Erster Weltkrieg

Hunger auf Kampf und Abenteuer

Von Jörg Magenau · 02.04.2014
Zunächst spricht Ernst Jünger, damals Anfang 20, in seinen Briefen noch pubertär-großspurig wie ein Kind, das im Wald pfeift. Er betont immer wieder, dass ihn nichts schocken kann. Später finden sich nachdenkliche Töne.
Ernst Jüngers Feldpostbriefe an die Familie sind Ausdruck eines großen "Legionärshungers". Einen Heißhunger auf Wurst und Schokolade meldete er in die Heimat - auch Bonbons wären "sehr gut gegen Langeweile auf Posten". Aber der Hunger richtete sich von Anfang an auch auf den Kampf, aufs Erlebnis, aufs Abenteuer. Der Krieg war ein großes Spektakel, und unersättlich stürzte er sich ins Getümmel. Sein Interesse gilt dem Sterben und dem Tod.
Zunächst spricht er noch pubertär-großspurig wie ein Kind, das im Wald pfeift, wenn er immer wieder betont, dass ihn nichts schocken kann. "Neulich fand ich in der Latrine eine Knochenhand, ich hatte schon die geschmackvolle Idee, mir einen Finger als Cigarrenspitze drechseln zu lassen." Derartige Frivolitäten hätte Jünger sich später nicht mehr erlaubt. Gegen Kriegsende finden sich andere Sätze, so, wenn er im Februar 1918 an den Bruder Friedrich Georg schreibt:
"Übrigens gehört es zu meinen Maximen, dass uns die Freiheit immer gewogen bleibt, solange wir mit dem Tode als dritten im Bunde einverstanden sind. Daher fühle ich mich zwischen den Linien auch wohl."
Da ist schon der Jüngersche Tonfall zu erkennen, auch wenn er noch auf der Suche ist nach der erhabenen Gelassenheit, die er in späteren Jahren angesichts von Schmerz und Schrecken kultivierte.
Dritte Lieferung zu Ernst Jünger im Ersten Weltkrieg
Nach den von Jünger-Biograf Helmut Kiesel besorgten Kriegstagebüchern und der historisch-kritischen Ausgabe der "Stahlgewitter" sind die vom anderen Jünger-Biografen Heimo Schwilk herausgegebenen Feldpostbriefe nun die dritte Lieferung zu Ernst Jünger im Ersten Weltkrieg. Viel Neues kann dieser Band allerdings nicht mehr liefern. Neben all der Rekrutenprahlerei sind sie allzu zurückhaltend, weil vieles aus gar nicht geschrieben werden durfte und der Zensur unterworfen worden wäre, vor allem aber auch, um die Eltern nicht zu beunruhigen.
Den größten Gewinn bietet der Briefwechsel mit dem drei Jahre jüngeren Bruder Friedrich-Georg. Der war ab 1916 ebenfalls Soldat und wurde, in Langemarck schwer verwundet, von Ernst auf wundersame Weise gerettet. Ihm musste Ernst nicht so viel vormachen. Schade deshalb, dass gerade diese Briefe in der vorliegenden Ausgabe nicht vollständig sind.
Heimo Schwilk weist in seinem Vorwort auf die problematische Quellenlage hin. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Friedrich Georg Jünger den Briefwechsel der Brüder publizieren und ließ zu diesem Zweck eine Abschrift herstellen. Vielleicht ist diese Ausgabe deshalb nie erschienen – so die Vermutung von Heimo Schwilk –, weil Ernst Jünger den in den Feldpostbriefen deutlich werdenden Karriere-Ehrgeiz und die noch allzu unliterarische Bekenntnishaftigkeit unangenehm fand. Auch er plante nach 1945 eine zweibändige Auswahl aus seiner Korrespondenz. Ein Band sollte allein dem Briefwechsel mit dem Bruder vorbehalten sein, auch er ließ eine Abschrift herstellen. Die Originale aber sind in diesem Hin- und Her verloren gegangen, jedenfalls sind sie bisher im Jünger-Nachlass im Marbacher Literaturarchiv nicht aufzufinden.
Machohafte Sätze
Die beiden vorhandenen Abschriften aber unterscheiden sich in Details und lassen erkennen, dass in ihnen manches weggelassen und geglättet worden ist. Diese Differenzen werden in der vorliegenden Ausgabe nicht deutlich, und das ist schade. Schwilk weist zwar darauf hin, dass die Briefe an den Bruder mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind, verzichtet aber darauf, die Stellen zu zeigen, die in der einen Abschrift noch vorhanden, in der anderen aber schon elimiert sind.
Als Jünger am 3. September 1918 mit einem Lungenschuss im Lazarett liegt, endet der abgedruckte Brief an Friedrich Georg mit dem Satz:
"Bereitet ein Fest für mich vor, aber bedenkt, dass ich fürs erste mit dem Lebensatem noch sparen muss."
Tatsächlich geht es aber in der zweiten Abschrift noch so weiter:
"Du kannst mir inzwischen schon eine passende Braut nebst Zimmer aussuchen, das heißt mit einem Lungenschuss muss ich mit Sachen, die eine gewisse Atemanstrengung erfordern, vorsichtig sein. Mein Einschuss sitzt zwei Zentimeter unter der rechten Brustwarze, der Ausschuss in der Mitte der rechten Rückseite."
Auch diese machohaften Sätze, die einen anderen, frivolen Ton anschlagen, hätte man im Buch dann doch gerne vorgefunden.

Ernst Jünger: Feldpostbriefe an die Familie 1915-1918
Herausgegeben von Heimo Schwilk, Klett-Cotta Verlag
Stuttgart 2014, 134 Seiten, 19,95 Euro

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