Vom Kriegspfad zum Friedensweg
Vor hundert Jahren tobten in den Bergen Schlachten des Ersten Weltkrieges, Österreicher und Italiener waren bis auf Rufweite aneinander herangerückt und hatten Stellungen in die Felsen gebaut. Viele Soldaten starben wegen der Kälte oder wurden von Lawinen mitgerissen. Heute sind die Stellungen ein Freilichtmuseum - und die freiwilligen Helfer, die sie als Gedenkort erhalten wollen, spüren, welchen Strapazen die Soldaten ausgesetzt waren.
Mittagessen in der Hütte auf dem 1.867 Meter hohen Kleinen Pal, dem Gipfel östlich vom Plöcken-Pass, an der österreichisch-italienischen Grenze. Gemüsesuppe mit Rindfleisch hat die Materialseilbahn soeben nach oben gebracht. 17 zumeist junge Leute löffeln aus ihren Tellern. Freiwillige Helfer, die jeden Sommer bis zu sechs Wochen am Berg verbringen, um Stellungen aus dem Ersten Weltkrieg instandzusetzen, Verbindungsgräben auszuschaufeln, Mauern neu zu betonieren. Österreicher, Italiener, aber nicht nur: Mehr als zwei Dutzend Nationen sind vertreten beim Ausbau des Freilichtmuseums, in diesem Jahr ist sogar ein Inder dabei.
Susanna, aus der Nähe von Rosenheim: "Man kriegt irgendwie ein bisschen Einblick auch wieder, wie der Kriegsalltag war, weil, zum Beispiel, wir haben hier keinen Strom, kein fließend Wasser. Und wenn das Wetter schlecht ist und die ganze Hütte wackelt und bebt, dann kann man sich auch richtig vorstellen, wie das war, und man ist nicht mehr so weit sozusagen weg vom Geschehen."
Der Wind pfeift um den Gipfel, die Steine sind rutschig, die Holzleitern in die Laufgräben und über rostigen Stacheldraht rutschig. Alex Kabas, der uns begleitet, arbeitet schon in der 26. Saison hier oben am Berg mit. Er war früher Hafenmeister in Triest und zeigt uns das verzweigte Stellungssystem der Österreicher und Italiener, die sich hier bis auf Rufweite einander gegenüber in den Fels eingegraben haben.
"Man konnte auch fünf Meter weit voneinander sein und man konnte in der Nacht hören die Gedanken und das Herzschlag der Gegenständigen. Ich glaube, das war das Schrecklichste, weil kennen, dass vor sich einen anderen Menschen hat. Und morgen oder übermorgen muss ich ihn töten – ich glaube, das ist keine gute Entscheidung, keine schöne Entscheidung."
Unwirkliches Szenario in der Bergidylle
Auch wenn heute Nieselregen und Nebel nur wenige Meter Sichtweite zulassen, erscheint das Szenario unwirklich. In dieser Bergidylle, in der Stille der Natur mit ihrer unberührbaren Schönheit tobte jahrelang ein grausamer Kampf auf Leben und Tod. Christian Schachner aus Wien ist hier, weil er für den Traditionsverein Hoch- und Deutschmeister, dem er angehört, einen Ausflug ins Freilichtmuseum am Plöckenpass plant:
"Es ist eigentlich unvorstellbar, was da an Arbeitsleistung erbracht werden musste, dass man diese Stellungen gebaut hat. Und dann das Wetter: Wenn man sich das im Winter vorstellt, die Lawinen hier, die Schneemassen, die zu bewältigen waren. Also, das muss derart fordernd gewesen sein für die Truppen, die da eingesetzt waren, das kann man sich so erst bildhaft vorstellen, wenn man das einmal gesehen hat."
Am Fuß des Plöckenpasses, im Rathaus von Kötschach-Mauthen in Kärnten, gibt es das "Museum 1915-1918". Walter Schaumann, ein Oberst des österreichischen Bundesheeres, hatte sich bei einem Südtirol-Urlaub 1973 daran gestört, dass sich niemand um die verfallene Gebirgsfront des Ersten Weltkrieges kümmert. Er gewann die österreichische und die italienische Armee zur Unterstützung und gründete den Verein der Dolomitenfreunde, mit deren Freiwilligen er seither Jahr für Jahr daran arbeitete, die alten Kriegspfade wiederherzustellen und Friedenspfade daraus zu machen - Vie della Pace, so lautet die Devise. Mehr als 300 Kilometer solcher Wege sind auf diese Weise bisher entstanden. Das Museum hat es sich zur Aufgabe gemacht, gemäß der Idee von Walter Schaumann das Umfeld des einfachen Soldaten zu zeigen, erzählt die Kustodin, Karin Schmid:
"Sie werden bei uns im Museum keine glänzenden Waffen sehen, keine schönen Uniformen von Generälen, sondern wirklich Gegenstände, die im Laufe der Jahrzehnte von unseren Mitarbeitern gefunden worden sind im Erdreich. Die sind ausgestellt, und die sollen eigentlich sprechen."
Granaten, Gewehre, Schneebrillen, Bartkämme. Fotos aus den Kriegstagen zeigen im ewigen Eis festgekrallte Geschütze oder Reste einer Barackensiedlung, in der 300 Soldaten bei einem Lawinenabgang ihr Leben ließen – wie so viele der Gebirgssoldaten, die durch Bergunfälle, Erfrierungen oder Lawinen ums Leben kamen. Ein Gefechtsfeld hoch in den Alpen, weit entfernt von den bekannten Schützengräben – scheinbar unerreichbar für den Krieg, und doch ein besonders grausames Kapitel des Weltdramas von 1914/18.