Erst integriert, dann diskriminiert?

Der Fall Özil und das Fremdsein in Deutschland

Mesut Özil im Vorrunden-Spiel der Fußball-WM 2018 in der Gruppe F gegen Südkorea
Mesut Özil -Profi-Fußballer und seit seinem Foto mit Erdogan heftig in der Kritik. © picture alliance / Pressefoto Ulmer
Moderation: Monika van Bebber · 27.07.2018
Hat Mesut Özil durch seine Kritik dem Miteinander in Deutschland einen Bärendienst erwiesen? Oder war die Integration immer schon fragil? Darüber diskutieren u.a. der Ex-Bürgermeister Berlin-Neuköllns, Heinz Buschkowsky, und Mehmet Daimagüler, Opferanwalt im NSU-Prozess.
Fußballstar Mesut Özil ist bestens integriert und sehr erfolgreich. Nach seinem Foto mit Präsident Erdogan kochten Emotionen und Ressentiments gegen Türken und türkischstämmige Deutsche wieder hoch. Özil erklärte daraufhin seinen Rücktritt aus dem deutschen Fußball-Team.
Hat er damit dem Miteinander in Deutschland einen Bärendienst erwiesen? Oder war die Integration immer schon fragil im Einwanderungsland Deutschland? Wie kommt es, dass sich gerade objektiv besser Integrierte stärker diskriminiert fühlen? Haben sich Deutsche und Türken auseinandergelebt – oder sind sie sich immer fremd geblieben?
Darüber diskutieren im "Wortwechsel" von Deutschlandfunk Kultur:
Heinz Buschkowsky: Ehemaliger Bezirksbürgermeister (SPD) Berlin-Neukölln
Heinz Buschkowsky in einer Talk-Show, aufgenommen 2015
Heinz Buschkowsky war fast 15 Jahre lang Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln.© imago/Müller-Stauffenberg
"Ich halte es nach wie vor für entscheidend, bei den Kindern anzusetzen. Nur aus den künftigen Generationen können auch andere Vorstellungsbilder in den Köpfen entstehen: Wo ist mein Platz in der Gesellschaft? Wir schaffen es immer noch nicht, uns flächendeckend für eine Ganztagsschule zu entscheiden, weil, nur die Ganztagsschule hat ein Optimum an Chancen prekäre Lebenslagen und prekäre Elternhäuser auszugleichen. Alle diese praktischen Politikschritte unternehmen wir nach wie vor nicht und wir lassen uns das Retten von maroden Bankhäusern mehr Milliarden kosten als das Bildungssystem."
Mehmet Daimagüler: Rechtsanwalt (NSU-Prozess) und Buchautor
Mehmet Daimagüler, Anwalt der Nebenklage im NSU-Prozess, aufgenommen 2018
Mehmet Daimagüler, Anwalt der Nebenklage im NSU-Prozess© dpa / Tobias Hase
"Für mich wird die Türkei niemals, niemals in meinem Leben ein Land auf der Welt sein wie Argentinien oder Burkina Faso. Wenn ich in Istanbul lande, habe ich nicht das Gefühl, im Ausland zu landen. In der Türkei liegen meine Mutter, mein Vater und meine kleine Schwester begraben, das ist für mich wichtig. Und die emotionale Wichtigkeit ist jenseits der Politik, jenseits einer Regierung und jenseits des Präsidenten. Das ist einfach wichtig. Deswegen sollte man nicht in so Kategorien denken wie loyal oder illoyal. Die Menschen arbeiten hier, die leben hier, die zahlen hier Steuern: loyaler geht's nicht."
Annette Treibel: Soziologin, Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Annette Treibel, Soziologin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe
Annette Treibel, Soziologin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe© Campus Verlag
"Meine Lieblingsgruppe für meine Überlegung ist die Gruppe der Integrationsverweigerer ohne Migrationshintergrund, die – ich sage es mal ganz salopp – noch nicht geschnallt haben, dass wir in einem Einwanderungsland leben. Es gibt ein Bedürfnis nach Schubladen, das wir alle haben, aber dieser Endlosdiskurs, dass Menschen, die in der dritten Generation hier leben, dann auch von gutmeinenden Journalisten und Journalistinnen darauf gedrängt werden, jetzt doch mal zu manifestieren, was denn das peruanische oder marokkanische an ihnen ist – also das ist wieder diese Machtfrage: Gibt man Privilegien ab und ich denke, das wär' die gesellschaftliche Aufgabe, zu sagen: okay, auch ehemals Eingewanderte können hier Politikerinnen sein, können hier Manager sein, können Chefärztinnen werden und so weiter."
Haci-Halil Uslucan: Leiter Zentrum für Türkeistudien, Universität Duisburg-Essen
"Bildung ist ein zentraler Aspekt. Natürlich auch die Medien – wie sprechen wir über die Anderen? Welche Sprache benutzen wir? Was kehren wir heraus, heben wir auf die Oberfläche. Auch hier wäre die Besetzung von Medien, Medienanstalten, Medienprogramme, Kulturprogramme – von wem, für wen werden sie gemacht? Wie interkulturell, wie heterogen sind sie? Wir müssen einfach die Tatsache auf allen Ebenen anerkennen, dass diese Menschen nicht temporär hier sind und bald gehen werden, sie sind und sie werden hier bleiben und sie werden Teil dieser Gesellschaft und es muss so weit kommen, dass sie sich nicht erklären müssen, dass sie hier sind."
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