Erster Weltkrieg

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Französisches Denkmal am Hartmannsweilerkopf in den Südvogesen in Frankreich das im 1. Weltkrieg in den Jahren 1914/15 stark umkämpft war.
Nicht alle Soldaten, die auf den Schlachtfeldern starben, wurden auf Friedhöfen begraben. Manche liegen noch immer in den ehemaligen Schützengräben. © dpa picture alliance
Von Christina Küfner · 30.07.2014
Philippe Sugg und Gérard Louis sind mit einem Metalldetektor auf Schlachtfeldern im Osten Frankreichs unterwegs. Sie suchen nach vermissten Soldaten - und informieren Hinterbliebene in aller Welt, wenn sie etwas finden.
Bevor es losgeht, greift Philippe Sugg noch einmal in den Kofferraum und holt seinen wichtigsten Begleiter heraus: eine dünne Stange mit einem tellerförmigen Sensor am unteren Ende - der Metalldetektor.
"So, jetzt ist er richtig eingestellt - wir können anfangen!"
Der Franzose richtet das Gerät auf den Boden und läuft in ein kleines Waldstück. Wie immer ist sein Freund Gérard Louis mit dabei, in der Hand eine alte Schaufel. Die beiden Rentner aus Lothringen teilen ein ungewöhnliches Hobby: Sie suchen nach vermissten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg.
Philippe Sugg: "Manche Soldaten hatten das Glück nach ihrem Tod geborgen und auf einem Friedhof begraben zu werden, zusammen mit ihren Kameraden. Die anderen aber, die liegen noch hier. Und wenn keiner nach ihnen sucht, wird man sie nie finden. Doch wir können sie aufspüren - denn die meisten hatten metallische Gegenstände bei sich."
Mehr als 40 gefallene Soldaten aus drei Ländern entdeckt
Dicke Efeuranken wuchern auf dem Waldboden, über den Philippe Sugg seinen Metalldetektor schweben lässt. 1914 tobte hier in Lothringen die erste große Schlacht zwischen Deutschen und Franzosen - und hinterließ zigtausende Spuren im Erdreich.
Philippe Sugg: "Jedes Mal, wenn es piept, dann ist das ein Metallstück. Das kann alles Mögliche sein, Bombensplitter, Kartuschen oder aber ein Helm - alles, was die Soldaten damals hier hinterlassen haben."
Immer wieder schaufeln die Männer etwas Erde beiseite - um zu erkunden, was genau den Metalldetektor anschlagen lässt. Diesmal zieht Gérard Louis ein handtellergroßes, scharfkantiges Metallstück aus der Erde - der Splitter einer Granate.
Tatsächlich haben die beiden Hobby-Historiker so mehr als 40 gefallene Soldaten entdeckt - Franzosen, Deutsche und Amerikaner - aus dem Ersten, aber auch aus dem Zweiten Weltkrieg.
Gérard Louis: "Als wir unseren ersten Toten gefunden haben, war das natürlich schockierend. Trotzdem waren es Menschen, die einmal gelebt haben - und die ihre Jugend auf dieser Erde geopfert haben. Das lässt mich einfach nicht kalt."
Wenn sie auf die Gebeine eines Gefallenen stoßen, verständigen Gérard Louis und Philippe Sugg die Behörden und veranlassen, dass er auf einem Militärfriedhof beigesetzt wird. An Helm und Ausrüstung des Toten erkennen sie, aus welchem Land er stammte. Manchmal lässt sich sogar seine Identität ermitteln - anhand der nummerierten Metallplaketten, die jeder Soldat bei sich trug.
Die Soldaten trugen nummerierte Metallplaketten bei sich - über sie lassen sich Gefallene bis heute identifizieren.
Die Soldaten trugen nummerierte Metallplaketten bei sich - über sie lassen sich Gefallene bis heute identifizieren. © Deutschlandradio - Christina Küfner
Gérard Louis: "Diese Vermissten wurden komplett vergessen, seit 1914. Wir aber interessieren uns für diese Soldaten. Wir recherchieren ihre Geschichte und wenn es geht, machen wir auch ihre Angehörigen ausfindig. Unser Ziel ist es, die Vermissten ihren Familien wieder zu geben."
Die Hinterbliebenen sind dankbar für die Hilfe
Eine dieser Familien lebt hunderte Kilometer entfernt, in Georgensgmünd bei Nürnberg. Fritz Volkerts Großvater fiel im August 1914 in der Schlacht von Lothringen und wurde in der Region beigesetzt - auf welchem Friedhof, das wussten die Volkerts nicht:
Fritz Volkert: "Ich glaube, es bedeutet dem Menschen an und für sich viel, wenn er weiß, wo seine Angehörigen ruhen. Wir haben dann auch Familienforschung betrieben. Da wollte man eben nicht in der Mitte stecken bleiben, sondern bis zum Ende gehen. Dazu gehört auch der Tod."
Aus einer Holzkiste zieht Fritz Volkert eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie des Großvaters hervor. Bei der Suche nach seinem Grab stießen die Volkerts auf Philippe Sugg und Gérard Louis. Mit ihrem Metalldetektor konnten die beiden in diesem Fall zwar nicht helfen. Dafür durchsuchten die Franzosen die Register der örtlichen Friedhöfe - bis sie das Grab des Großvaters tatsächlich gefunden hatten.
Fritz Volkert: "Wir waren sehr, sehr überrascht über den Gérard, auch über den Philippe - dass die so selbstlos ihre Zeit opferten, um irgendwie Informationen zu geben, die wir gesucht haben. Wir waren sehr überrascht über die Freundschaft und über das Entgegenkommen, das wir in keinster Weise erwartet haben."
Inzwischen haben sich die Volkerts auch persönlich bei den Männern bedankt. Sie sind gleich nach Lothringen gefahren, um das Grab des Großvaters zu besuchen. Philippe Sugg und Gérard Louis streifen weiter durch die Wälder und folgen dem Piepen ihres Metalldetektors. Sie freuen sich, wenn sie vermissten Soldaten ihre Identität zurückgeben und dieses Gefühl mit den Nachkommen teilen können.
Gérard Louis: "Ich spreche weder deutsch noch englisch und Philippe spricht auch nur ein bisschen deutsch. Aber Sprachen sind so einem Moment unwichtig. Wenn die Angehörigen der gefallenen Soldaten hierher kommen, schaut man sich einfach nur in die Augen. Dann ist alles gesagt - und alles ist gut."