Erst gepäppelt, dann erschossen

Johannes Fritz, Leiter des Waldrapp-Teams in Burghausen, im Gespräch mit Ulrike Timm · 07.05.2012
Seit etwa zehn Jahren versuchen Ornithologen, Waldrappe in Europa anzusiedeln - eine hierzulande im 16. Jahrhundert ausgestorbene Vogelart. Angeleitet von Ultraleichtfluggeräten lernen die Waldrappe sogar, wieder gemeinsam gen Süden zu ziehen. Doch Jäger machen Erfolge der Vogelschützer schnell zunichte.
Ulrike Timm: Der Waldrapp ist nicht unbedingt schön, langer Schnabel, fast kahler Kopf mit Federkranz, so etwa wie eine Punkerfrisur. Aber der Waldrapp schmeckt sehr gut. Das wurde ihm zum Verhängnis, Gourmets jagten ihn so intensiv, dass er in Europa ausstarb, in deutschen Wäldern gibt es schon seit dem 16. Jahrhundert keine Waldrappe mehr. Seit zehn Jahren nun versuchen Ornithologen, Waldrappe in Europa wieder anzusiedeln. Was schwer ist, denn die Vögel sind ursprünglich Zugvögel. Sie mussten den Weg in ihr Wintergebiet also erst wieder neu lernen. Dabei half der Mensch und wies den Weg per Flugzeug.

Der kleine Waldrapp Rasputin hatte eine behütete Kindheit. Der Blick in seine Kinderstube stammt aus dem Jahr 2010, als wir in unserer Vogelwoche über die Aufzucht von kleinen Waldrappen berichteten. Und jetzt ist Johannes Fritz im Studio, der Leiter des Waldrapp-Teams, um uns zu erzählen, wie es um Rasputin und das Waldrapp-Projekt heute steht. Herr Fritz, schönen guten Tag!

Johannes Fritz: Schönen guten Tag!

Timm: Was ist denn aus dem Vogel geworden?

Fritz: Ja, der Rasputin repräsentiert recht gut das Spektrum unseres Projektes. Einerseits Erfolge, im 2011er-Jahr war Rasputin einer der Vögel, insgesamt waren das sechs, die von der Toskana über die Alpen ins nördliche Alpenvorland geflogen sind und somit nach 400 Jahren die ersten Vögel, die dieses Zugverhalten wieder aufgenommen haben. Im Herbst ist er auch wieder zurückmigriert, ist bis nach Norditalien gekommen und ist in Norditalien leider abgeschossen worden. Das heißt, Rasputin lebt leider nicht mehr, er ist der illegalen Jagd zum Opfer gefallen.

Timm: Erst gepäppelt, dann erschossen, das ist natürlich bitter für Sie und die anderen Ornithologen, die die mühsame Aufzucht von Waldrappküken in die Wege geleitet haben, um das Tier wieder neu anzusiedeln. Aber wie viel Vögel haben Sie denn schon verloren und wie viele leben noch?

Fritz: Also, das Positive, es leben momentan rund 35 Vögel in unserem Projekt, das sind alles Vögel, die wir in den letzten Jahren nach Süden geführt haben mithilfe der Ultraleichtfluggeräte, wie auch Rasputin, und die jetzt eigentlich alles haben, um eigenständig, unabhängig überleben zu können, und das tun sie auch recht gut. Aber wir haben ein primäres Problem in unserem Projekt und das ist eben jedes Jahr recht hohe Verluste durch illegale Jagd. Das war im vergangenen Jahr, waren das, von 40 Vögeln circa sind 15 umgekommen. Das ist ziemlich viel, in anderen Jahren ist es weniger. Es ist jedenfalls zu viel, um das Projekt nachhaltig führen zu können.

Timm: Nun darf man die Vögel ja auch in Italien nicht jagen. Ist das sein Verhängnis, dass er einfach so gut schmeckt?

Fritz: Ich glaube nicht, dass das damit in Zusammenhang steht. Es geht darum, zu schießen. Ich weiß nicht genau, was mit diesen Vögeln passiert, wenn sie geschossen sind, aber ich nehme an, dass sie einfach willkürlich geschossen werden wie andere Arten auch, leider Gottes eben auch geschützte Arten, zu denen der Waldrapp ja gehört.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Johannes Fritz erzählt uns von den Bemühungen der Ornithologen, den fast ausgestorbenen Waldrapp wieder anzusiedeln. Das Waldrappküken Rasputin hat es leider nicht geschafft. Herr Fritz, das ist ja sehr aufwendig: Da fliegt eine Vogelersatzmama im Ultraleichtflugzeug über die Alpen voran, damit die von Hand aufgezogenen Vögel in ihr Wintergebiet erst mal finden. Sie haben das vor zwei Jahren zuletzt gemacht, war es dann nicht mehr nötig, kriegen die Vögel das alleine hin?

Fritz: Wir haben es vor zwei Jahren zuletzt gemacht in Burghausen, an diesem Standort in Bayern. Vergangenes Jahr haben wir wieder Migration, also eine menschengeführte Migration durchgeführt an einem weiteren Standort, an einem neuen Standort, das ist Salzburg. Das heißt, wir machen das weiter mit diesen menschengeführten Migrationen. Für Burghausen haben wir aber eine hoffentlich ausreichende Zahl von Vögeln, um jetzt sukzessive einen stabilen Bestand, einen selbstständig überlebenden Bestand aufbauen zu können.

Timm: Aber wer bei Ihnen im Projekt mitmacht, muss fliegen können?

Fritz: Zumindest muss er den Mut haben, mitzufliegen. Das betrifft die Zieheltern im Speziellen, die anderen, wir haben viele Volontäre, die sehr bodenverhaftet sind, also, die vom Boden nicht wegkommen. Die Ziehmütter müssen als Kopilotinnen in den Fluggeräten drinnen sitzen, das ist Grundvoraussetzung, ja.

Timm: Wie steht es denn derzeit, sind die Burghausener Waldrappen wieder da in diesem Jahr?

Fritz: Ja, wir haben einen sehr erfolgversprechenden Start, diese Saison 2012. Ganz erwartungsgemäß sind Ende März, Anfang April die ganzen geschlechtsreifen Vögel, also drei Jahre und älter, losgeflogen. Etwas später dann die Generation der Zweijährigen, die sind unterwegs jetzt zwischen Italien und dem Brutgebiet. Und die jungen Vögel, also die 2011er-Generation, sind noch gesamtheitlich in der Toskana drunten. Das ist ein ganz schönes Muster, das die Waldrappe da zeigen.

Timm: Das ist ja eine tolle Erfahrung, dass die das schaffen, zurückzukommen. Es gibt ja kein Alttier, kein Elterntier, das ihnen den Weg gewiesen hat. Wissen Sie genauer, wie die Vögel das geleistet haben?

Fritz: Es ist eine sehr spannende Sache, dass das überhaupt funktioniert, dass man einer ausgestorbenen oder regional ausgestorbenen Zugvogelart wieder ein Zugverhalten antrainiert. Es ist schon mal ein Phänomen aufgetreten, das sehr spannend für uns ist: Wir haben die Waldrappe in diesen vergangenen Jahren um die Alpen herum in die Toskana geführt unter der Annahme, dass Vögel, diese Art wie der Waldrapp, es bevorzugen, solche Gebirgskämme zu umfliegen. Was sie aber tatsächlich machen, ist, sie fliegen frontal über das Gebirge drüber, sie queren die Alpen mehr oder weniger, die Ostalpen, am breitesten, höchsten Bereich. Das heißt, die Annahme, dass Waldrappe die Zugroute vor allem durch optisches Lernen, also durch Wegmarken erlernen, kann so nicht bleiben, denn sonst würden sie nicht über die Alpen drüber diesen Weg finden, den wir ihnen gar nicht gezeigt haben. Also, es wirft eigentlich mehr Fragen momentan auf, als Antworten verfügbar sind. Aber das Wichtige für uns jetzt vom Artenschutzaspekt her ist, dass es funktioniert. Die Waldrappe finden vom Wintergebiet ins Brutgebiet und fliegen zu der entsprechenden Zeit dorthin und im Herbst dann auch wieder retour.

Timm: Die letzten freilebenden Waldrappe, Herr Fritz, die leben in Marokko und in Syrien, sind ganz wenige. Und auch dort haben Sie versucht zu helfen. Wie eigentlich?

Fritz: Ja, ganz, ganz prekär ist die Situation im Mittleren Osten, da gibt es de facto nur mehr drei Individuen, drei adulte Individuen, seit 2008 ist dieser Minimalbestand dort. Die brüten in Syrien, mitten in der Wüste, bei Palmyra, und migrieren nach Äthiopien. Und wir haben 2010 ein Projekt gestartet, also, mit der internationalen Gruppe an verschiedenen Organisationen, und haben drei Jungvögel aus einer Zuchtkolonie in der Türkei im Brutgebiet freigelassen in Syrien, in der Hoffnung, dass sie mit den erwachsenen Vögeln mit ins Wintergebiet fliegen können. Das hat funktioniert und die haben sich denen anschließen können, speziell einem Altvogel, der Salama, einem Weibchen, und sind mit Salama losgestartet und sind über 1700 Kilometer mit Salama gemeinsam geflogen, bis an die Grenze Saudi-Arabien-Jemen. Dort leider haben die drei Jungvögel den Kontakt zu Salama dann wieder verloren, Salama ist allein weitergeflogen, ab dem Zeitpunkt dann haben sie kein gerichtetes Zugverhalten mehr gezeigt. Das heißt, wir haben Ansätze im Mittleren Osten, wie man diesen Bestand wieder aufbauen könnte, aber noch nicht die gesamte Antwort auf dieses Problem. Es kommt da hinzu, dass momentan durch die politische Situation in dieser Region, speziell in Syrien, gar nichts zu machen ist. Also, die Situation dort ist eher dermaßen, dass die Waldrappe verschwinden werden. Etwas besser ist das in Marokko, da gibt es noch eine Kolonie mit rund 200 adulten Vögeln und dort versuchen wir seit 2012 gemeinsam mit nationalen Organisationen und europäischen Zoos, wieder Ansiedlung im Atlasgebirge auf den Weg zu bringen.

Timm: Johannes Fritz, der Leiter des Waldrapp-Teams in Burghausen. Herr Fritz, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch und ich wünsche allen Waldrappen alles Gute!

Fritz: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links auf dradio.de:

Da fliegen sie wieder! - Die Große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur vom 7.-12. Mai