Deutschland hatte Angst vor dieser Band
Sie galten als die "härteste Band der Welt", schon die Ankündigung ihrer Deutschlandtournee versetzte Polizei und Eltern in helle Aufregung. Doch als die Rolling Stones 1965 in Münster die Bühne betraten, blieben die gefürchteten Krawalle aus - anders als darauf in Berlin.
Eine Naturkatastrophe schien da auf Münster zuzurollen. Boulevardzeitungen rieten Eltern, ihre Töchter nicht auf die Straße zu lassen, Wasserwerfer wurden aufgefahren. Und die Behörden forderten Unterstützung bei der britischen und der niederländischen Militärpolizei an. Deutschland hatte Angst vor einer Band: den Rolling Stones. Der Wochenschau-Kommentator gab sich ironisch.
"Als erste deutsche Stadt wurde heimgesucht, auf den Kopf gestellt und benebelt: Münster in Westfalen, bekannt konservativ und sittenstreng."
Die erste Deutschlandtournee der Stones begann am 11. September 1965 mit zwei Auftritten in der Halle Münsterland. Der jungen Band, die mit "Satisfaction" gerade ihren ersten Welthit hatte, eilte ein übler Ruf voraus. In England hatte es bei mehreren Konzerten schon Krawalle gegeben. Und die Veranstalter vermarkteten die Gruppe als wilde Antithese zu den Beatles. Die "Bravo" kündigte die Stones gar als "härteste Band der Welt" an.
"Zu ihren Füßen die Blüte des Landes: Teenager."
"Ach Mann, weil die alle süß sind, Mensch. Warum, weiß ich selber nicht. Die Haare und so – da kommt sowieso raus, dass alle so rumlaufen wie die Stones."
Noch mit dünnem Repertoire
Das Repertoire der Stones war noch dünn: Nach acht Songs und 22 Minuten war schon alles vorbei. Die brav gestriegelten westfälischen Fans waren trotzdem glücklich. Und die Wasserwerfer kamen nicht zum Einsatz. Die bürgerliche Presse jedoch war entsetzt. Für die "FAZ" gaben die Stones "eine erbärmlich einfallslose primitive Musik zum Besten".
"Also schon Stunden vorher war ich aufgeregt vorm Fernseher."
Der damals 15-jährige Axel Schumacher saugte den kurzen Fernsehbericht über die Münsteraner Konzerte begierig auf. Vier Tage später sollten die Stones – nach Auftritten in Essen, Hamburg und München – nach Berlin kommen. Stolze sechs D-Mark kostete der Eintritt.
"Es war wahrscheinlich schon so, dass die Leute, die in der Waldbühne waren, festgestellt haben: Oh, hier gibt es ja über 20.000, die genau so eine Vorliebe haben wie ich. Und wo die älteren Generationen auch gesagt haben, halt dich da fern von denen, das ist jetzt nicht so was Dolles."
Schon bald nach Konzertbeginn musste der SFB-Reporter entsetzt mit ansehen, wie die Sache aus dem Ruder lief.
"Oh, da versucht man, das Podium zu stürmen! Einigen Besuchern ist es gelungen, auf das Podium zu kommen, aber die Polizei versucht, hermetisch einen Kordon zu bilden."
"Alle sind auf diese Bänke in der Waldbühne gestiegen, die sehr wippten, das war so eine Art Holz-Metall-Konstruktion. Und es war auch so, dass man diese Beatmusik untermalt hat, indem man selber mit den Füßen aufgetreten hat im Takt und geklatscht hat. Und diese Bänke wippten dann dabei und machten natürlich auch Krach. Dabei sind auch schon die ersten zersplittert, das ist so eine Art Sperrholz oder was gewesen."
87 Verletzte nach dem Konzert in Berlin
Im Gegensatz zu ihrem Publikum wirkten die Stones nach ihrem Konzertmarathon der vergangenen Monate eher lustlos und müde. Die Show endete abrupt. Und die Zugaberufe der Fans blieben vergeblich. Und dann? Stand eine Energie im Raum, die nicht recht wusste, wie sie sich entladen sollte.
"Es ging merkwürdigerweise das Licht aus. Und jemand sagte, das war's. Und da war's nun so, dass von diesem Gestampfe auf den Holzbänken ging es plötzlich weiter, man hörte von allen Ecken, dass die Leute diese Bretter da durchgetreten haben."
Die Polizei prügelte, die Konzertbesucher warfen Flaschen. Auf dem Heimweg demolierten die Jugendlichen noch eine beträchtliche Anzahl von Straßenlaternen und 17 S-Bahn-Waggons. Die Bilanz: 87 Verletzte und ein Sachschaden von 400.000 D-Mark. Westliche Zeitungen schrieben vom "Gemetzel der Gammler". Und auch das "Neue Deutschland" gerierte sich empört: "Vernebelte Köpfe und nackte Gewalt waren schon immer die besten Bundesgenossen derer, die Deutschlands Jugend in zwei Weltkriege trieben", mahnte man aus Ost-Berlin.
"Mancher sagt, das sind Penner und so. Aber die Musik, schlecht ist sie nicht. Da fühlt man sich freier. Das ganze Leben ist da viel freier."
Womöglich war da noch mehr entfesselt worden als blinde Zerstörungswut. Die Nachkriegsjugend, die sich für die ersten Stones-Konzerte noch mit Schlips und braver Föhnfrisur schick machte, sollte bald das Gesicht der Bundesrepublik nachhaltig verändern.