war eine Demutsgeste gegen die Wand und das war eine Schamgeste, dass der Fichte das geschrieben hat. So sehe ich den Spruch Fichtes Rede an die deutsche Nation und dann diese Order niederzuknien."
Der Kniefall ist fast ein bisschen viel Bedeutung für eine Kunst, die ihre Stärke aus der Beiläufigkeit gewinnt. Erwin Wurm übertritt Grenzen, zerschlägt Mythen, enttarnt Dogmen und legt sich mit allen Mächten an. Gut, daß dieser Spaziergang vom Staub durch den dunklen Wald zu Fichte im Lachen mündet und damit in der Freiheit.

Fichte – die große Ausstellung mit Werken des österreichischen Künstlers Erwin Wurm ist bis zum 15.9. im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen, geöffnet ist dort täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr.