Erweckungserlebnis in Ephesos

Von Christian Geuenich · 09.05.2011
Eigentlich wollte Charly Hübner Leistungssportler werden. Nach einem Erweckungserlebnis im antiken Ephesos landete er beim Theater. Später folgten Engagements beim Fernsehen und für die Kinoleinwand.
"Lopachin: "Was glotzt ihr denn hier alle so rum? Haut ab und nehmt dieses ganze alte Zeug mit! Und das Ganze ein bisschen zacko. Es ist Schluss, die Party is over, ab nach Hause. Jetzt wird zugeguckt, wie Lopachin den Kirschgarten abholzt.""

Charly Hübner steht mit weit aufgeknöpftem Hemd und dreckverschmiertem Gesicht auf der mit schwarzem Sand bedeckten Bühne. Die Rolle des neureichen Kaufmanns Lopachin, dessen Familie einst auf dem Gut angestellt war, verlangt dem 1,92 Meter großen Schauspieler mit den braungrünen Augen und den dunkelblonden Haaren einiges ab. Zehn Kilo hat er allein in der Probenzeit von Tschechows "Der Kirschgarten" unter Karin Henkel verloren.

"Einmal ist 'Der Kirschgarten' wirklich als Vaudeville geschrieben, als Spektakel. Das ist ja so ein erster Versuch von Karin und uns zu sagen, wir gehen dem mal näher nach. Es gibt so Brief- und Tagebucheintragungen von ihm, wo man merkt, der wollte auf keinen Fall diese naturalistische Tradition noch mal bestätigen, dieses dokumentarisch-realistische, was die anderen Stücke vom Land auszeichnet, sondern der wollte eine Show."

Eine halbe Stunde nach einem großen Sonderapplaus am Ende der Vorstellung und einer ausgiebigen Dusche sitzt Charly Hübner erschöpft aber entspannt in Jeans und blauem T-Shirt auf einem der großen schwarzen Sitzkissen vor der Garderobe im Foyer des Kölner Schauspiels. Als Schauspielschüler hat er bereits den Studenten Trofimow gespielt, den Lopachin aber immer als Wunschrolle mit sich herumgetragen.

"Weil der mich so erinnert an ganz viele Kollegen zu Hause in Mecklenburg oder den neuen Bundesländern, die diese Zeit nach der Wende so genutzt haben, die alten Statusverhältnisse zu ändern."

Charly Hübner ist 1972 in Neustrelitz geboren und im mecklenburgischen 2.500-Einwohner-Ort Feldberg aufgewachsen. Bis er sieben Jahre alt ist, wohnt er mit seinen drei Geschwistern in einem ehemaligen Jagdschloss mitten im Wald zwischen zwei der acht umliegenden Seen.

"Höhlenbauen, Hüttenbauen, Boot fahren, Schwimmen gehen im Sommer. Ab Mai waren wir im Wasser bis Anfang Oktober, im Winter – wenn Schnee lag – immer mit'm Schlitten oder den Skiern rumlaufen, Joggen im Wald, den ganzen Tag rumtoben, Fußball spielen, irgendwo Tore bauen, so."

Seine Eltern betreiben das Haus als Hotel, haben wenig Zeit. Die naturnahe Kindheit prägt Charly Hübner. Bis heute fährt er in jeder Jahreszeit einmal in die Heimat.

"Manchmal sitze ich auch nur so am See, und man guckt einfach nur rüber. Das ist wie so ein Innehalten, und das, was sich sonst im Kopf und im Körper bewegt, verdünnisiert sich am See."

Eigentlich möchte Charly Hübner Leistungssportler werden. Mit 16 muss er aufgrund wachstumsbedingter Herzrhythmusstörungen von einem Tag auf den anderen mit dem Sport aufhören, seine Leichtathletik-Karriere begraben und sechs Jahre lang Betablocker nehmen. Halbherzig überlegt er Journalist, Dolmetscher oder Lehrer zu werden, bis er 1990 mit zwei Freunden seine erste Auslandsreise in die Türkei macht und das antike Amphitheater in Ephesos besucht. Als sich einer der Freunde zum Akustik-Test auf die Bühne stellt, fasst Charly Hübner hoch oben auf den Rängen einen Entschluss.

"Der stand da ganz albern und kindisch "Hey, to be or not to be that is here the question", und dann riefen so Italiener "Bravo, bravo hihihi" und gingen so weiter, aber das gefiel mir irgendwie. Und ich merkte im Kopf nur ein dickes "Zosch", das ist ja ne coole Idee, Schauspielern."

Drei Jahre später, mit 20 Jahren, wird er an der renommierten "Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch" in Berlin angenommen. Danach wird er zum gefragten Theaterschauspieler, spielt große Rollen in Berlin und Frankfurt am Main, dann fühlt er sich auf einmal leer, hat mit Ende 20 eine Sinnkrise.

"Die Lust auf den Beruf habe ich nicht mehr gemerkt. Ich habe dann bei einem Stück eine Hauptrolle gespielt, und dann war die Premiere, und die Leute riefen 'Bravo' beim Einzelapplaus, und beim Verbeugen tauchte der Gedanke auf, oh Gott, ich kann mich gar nicht freuen. Und dann dachte ich, du musst irgendwas ändern."

Der Wechsel ins Filmfach gelingt, anfangs mit kleineren Rollen als Wirt, Rocker, Kumpeltyp oder Dorfpolizist. Dann spielt er 2005 im Oscar-prämierten Kinofilm "Das Leben der Anderen" mit breitem Berliner Dialekt einen Stasi-Abhörer, die nächtliche Vertretung von Ulrich Mühe. Die Premiere des Films in Neustrelitz besucht er mit seiner Familie. Sein Vater, der zunächst Hotelier und später Stadtrat für Kultur und stellvertretender Bürgermeister war, beichtet der Familie auf der Heimfahrt seine IM-Tätigkeit.

"Und im Fond hinten sagte er dann so sehr spontan, "na Junge so eine Kamera wie ihr da im Film, die hatten wir ja gar nicht". Und ich sagte nur: "Wir?" Und dann war so Stille, und dann hat er so gemerkt, jetzt kommt er nicht mehr drumrum, und dann hat er alles sofort erzählt und als wir in Feldberg ankamen, war es raus."

2008 wird Charly Hübner Sketch-Partner von Anke Engelke in "Ladykracher". Er liebt es, an nur einem Drehtag in zwei bis drei Rollen zu schlüpfen, "eine tolle Schule" sei das, erzählt er mit leuchtenden Augen.

Einen ordentlichen Karriereschub hat Charly Hübner im letzten Jahr durch die Rolle des Kriminalhauptkommissars im Rostocker "Polizeiruf 110" bekommen. Alexander "Sascha" Bukow hat eine kriminelle Vergangenheit und steckt voller Geheimnisse.

"Das ist eine superspannende Figur. Da ist noch so viel drin, und da kommt auch noch so viel, was wir alle gar nicht ahnen im Moment, was mit dem Typen noch möglich ist, weil der eben diese vielen doppelten Böden hat."

Die Rolle ist ein Geschenk für ihn. Den Schimanski-Vergleich der Boulevard-Medien hat der bullige Schauspieler als Kompliment aufgefasst.

Angst, durch die Rolle in einer Schublade zu stecken, hat der überzeugte Wahl-Hamburger nicht. Das würde auch dem Lebensmotto des vielfältigen Schauspielers widersprechen.

"Immer schön ambivalent bleiben."
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