Erster "Chemnitzer Dialog"

Stress-Training für Bürgermeister in Sachsen

07:28 Minuten
Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens spricht am 15. Juni 2016 mit einem aufgebrachten Bürger, ringsum halten Journalisten Mikrofone ins Bild. Am Vorabend war es zu Krawallen zwischen Rechtsradikalen und Flüchtlingen gekommen.
"Ihr wollt reden, hier bin ich!", sagte sich Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens nachdem es zu Krawallen zwischen Rechtsradikalen und Flüchtlingen gekommen war. © picture alliance / dpa/ Sebastian Kahnert
Von Alexandra Gerlach · 10.04.2019
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Wie geht man damit um, wenn die eigene Stadt wegen Gewalttaten rechter Gruppen plötzlich im Licht der Öffentlichkeit steht? Bürgermeister aus Wurzen oder Bautzen tauschen sich darüber gerade in Chemnitz aus – und wollen sich Mut machen.
Es geht um Städte wie Wurzen, Bautzen oder Chemnitz. Kleine, mittlere und große Städte, die mit unrühmlichen Schlagzeilen in den Fokus der Öffentlichkeit rücken und zugleich die kommunalen Spitzenpolitiker vor große Herausforderungen stellen.
Wurzens Oberbürgermeister Jörg Röglin erlebte dies, als es im Januar 2018 in der 16.000 Einwohner-Stadt zu tätlichen Auseinandersetzungen mit mehreren Schwerverletzten zwischen jungen Deutschen und Ausländern kam. Von jetzt auf gleich stand die sächsische Stadt – wieder mal – als Hochburg gewaltbereiter Neonazis und Hooligans im grellen Licht der medialen Öffentlichkeit.

Krisenkommunikation für Bürgermeister

Wie sollen die kommunalen Amtsträger mit einer solchen Lage umgehen? Ein wichtiges Thema für den ersten "Chemnitzer Dialog":
"Wir sind in erster Linie Mensch und wir müssen uns einander auch Mut machen, denn wir stehen im Fokus. Und jeder, der in Verantwortung steht und mit solchen Problemen und Herausforderungen zu tun hat, weiß, was es bedeutet, plötzlich in den Fokus gerückt zu werden und dass niemand von uns als Bürgermeister vor solchen Problemen, Lagen, Herausforderungen sicher ist".
Patentrezepte für solche Situationen gibt es an diesem Tag nicht. Wohl aber ähnliche Schilderungen und Lösungsansätze aus anderen Kommunen. Beispielsweise aus der Lausitz.
Alexander Ahrens ist Oberbürgermeister von Bautzen und einer von rund 40 Stadtoberhäuptern, die sich auf den Weg nach Chemnitz gemacht haben. Im Februar 2016 stand seine Stadt bundesweit im Fokus. Damals beherrschten Berichte über den Brand im Bautzener "Husarenhof", einem zum Asylbewerberheim umgebauten ehemaligen Hotel, die Schlagzeilen:
"Als das passierte, war ich auf einer Dienstreise. Bin also am nächsten Abend auf den Kornmarkt gegangen und war gleich schon in einer großen Traube ganz aufgebrachter Menschen. Und hinterher haben mir viele Journalisten, aber auch eine Reihe von Polizisten, gesagt, sie hätten sich da alleine gar nicht reingetraut in diesen Hexenkessel. In den Kategorien habe ich da gar nicht gedacht."

Raus und reden

Der 53-jährige gebürtige West-Berliner und Motorrad-Fan Alexander Ahrens, studierter Sinologe und Jurist, steht seit August 2015 für die SPD an der Spitze der Stadt Bautzen. Einschüchtern lässt er sich so schnell nicht – auch nicht an jenem Abend auf dem Kornmarkt:
"Da war mir aber nicht bange an der Stelle, weil ich da mit der Botschaft reingegangen bin: 'Ihr wollt reden, hier bin ich!'"
Eine gute halbe Stunde lang sei er nur beschimpft und angebrüllt worden, berichtet Ahrens. Erst dann sei es möglich gewesen, sachlich ins Gespräch zu kommen. Längst gehe es dabei nicht mehr nur um Links oder Rechts, sagt er: Die Auseinandersetzung sei viel grundsätzlicher.
"Es geht nicht, dass wir den Kopf in den Sand stecken, ich kann mich nicht in meinem Rathaus einschließen und hoffen, dass die Anständigen für das Grundgesetz streiten. Die Zuständigen müssen sich auch für das Grundgesetz einsetzen, die müssen auf die Straße. Ein ganz bewusstes Ignorieren, das kommt als Botschaft falsch rüber. Das kommt nämlich so an, als würde das alleine verschwinden. So etwas verschwindet nicht von alleine!"
Ahrens rät offensiv mit aufgebrachten Bürgern ins Gespräch zu kommen. Die Menschen suchten Haltung und klare Positionen, auch in der Persönlichkeit an der Stadtspitze, sagt Ahrens:
"Eine Position beziehen! Das funktioniert. Das ist meine Erfahrung. Ich kann allen anderen nur Mut machen. Stellt Euch! Sagt, was Ihr denkt! Und tut, was ihr sagt – und die Leute werden das respektieren, auch wenn sie das nicht unbedingt schätzen."

Zusammenstehen und den Rücken stärken

Doch genau dieser offensive Umgang mit aufgebrachten Bürgern ist nicht jedermanns Sache. Das weiß auch Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD). Als ehemalige Bürgermeisterin und Landrätin im Leipziger Land kennt sie solche unangenehmen Stresssituationen aus eigener Erfahrung.
Mit dem "Chemnitzer Dialog" will Köpping verunsicherte Amtsträger stärken und hat sich dafür Unterstützung vom "Bündnis für Demokratie und Toleranz" sowie vom Demokratiezentrum Sachsen geholt:
"Das macht auch etwas mit Oberbürgermeistern und Bürgermeistern, die Erfahrungen gemacht haben mit Anfeindungen, mit Drohungen, zum Teil sogar mit Ausgrenzung. Insofern halte ich das für eine ganz wichtige Frage, dass man hier geschlossen zusammensteht."
Im geschützten Raum des "Chemnitzer Dialoges" geht es um Themen wie "politische Neutralität im Wahljahr und Handlungsspielräume für Amtsträger". Für Jörg Röglin, den Oberbürgermeister von Wurzen, ist das Forum eine wichtige Motivationshilfe:
"Überall kann die gleiche Situation eintreten, überall steht man plötzlich im gleichen Fokus – und da ist es ganz, ganz wichtig, Partner zu haben, die einem den Rücken stärken."

Erfahrungsbericht aus Wunsiedel

Beim Chemnitzer Dialog bleiben die kommunalen Spitzen unter sich und auf Augenhöhe. So schildert der Zweite Bürgermeister aus dem bayerischen Wunsiedel, wie es dort gelungen ist, die Zivilgesellschaft breit und wirkungsvoll zu motivieren, gegen rechtsextremistische Umtriebe aufzustehen und zu zeigen "Das wollen wir hier nicht".
Der Bautzener Amtsträger, Alexander Ahrens plädiert dafür, explizit als Stadt zu einem überparteilichen bürgerlichen Engagement aufzurufen:
"Denn je länger die Liste derjenigen ist, die aufruft und teilnimmt, desto mehr Leute habe ich in der Stadt, die sagen, wenn die, die und die dazu aufrufen, dann gehe ich da schon mal nicht hin! Ich kann mal ein besonders unbeliebtes Beispiel nennen: wenn ich eine Demonstration in der Stadt habe und höre, dass sich die Antifa aus Leipzig ankündigt, dann weiß ich genau, was passieren wird. Dann wird die bürgerliche Mitte auf dieser Demonstration nicht erscheinen. Das ist ein Erfahrungswert."

Austausch macht Mut

Jörg Röglin, der im sächsischen Wurzen im Verbund mit drei weiteren Ortsgemeinden gemeinsam an der Stärkung der Zivilgesellschaft arbeitet, fühlt sich durch das Chemnitzer Treffen in seinem Kurs bestärkt:
"Weil wir uns vernetzen, weil wir uns untereinander austauschen. In unserem Demokratiebeirat ist das Landratsamt genauso mit dabei wie Polizei, Stadtverwaltung und Räte. Wir machen das in einem kooperativen Rahmen. Wir gehen an die Schulen ran, an die Vereine ran, wir machen Straßensozialarbeit und versuchen dort an der Stelle die Leute abzuholen, bevor Sie in ein rechtsextremes Spektrum abgleiten."
Der Chemnitzer Dialog müsse fortgesetzt werden, wünscht sich Oberbürgermeister Röglin, denn:
"Wenn wir zusammensitzen und sehen, dass wir alle die gleichen Probleme haben, dann macht das auch ein bisschen Mut und eine gewisse Entschlossenheit, sich der Sache wieder mehr zu widmen."
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