Erwachender Jagdinstinkt
13.01.2010
Kerstin Ekman, 1933 südwestlich von Stockholm geboren, wurde in Deutschland spätestens mit ihrem großen Roman "Geschehnisse am Wasser" (1995) bekannt. Die vorliegende Erzählung "Hundeherz" erschien in Schweden schon 1986. Darin verliert ein Welpe, einige Wochen alt, die Spur seiner Mutter und findet sich allein im verschneiten schwedischen Wald wieder.
Ein kleiner Hund allein im Winterwald – das könnte ein Kinderbuch werden oder die Vorlage für einen Disneyfilm, in dem sich die Tiere verbünden, um sich gegenseitig zu wärmen und gemeinsam gegen die Fährnisse des Lebens zu kämpfen.
In Kerstin Ekmans Erzählung "Hundeherz" (die mit Bulgakows gleichnamiger bitterböser Parabel auf den sowjetischen Neuen Menschen nicht zu vergleichen ist und im schwedischen Original übrigens schlicht "Hunden" heißt, also "Der Hund") verliert ein Welpe seine Mutter. Es ist März in Nordschweden, er ernährt sich zunächst von Beeren und Hasenkötteln, dann von einem Elchkadaver, den er unterm Schnee entdeckt und gegen hungrige Konkurrenten, einem Fuchs und den Krähen, verteidigen muss.
Hier geht es um eine fremde, unbegreifliche Umgebung, ums Fressen und Gefressenwerden, und trotzdem ist es keine gewollt brutale Geschichte geworden. Überdies hat sie ein Happy End.
Die Abgründe der Zivilisation und die Urformen des Lebens waren immer das Thema dieser großen schwedischen Schriftstellerin. Der kleine Hund wird zum Sinnbild eines Lebewesens, das arglos, naiv, unerfahren in ein unbekanntes Dasein geworfen wird. Kerstin Ekman schreibt überwiegend als auktoriale, allwissende Erzählerin, die uns die Tiere nennt, mit denen es der Hund zu tun hat (Birkhähne und Seetaucher), und die Pflanzen, durch die er streift (Milchlattich und Eisenhut); woher sollte der Welpe auch ihre Namen kennen? Manchmal aber, und dann wird es besonders packend, schreibt Ekman aus der Sicht ihres kleinen Helden vom erwachenden Jagdinstinkt, vom Rausch beim Fressen lebendiger Beute, von der "Bestimmung, das Maul mit Blut und Wärme zu füllen".
Der große Held aber hinter dem kleinen ist der Wald mit seinen Wundern, Ereignissen, Rätseln, seinen Bewegungen, Geräuschen, Wettereinbrüchen. Auf jeder Seite steht eine Fülle von Naturbeobachtungen und -schilderungen, die nichts Idyllisches haben. Die Lektüre erfordert, so leicht sie scheint, große Konzentration, weil der Text so dicht geschrieben ist und eine neue Wirklichkeit erschafft, die sich auch in ungewöhnlichen Wörtern bemerkbar macht. Die Übersetzerin Hedwig Binder findet dafür eine feine, einfallsreiche, wort- und stimmungssichere deutsche Version.
Am Schluss wird der kleine Hund gerettet, nach einem halben Jahr in der Wildnis. Ein Jäger, wir wissen nicht, ob es sein altes Herrchen ist, füttert ihn und gewöhnt ihn wieder an menschlichen Umgang. Was Ekmans Geschichte also auch zeigt, vielleicht ungewollt, ist die Zähmung des Urtriebs, die Verhinderung des Rausches, die Besänftigung des Heroischen.
Der Moment, in dem ihm "Halsband und Leine angelegt" wird, bedeutet die Domestizierung. Man nimmt ihm die große Freiheit, wofür er Futter und Obdach erhält durch das Herrchen (Gesellschaft). Man belässt ihm seine Individualität, dafür gliedert er sich in eine vernünftige Ordnung ein. Das ist ein sehr schwedisches, (sozial-)demokratisches Modell.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Kerstin Ekman: Hundeherz
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder
Piper Verlag, München 2009
128 Seiten, 14,95 Euro.
In Kerstin Ekmans Erzählung "Hundeherz" (die mit Bulgakows gleichnamiger bitterböser Parabel auf den sowjetischen Neuen Menschen nicht zu vergleichen ist und im schwedischen Original übrigens schlicht "Hunden" heißt, also "Der Hund") verliert ein Welpe seine Mutter. Es ist März in Nordschweden, er ernährt sich zunächst von Beeren und Hasenkötteln, dann von einem Elchkadaver, den er unterm Schnee entdeckt und gegen hungrige Konkurrenten, einem Fuchs und den Krähen, verteidigen muss.
Hier geht es um eine fremde, unbegreifliche Umgebung, ums Fressen und Gefressenwerden, und trotzdem ist es keine gewollt brutale Geschichte geworden. Überdies hat sie ein Happy End.
Die Abgründe der Zivilisation und die Urformen des Lebens waren immer das Thema dieser großen schwedischen Schriftstellerin. Der kleine Hund wird zum Sinnbild eines Lebewesens, das arglos, naiv, unerfahren in ein unbekanntes Dasein geworfen wird. Kerstin Ekman schreibt überwiegend als auktoriale, allwissende Erzählerin, die uns die Tiere nennt, mit denen es der Hund zu tun hat (Birkhähne und Seetaucher), und die Pflanzen, durch die er streift (Milchlattich und Eisenhut); woher sollte der Welpe auch ihre Namen kennen? Manchmal aber, und dann wird es besonders packend, schreibt Ekman aus der Sicht ihres kleinen Helden vom erwachenden Jagdinstinkt, vom Rausch beim Fressen lebendiger Beute, von der "Bestimmung, das Maul mit Blut und Wärme zu füllen".
Der große Held aber hinter dem kleinen ist der Wald mit seinen Wundern, Ereignissen, Rätseln, seinen Bewegungen, Geräuschen, Wettereinbrüchen. Auf jeder Seite steht eine Fülle von Naturbeobachtungen und -schilderungen, die nichts Idyllisches haben. Die Lektüre erfordert, so leicht sie scheint, große Konzentration, weil der Text so dicht geschrieben ist und eine neue Wirklichkeit erschafft, die sich auch in ungewöhnlichen Wörtern bemerkbar macht. Die Übersetzerin Hedwig Binder findet dafür eine feine, einfallsreiche, wort- und stimmungssichere deutsche Version.
Am Schluss wird der kleine Hund gerettet, nach einem halben Jahr in der Wildnis. Ein Jäger, wir wissen nicht, ob es sein altes Herrchen ist, füttert ihn und gewöhnt ihn wieder an menschlichen Umgang. Was Ekmans Geschichte also auch zeigt, vielleicht ungewollt, ist die Zähmung des Urtriebs, die Verhinderung des Rausches, die Besänftigung des Heroischen.
Der Moment, in dem ihm "Halsband und Leine angelegt" wird, bedeutet die Domestizierung. Man nimmt ihm die große Freiheit, wofür er Futter und Obdach erhält durch das Herrchen (Gesellschaft). Man belässt ihm seine Individualität, dafür gliedert er sich in eine vernünftige Ordnung ein. Das ist ein sehr schwedisches, (sozial-)demokratisches Modell.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Kerstin Ekman: Hundeherz
Aus dem Schwedischen von Hedwig M. Binder
Piper Verlag, München 2009
128 Seiten, 14,95 Euro.