Erstaunliches Maß an Ignoranz

Von Martin Steinhage |
Weit über 100.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums, darunter einige 1000 Passivraucher. Dem Gesundheitswesen entstehen hohe Kosten durch den Nikotinmissbrauch. Heerscharen von Jugendlichen greifen zur Zigarette, auch weil ihnen rauchende Erwachsene schlechte Vorbilder sind.
In vielen unserer Nachbarländer, und auch außerhalb Europas, war das früher nicht anders. Dort aber gelten inzwischen teilweise äußerst rigorose Rauchverbote. Geschadet hat das in Italien, Schottland oder den Vereinigten Staaten kaum jemandem, genutzt hat es den allermeisten. Ähnliches wünscht sich eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland. Auch Gastronomen können sich Umfragen zufolge längst vorstellen, Tabak aus ihren Kneipen, Bars und Restaurants zu verbannen - sofern denn überall und jederzeit gleiches Recht für alle gilt. Sprich: ein einheitliches Rauchverbot ohne Ausnahmen in der gesamten Bandbreite der Gastronomie.

So viel Einsicht gab es selten. Sie böte beste Voraussetzungen für einen umfassenden, konsequenten Nichtraucherschutz auch hierzulande. Dem aber stehen die Regierungschefs einiger deutscher Länder entgegen. Die Ministerpräsidenten konnten sich zwar heute unisono auf ein sehr weitgehendes Rauchverbot in nahezu allen öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen verständigen, was ausdrücklich Anerkennung verdient. Für eine bundesweit einheitliche Übereinkunft für die Gastronomie hat es aber nicht gereicht. Mehrere Landesfürsten beharrten auf Ausnahmen von der Nichtraucher-Regel, etwa bei Eckkneipen oder in Bierzelten.

Die betreffenden Ministerpräsidenten beweisen damit ein erstaunliches Maß an Ignoranz: Sie verkennen die gesundheitspolitischen Folgen ihres inkonsequenten Handelns. Eindeutige Erfahrungen aus dem Ausland werden übergangen. Einige Länderchefs interessieren sich nur begrenzt für die Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit. Und sie verhöhnen die Kneipiers, wenn sie diesen nun anbieten, selbst zu entscheiden, ob ihre Tür künftig noch Rauchern offen steht. Kein Wirt wird es sich leisten können, den blauen Dunst aus seinem Lokal zu verbannen, wenn der Konkurrent gegenüber die Qualmerei weiter duldet. Natürlich ist dieser schlichte Zusammenhang auch allen Ministerpräsidenten bekannt. Daher ist die Haltung der Bremser an dieser Stelle die pure Heuchelei.

Es ist nicht zu erwarten, dass in den Landesparlamenten, wo nun die jeweiligen Nichtraucherschutz-Gesetze formuliert werden, die heute gefassten Beschlüsse noch kippen. Da dem Bund die Hände gebunden scheinen, wird man im Lande selbst wohl nicht die Kraft finden zu einer wirklich befriedigenden Lösung. Vielleicht aber kann ja die EU in diesem Fall die deutsche Politik von ihrer notorischen Neigung zu Sonderwegen abbringen, und dem konsequenten Nichtraucherschutz auch in Deutschland zum Durchbruch verhelfen. Zu wünschen wäre es. Brüssel, übernehmen Sie!