Erster Limmud-Tag im Norden

Von Gerald Beyrodt |
Die Limmudbewegung hat in den letzten Jahren das Gesicht der jüdischen Szene in Deutschland verändert: Auf jährlichen mehrtägigen Festivals treffen sich religiöse und säkulare, liberale und orthodoxe Juden. Jetzt kommt eine weitere Veranstaltung hinzu: Erstmals findet in Hamburg ein Limmud-Tag statt.
Jüdische Mädchen gehen in der Hamburger Karolinenstraße 35 schon lange nicht mehr zur Schule. Heute drücken Erwachsene im Gebäude der ehemaligen „Israelitischen Töchterschule“ die Volkshochschulbank, spielen Kinder im städtischen Kindergarten, auch Gedenkstättenräume gibt es im Haus.

Doch am Sonntag kehrt das jüdische Leben in die ehemalige Mädchenschule zurück: mit einem Lerntag Limmud. Jeder Jude, der möchte, kann einen Workshop anbieten. Lernende sind Lehrende. Alle arbeiten ehrenamtlich. So sind die Initiatoren des ersten Hamburger Limmud-Tages begeisterte Teilnehmer von früheren Limmudfestivals an anderen Orten.

Yohana Hirschfeld: „Es ist wie ein Erfrischungsbad, und mit vielen neuen Erfahrungen geht man nach Hause.“

Frauke Ohnholz: „Wir bieten einen Ort, wo sich alle Strömungen begegnen können, und wirklich gleichberechtigt miteinander diskutieren.“

Nadine Bose: „Mal ‚ne Plattform zu haben, wo sich jedes Alter treffen kann. Man sagt ja von null bis hundertzwanzig und fast genauso ist es auch. Man hat wirklich von ganz klein und jungen Familien und mittleren Alters bis zum hohen Alter alles mit dabei.“

Peter Zamory: „Diese programmatische Vielfalt plus die Ethnien aus verschiedensten Ländern der Welt plus alle Altersgruppen ist einfach großartig und wärmt das Herz und den Verstand.“

Der Ort der einstigen israelitischen Töchterschule ist Programm, denn der erste Limmud-Tag im Norden steht ganz im Zeichen der Spurensuche und der Standortbestimmung. Hamburg kann auf eine große jüdische Vergangenheit zurückblicken. Von einem „Jerusalem des Nordens“ ist gar in einem Vortrag die Rede.

Schon 1590 sephardische Juden in der Hafenstadt nieder. „Sephardisch“ bedeutet wörtlich spanisch. Sephardische Juden flüchteten aus Spanien und Portugal, als die christlichen Könige bei der Reconquista das Land von den Arabern zurückeroberten. In den Ländern des protestantischen Nordens, in denen jüdisches Leben kaum vorhanden war, wurden die Flüchtlinge zu Begründern jüdischer Gemeinden. Yohana Hirschfeld vom Limmud-Team über das Programm:

„Wir haben Hamburger Größen innerhalb der jüdischen Kulturszene wie zum Beispiel Michael Studemund-Halévy, der überhaupt der Spezialist zu sephardischer Geschichte ist vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Er war es auch, der den Friedhof Königstraße für die Wissenschaft geöffnet hat, das ist alles seine Arbeit. Das ist ein Friedhof, der sechszehnhundertzwölf gegründet wurde und der zur Hälfte mit sephardischen und zur Hälfte mit aschkenasischen Gräbern belegt ist. Er ist erhalten geblieben, mitten in Altona. Dann haben wir Viola Roggenkamp, die lesen wird.“

Ein Vortrag beleuchtet die Geschichte der liberalen jüdischen Bewegung ab in Hamburg ab 1817. Auch ein Dokumentarfilm zum Konflikt um den ehemaligen jüdischen Friedhof in Hamburg-Ottensen ist zu sehen – und zur Lösung des Konfliktes. Auf dem Friedhof sollte Anfang der 1990er- Jahre ein Supermarkt errichtet werden.

Um das Verhältnis von säkularen und religiösen Juden, die Bedeutung der Einheitsgemeinde und den Umgang mit Staatsgeldern soll es in einer Podiumsdiskussion gehen – unter anderem mit der Vorsitzenden der Jüdischen Oldenburger Gemeinde Oldenburg Sara-Ruth Schumann und Walter Blender, dem Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein.

Die Diskussion richtet sich genauso wie das gesamte Tagesprogramm ausschließlich an Juden, deren Partner und Menschen im Konversionsprozess. Bei Limmud müssten Juden mal nicht Pressesprecher ihrer selbst sein, müssten jüdische Religion und Mentalität nicht immerzu erklären, sagt Yohana Hirschfeld:
„Man ist natürlich inner komischen Situation, in Deutschland inner Großstadt zu leben und nur gelegentlich mit anderen jüdischen Menschen zusammen zu sein, abgesehen natürlich von meiner Familie. Und es ist eine Wohltat unter Juden zusammen zu sein mit Leuten, denen ich gar nicht erklären muss, warum ich Dinge so oder so mache und die es auch ähnlich tun, das ist ein großes Familientreffen. Man muss nicht erklären, warum man wie ist. Auch emotional ist das ein ganz starker Moment.“

Trotzdem findet es Yohana Hirschfeld wichtig, sich gegenüber der nicht jüdischen Öffentlichkeit zu öffnen. Deshalb initiiert die Malerin in Hamburg zusammen mit anderen die „europäischen Tage der jüdischen Kultur“, die für ein breites Publikum offen sind. Auch die Limmud-Abschlussparty am Abend in der Talmud-Tora-Schule ist für jedermann offen.

Juden und Nicht-Juden tanzen gemeinsam zu Klängen, die sich anhören wie aus Griechenland. Doch es spielen israelische Musiker, die in Deutschland leben: die Gruppe Jachzen Bachzen. Nach so viel Spurensuche und Standortbestimmung ein mediterraner Sound, wie er im heutigen Israel Mode ist.
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