Erschütternde Begegnung mit dem Tod

Der Regisseur im Gespräch mit Frank Meyer · 13.11.2011
Ein Mann, Mitte 40, verheiratet, zwei Kinder, erfährt, dass er einen Gehirntumor hat und in wenigen Monaten sterben wird. Ein Stoff, wie er in ähnlicher Form schon oft im Kino erzählt worden ist, wohl selten aber so eindringlich und aufwühlend wie im neuen Film von Andreas Dresen.
Frank Meyer: Und der Regisseur des Films Andreas Dresen ist bei uns. Seien Sie herzlich willkommen!

Andreas Dresen: Guten Tag!

Meyer: Herr Dresen, das ist ja ein wirklich harter Film, der den Zuschauern viel abverlangt – So habe ich das jedenfalls auch empfunden beim Zuschauen. Warum finden Sie es richtig, den Menschen im Kino so einen Film zuzumuten?

Dresen: Also wenn das Kino ein Ort für existenzielle Geschichten und die Grundfragen unseres Lebens ist – wovon ich mal ausgehe –, dann gehört lieben, leben und auch sterben sehr wohl dazu, finde ich, und dann sollte man darüber auch sprechen. Und ich finde, in unserem Alltag sind alle Probleme, die mit sterben, mit dem Tod zu tun haben, sowieso zu Unrecht ausgegrenzt, weil das ist nun mal ein Teil unserer Lebensreise, und das eint alle Menschen: Arm, reich, alle sozialen Schichten hinweg müssen sich früher oder später damit auseinandersetzen, ob Verwandte sterben, Freunde sterben, Eltern sterben oder wir auch irgendwann selbst natürlich gehen müssen. Und ich finde, da kann es nicht schaden, sich damit mal auseinanderzusetzen und das nicht immer nur wegzuschieben und wegzudrängen. Auch wenn es manchmal schmerzhaft ist.

Meyer: Wie ist Ihnen das Thema denn selbst nahegekommen? Gab es da einen Auslöser, diesen Film jetzt zu machen?

Dresen: Na ja, er ist ja manchmal so, dass man über Jahre hinweg an Projekten arbeitet und sie sich dann Schritt für Schritt entwickeln. Und hier war es eher so, dass der Film, kann man schon so sagen, zu mir gekommen ist, ja? Manche Filme wollen einfach plötzlich gemacht werden. Man weiß gar nicht, wie so was kommt. Das sind dann häufig Produktionen, die sehr schnell entstehen. Bei "Wolke 9" war es auch schon so, und hier …

Meyer: Das war Ihr Film über die Liebe im Alter, wenn ich das mal ganz grob auf einen Begriff bringe.

Dresen: Liebe und Sexualität im Alter, genau. Und den haben wir auch auf ähnliche Art produziert, eben improvisierend. Und hier war es halt so, dass ich schon durch eine ziemlich schwere Trennung ziemlich erschüttert war, Abschiedsschmerz war als Grundierung schon da, und dann kam dazu, dass in meinem Freundeskreis der Tod Einzug hielt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich jetzt langsam auf die 50 zu gehe, meine Freunde zwangsläufig auch – wir sind ja alle aus der gleichen Generation, die meisten jedenfalls –, und dann tritt das Thema an einen heran, und man muss sich damit auseinandersetzen. Und es wurde Thema in Gesprächen, wir haben uns oft darüber unterhalten, und auch darüber dann unterhalten, weil es ja nun mal unsere Arbeit ist, ob es darüber und so, wie wir das erfahren und erlebt haben, überhaupt im Film eine Reflexion gibt, die uns angemessen erscheint. Und wir haben dann angefangen, uns Filme anzuschauen und festgestellt, dass den Film, den wir selber sehr gerne drehen würden, dass es den in dieser Form noch nicht gibt. Und damit begann dann eigentlich die Arbeit.

Meyer: Und über diese Arbeit haben Sie gesagt, Sie hätten unterwegs mal den Eindruck gehabt, Sie halten das eigentlich nicht mehr aus, dieses Filmprojekt. Was war das für ein Punkt? Was war da passiert?

Dresen: Na ja, das war alles in allem schon mehr als ein Filmprojekt, würde ich sagen. Für mich war es eher wie eine Reise, und ich glaube, es ging vielen aus dem Team auch so, und auch den Schauspielern. Man muss sich da sehr stark drauf einlassen, und ich hab ja mit Cooky Ziesche, mit der Dramaturgin und Co-Autorin, eine Materialsammlung erstellt, das heißt, wir haben sehr lange recherchiert, wir haben Leute aus Hospizbewegungen getroffen, Ärzte, aber auch Menschen, die Verwandte verloren hatten, die ähnliche Situationen erlebt hatten wie die, die wir im Film erzählen, und das waren teilweise für mich sehr nachhaltige und erschütternde Begegnungen, wo man nicht so ohne Weiteres danach wieder in den Alltag zurückkehren konnte. Mich hat das tagelang, wochenlang beschäftigt und ging mir nach. Und das sind wahrscheinlich Dinge, die man so im Unbewussten ablagert, an denen man im Alltag nicht gerne rührt, diese Türen macht man nicht gerne auf, aber wenn man sie dann öffnet, dann ereilt es einen schon mit ganzer Kraft. Und so erging es mir dann irgendwo. Ich fühlte mich ein bisschen wie so unter einer Glocke. Und wir haben dann tatsächlich vergangenes Jahr im Sommer recht lange darüber gesprochen, ob wir das Projekt nicht doch lieber sein lassen, ob uns das alles in einem gut tut, also das zu machen, ne?

Ich bin dann aber zu dem Schluss gekommen, auch weil wir schon mit so vielen Leuten vertrauensvolle Begegnungen hatten und weil ich auch dachte, das geht jetzt nicht, dass ich hier kneife irgendwie, dass es vielleicht doch gut wäre, den Weg, den man einmal begonnen hat, auch zu Ende zu gehen. Und im Nachhinein muss ich sagen, und zwar gar nicht in erster Linie deswegen, weil der Film jetzt existiert, sondern wegen mir selbst, bin ich eigentlich ganz froh, dass das dann doch gemacht wurde und zustande gekommen ist. Und das wurde später auch immer leichter.

Meyer: Würden Sie denn jetzt sagen, die Arbeit hat Ihnen gutgetan?

Dresen: Ja, die hat mir gutgetan und ich glaube, ich habe noch bei keinem Film so viel gelernt, auch über mich selbst und über das Leben, wie bei diesem. Also das war schon etwas ganz Besonderes, was einen auch auf sehr existenzielle Punkte natürlich zurückwirft und ist dann letztendlich für mich persönlich auch viel mehr wert als der Film. Ich bin froh, dass es den gibt natürlich, ganz klar, aber für mich selber war es natürlich noch mal etwas ganz anderes, weil man wie gesagt sich selber zu einer Auseinandersetzung zwingt, die man sonst vielleicht nur in Situationen tut, wo man gar nicht mehr die Zeit und die Chance hat, darüber wirklich zu reflektieren. Das hat was mit der alltäglichen Verdrängung zu tun, die das Thema ja erfährt.

Meyer: Es ist ein besonderes Thema, es ist auch ein besonderer Film in dem Sinne, dass er auf besonderen Wegen entstanden ist. Darüber würde ich gerne auch mit Ihnen sprechen. Wenn wir mal auf den Anfang schauen: Der Film beginnt ja mit voller Wucht, ohne Hinführung, ohne Schonfrist für den Zuschauer. Man sitzt sofort im Sprechzimmer eines Arztes und hört ihm zu, wie er ein, ja, praktisch, Todesurteil ausspricht. Dieser Arzt wird nun nicht gespielt, das ist ein echter Mediziner, Uwe Träger, ein Neurochirurg aus Potsdam. Warum haben Sie sich dafür entschieden, da mit einem echten Arzt zu arbeiten, der diese Erfahrung auch jeden Tag macht?

Dresen: Das hat einfach damit zu tun, dass die Berufserfahrung dieses Mannes oder der Mediziner in dem Film generell, muss ich sagen – wir haben ja alles medizinische Personal mit Leuten besetzt, die das als Beruf ausüben, die sich da also auskennen –, das hat damit zu tun, dass meine Phantasie einfach gar nicht so groß ist, mir vorzustellen, wie so etwas abläuft. Also ich hätte mich in der Verlegenheit befunden, einem Schauspieler erklären zu müssen, wie so ein Gespräch abläuft, wie man sich da verhält. Ehrlich gesagt, bei aller Recherche, die man da führen kann, weiß ich es nicht. Und ich dachte, es ist in jedem Fall gut, mich und auch die Schauspieler einer Erfahrung auszusetzen, die wir nicht kennen, und uns in die reale Situation rein zu begeben, an eben diesem Tisch, vor diesem Computermonitor. In dem gleichen Raum finden diese Gespräche dieser Art drei-, viermal die Woche statt, und natürlich weiß Uwe Träger sehr gut und sehr wohl, was er da tut und wie er das tut. Und ich fand das eine ganz beeindruckende Mischung aus Sachlichkeit und Empathie, also wie er das auch selbst an sich rangelassen hat, diese Situation, und er hat hinterher dann auch gesagt, er hat die Kamera komplett vergessen. Ich habe sie allerdings auch vergessen, muss ich sagen, weil ich so involviert war, wie mir das selten bei einer Filmszene geht, und das hat wie gesagt damit zu tun, dass hier die Realität ganz massiv in eine fiktive Situation, die von uns ja hergestellt wurde, reindrängt.

Meyer: Es gibt noch eine zweite echte Ärztin in dem Film, die Palliativärztin Petra Anwar. Die kommt dazu, als die Situation schon sehr ernst geworden ist, als Frank schon kaum noch etwas selbst tun kann, im Bett liegt, viel Hilfe braucht, die Situation in der Familie schon sehr kritisch geworden ist, bei all der Pflege, die er braucht – und da kommt Petra Anwar dazu, und ich fand diese Frau so ungemein beeindruckend, weil sie mit so einer liebevollen Entschiedenheit klar macht in dem Film, diese Qual, die das alles auch ist, die hat einen Sinn, weil es wichtig ist, jemanden im Sterben zu begleiten – für beide, für den Sterbenden und für seine Angehörigen, für seine Familie. War das der Grund, auch diese Haltung dieser Frau, dass Sie sie dabeihaben wollten in dem Film?

Dresen: Also ich finde sie wie so einen großen, Sicherheit gebenden Engel, wie sie da reinkommt in die Wohnung. Sie ist eine extrem kraftvolle, humorvolle, vitale, emotionale Frau, ja? Und als ich sie das erste Mal getroffen habe, war ich so beeindruckt von ihr, und wir wollten sie unbedingt gerne in unserem Film haben. Sie wollte nicht mitspielen, sie hat sich verweigert, sie hat gesagt: Nein, das geht nicht, da muss ich irgendwas darstellen und so. Es hat dann einige Überredungskunst gebraucht, um ihr klarzumachen, dass wir mit so kleinem Team und in so enger Konstellation unterwegs sind, dass das für sie kein Problem sein wird, und Sie haben es im Prinzip schon gesagt, sie hat eine Haltung in so einer Situation, die auf so eine gesunde Art pragmatisch und Sicherheit gebend ist, dass man sich bei ihr einfach anlehnen kann. Und es ist so eine Selbstverständlichkeit, mit diesem Thema umzugehen auch.

Man muss dazu vielleicht wissen, Petra Anwar betreut zeitgleich 50 Sterbende in Berlin hier und fährt jeden Tag zu denen nach Hause. Und das ist ein irrsinniger Beruf, finde ich. Und dabei diese Kraft und diese Lebenslust zu behalten, finde ich sehr bewundernswert, und das kommt eben natürlich durch ihre innere Haltung zum Tod als einem natürlichen Vorgang, der Teil unserer Lebensreise ist und mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Und dadurch, dass sie eben dafür einsteht, dass Menschen zu Hause sterben, nimmt sie dem Tod auch teilweise den Schrecken, finde ich, weil wenn man sich das mal anguckt: Dass wir so viel Angst davor haben, hat ja doch damit zu tun, dass der Tod aus unserem Alltag verschwunden ist. Noch vor nicht mal 100 Jahren haben drei Generationen in einem Haus gelebt, und wenn Opa dann gestorben ist, dann waren die Kinder selbstverständlich auch dabei, und die konnten dabei zuschauen, die konnten bei ihm sein, sie konnten ihn anfassen, und er lag dann noch eine Nacht meistens dort, war aufgebahrt – das alles gibt eine Vertrautheit und eine Selbstverständlichkeit und auch einen Schutzraum, mit diesen Dingen des Lebens umzugehen, den wir heutzutage ja oft gar nicht mehr haben. Wir schieben ja alle Dinge, die früher im familiären Umfeld waren, häufig ab, sei es die Betreuung der Kinder als auch der Alten und eben auch den Tod.

Meyer: Das ist die eine Seite, die man mit dem Film erlebt, diese Nähe zum Sterben zuzulassen, auch zu erfahren, dass das wichtig ist für diese Familie. Die andere Seite ist aber auch, dass man eben sieht, wie schmerzvoll das ist. Und ich muss sagen, als ich diesen Film gesehen habe, ich habe auch Angst bekommen vor diesem Vorgang des Sterbens, weil man sieht, wie dieser Mann sich quält, wie er die Kontrolle auch über sich verliert, wie er sich verändert, ins Zimmer seiner Tochter pinkelt, weil er nicht mehr weiß, wo das Klo ist in dem Haus und all diese Dinge. Ist das auch eine Angst, die sie transportieren wollten, die einfach dazugehört, diese Angst vor der letzten Reise?

Dresen: Das ist die Realität. Nicht in allen Fällen natürlich – manche Menschen haben das Glück und fallen einfach um, und bei anderen dauert es länger und ist auch mit Schmerzen verbunden –, aber letztendlich haben wir versucht, eine ambivalente Haltung dazu zu finden. Wir wollten nichts beschönigen, aber wir wollten es auch nicht düsterer malen, als es ist. Es gibt in Deutschland ja ein großes Soziales Netz, auch für solche Situationen, auch für Familien, die eine große Stütze dann erfahren, ne? Und letztendlich ist es natürlich eine Reise in die Dunkelheit, wir sind plötzlich mit dem Schicksal konfrontiert, das ist ja keineswegs alltäglich, wenn man mit Mitte 40 so eine Nachricht bekommt, aber es ist Schicksal, und das ist etwas, dem wir uns ungern stellen, weil es so auch als höhere Gewalt daherkommt, ja? Man könnte jetzt sagen: Hat Frank Lange zu wenig gejoggt? Hat er zu wenig Bio gegessen? Nein, er hat ganz gesund und ganz normal gelebt, er hat auch nicht zu viel geraucht und getrunken, und trotzdem hat er diesen blöden Tumor bekommen, und das ist etwas, mit dem wir schwer umgehen können. Der Arzt sagt es zu Anfang: Das ist Schicksal.

So, und wir als Menschen müssen uns solchen ausweglosen Situationen stellen und zusammenrücken dann, und das ist das, was diese Familie versucht. Und wenn wir das dann schaffen, haben wir die Chance, den Tod auch als etwas Lichtes zu erleben, als etwas, was uns auch zusammenführt in einem höheren Sinn. Und der Film endet keineswegs schwarz, und das Sterben ist ein sehr harter und teilweise schmerzhafter Prozess, auch im psychischen Sinne schmerzhaft, aber der Tod selbst ist etwas sehr Befreiendes, fast Helles. Ich habe viel angefangen, als wir den Film gemacht haben, über mein eigenes Leben nachzudenken, und dass man häufig so die Dinge, die man gerne hat, die man gerne macht, so auf irgendwann später verschiebt. Wie oft sagt man zu Freunden irgendwie: Ah, wir rufen uns dann mal an, und dann treffen wir uns. Und dann finden diese Treffen ja nie statt, oder man trifft sich ein Jahr später und sagt: Ja, ja, ich melde mich dann, und so. Und das sind alles Dinge, in dem Moment, wenn man sich mit der Endlichkeit unserer Existenz beschäftigt, die kriegen dann doch in gewisser Weise ein anderes Licht, ja?

Meyer: Deutschlandradio Kultur, Andreas Dresen ist bei uns im Studio, wir reden über seinen neuen Film "Halt auf freier Strecke". Ihre beiden Hauptdarsteller sind ja Steffi Kühnert und Milan Peschel, die dieses Paar spielen. Steffi Kühnert hat vor dem Dreh eine ganze Bibliothek zum Thema Tod und Sterben gelesen, hat sie erzählt, und Milan Peschel hat berichtet, dass während der Arbeit an diesem Film, dass seine Freunde gesagt haben, Mensch, du bist immer so bedrückt, was ist denn mit dir los, und dass er ein bisschen schwer auszuhalten war in dieser Zeit offenbar. Also man hat den Eindruck, die beiden haben sich richtig reingehängt in dieses Projekt. Wie sieht man das vorher als Regisseur, dass zwei Schauspieler das tun werden?

Dresen: Das ist ein Grundvertrauen. Ich kannte beide, ich habe mit Steffi ja schon mehrfach gearbeitet, Milan kannte ich natürlich durch seine Theaterarbeit, durch seine Filmarbeit, wir hatten uns auch schon mehrfach unterhalten. Ich wusste, was er für ein Arbeitstier ist in der Hinsicht und wie er sich auf Dinge einlässt. Das sieht man ja auch, wie ein Schauspieler bestimmte Rollen spielt. Es war dann aber teilweise tatsächlich auch in der Vorbereitung so, dass ich es manchmal fast ein bisschen beängstigend fand. Ich erinnere mich, dass wir mit Steffi und Milan zu einem Gespräch bei einem Arzt im Virchow-Krankenhaus waren, und während dieses Gespräches fiel Milan förmlich in sich zusammen, der wurde immer stiller, sagte nichts mehr – er sah irgendwie total krank aus, ich habe mich wirklich total erschrocken irgendwie, und habe dann draußen auf der Straße – es war irgendwie im Hochsommer – zu im gesagt: Milan, irgendwie, ich wollte nur noch mal sagen, es ist ein Film. Ich habe nichts dagegen, wenn du weit gehst, aber geh nicht zu weit, lass es nicht zu dicht an dein Herz ran. Man muss auch immer noch so einen Schutzraum errichten für sich, und es war dann interessant, als wir gedreht haben, dass gegen Ende der Dreharbeiten, wo der Film ja eigentlich immer existenzieller und ernster wird, die Stimmung am Drehort durchaus heiterer war. Wir haben dann auch versucht irgendwie, uns über die Seriosität der Situation quasi hinwegzusetzen und uns zu befreien. Es wurden Witze gemacht, es wurde mehr und mehr gelacht, und es wurde interessanterweise zum Ende hin für uns leichter.

Meyer: Der Film wirkt so starr, glaube ich, weil er eigentlich kaum Hintertüren aufmacht, wo man auch mal aus diesem Raum dieser Erzählung rauskommt. Man ist immer zusammen mit diesen wenigen Figuren, man ist fast immer in diesem Haus, in dem das Ganze spielt. Man ist immer drin in dieser Geschichte, die sich sehr, sehr echt anfühlt, und dann gibt es eine Ausnahme, wo so ein Fenster nach draußen aufgeht. Frank, eben dieser Mann mit dem Tumor im Kopf, der sieht eine Harald-Schmidt-Show im Fernsehen, und da interviewt Harald Schmidt – es ist eine irre Situation – interviewt einen Tumor, einen Hirntumor in Menschengestalt, der da bei ihm in der Sendung auftaucht. Das ist ein irritierender Moment in dem Film, muss ich sagen.

Dresen: Aber er interviewt nicht nur einen, sondern den Hirntumor von Frank Lange, der da erstmals im Fernsehen auftritt, das ist schon natürlich absurd, und für uns war das ein bisschen wie so ein innerer Monolog, den Frank da hält, also, dass er irgendwie quasi wie ein Zwiegespräch mit seinem eigenen Tumor führt, und das kam eigentlich dadurch, dass wir uns im Vorfeld der Produktion mit der Psychoonkologie beschäftigt haben, also mit Psychologen, die schwer Krebskranke betreuen. Und es gibt da verschiedene Wege und Konzepte, wie man da Hilfestellung geben kann, und eines dieser Konzepte ist die sogenannte Visualisierung, die dem Kranken helfen soll, sich ein Bild von seiner Krankheit zu machen und auch von den Kämpfen, die in seinem Körper toben. Da gibt es ganz unterschiedliche Bilder, man kann sich das so wie im Kinderbuch vorstellen, aber eben auch durchaus, wenn man will, in Menschengestalt. Und wir fanden es dann ganz schön, sozusagen den Film ins Metaphysische hin zu öffnen und ein bisschen in die innere Welt von Frank einzusteigen, indem er sich seinen Tumor plötzlich vorstellt, der reden kann, der Dinge ausspricht, die Frank so nie aussprechen würde, weil die zu hart wären, aber auch, indem er beispielsweise ein Tagebuch führt, das er mit seinem iPhone immer aufnimmt.

Das ist auch etwas, was im Film eine ziemlich wichtige Rolle spielt, das war auch ein Element, um Frank in gewisser Weise am Leben zu erhalten. Wir verlieren ihn ja als Hauptfigur ein kleines bisschen im Laufe des Films, weil er immer weniger sich bewegen kann, immer weniger sprechen kann, aber in seinem Kopf ist er natürlich ganz lebendig, und diese kleinen iPhone-Tagebucheinträge, die bleiben, obwohl sein äußerer Zustand nicht mehr so ist, trotzdem ganz vital, und zwar bis zum Ende des Films.

Meyer: Und wie schwer war das, Harald Schmidt zur Mitwirkung an so einem Film zu bewegen?

Dresen: Als ich ihn dann endlich erreicht hatte – man muss sagen, die Telefonnummer oder die Handynummer von Harald Schmidt rauszukriegen, ist ungefähr so kompliziert, wie die vom Papst rauszukriegen, aber als ich ihn dann am Telefon hatte, war es gar nicht schwer. Er fand das sofort eine ganz ungewöhnliche Idee, hatte Lust und hat dann wirklich für einen Apfel und ein Ei für uns das in seinem Studio mit seinem ganzen Team für uns aufgezeichnet. Und das ist ein wirklich großartiges Studiogespräch geworden, muss ich sagen, wo Harald Schmidt, aber auch Thorsten Merten, der den Tumor spielt, beide wirklich in Bestform waren. Im Film ist leider nur eine gute Minute davon zu sehen. Wir werden später auf die DVD dann das ganze drauf tun, das dauert zwölf Minuten, das ist eine Sternstunde der Harald-Schmidt-Show, würde ich sagen, die natürlich in dieser Form nie gesendet wird.

Meyer: Sie haben gerade gesagt, dass Sie die Hauptfigur, dass man die ein bisschen verliert, der liegt ja, der Frank, am Ende wie so ein schutzloses Vögelchen eigentlich in seinem Bett, dieser Mann, dann kahlrasiert – diesen Vorgang zu inszenieren, das langsame Sterben eines Mannes über Monate hinweg, wie schwer ist sowas?

Dresen: Es hat natürlich vor allen Dingen ganz viel mit Recherche zu tun, um die medizinischen Aspekte da nicht falsch zu machen. Wir haben uns ja sehr viel mit der Krankheit und mit dem Verlauf der Krankheit auseinandergesetzt. Und auf der anderen Seite ist es natürlich dramaturgisch eine Bewegung im Film, die nicht leicht zu handhaben ist. Ich war eigentlich immer der Meinung, wir müssen verdammt aufpassen, dass dieser Film nicht wahnsinnig langweilig wird, und dass der einen einfach nicht interessiert und nicht packt, weil man ja im Grunde genommen von der ersten Minute weiß, wie dieser Film enden wird. Da gibt es keine großen Wendungen oder dramaturgischen Überraschungen. Alles das, was überraschend ist, liegt in dem zwischenmenschlichen Bereich, in dem, wie die Leute, unsere Figuren in den Situationen agieren. Und das war die eigentliche Herausforderung sozusagen. Die einzelne Szene so zu erzählen, dass sie immer den Zuschauer wachhält und interessiert hält, und ihm Identifikationsräume öffnet, und zwar durchaus wechselnd: Manchmal mit demjenigen, der stirbt, und manchmal aber auch mit demjenigen, der pflegt, denn wie alles im Leben hat auch das natürlich zwei Seiten, und da treffen harte Konflikte aufeinander. Derjenige, der der Pflegende ist, hat ja nicht nur den Tod des Partners oder den bevorstehenden Tod des Partners zu verarbeiten, sondern muss sich auch noch mit dem Problem beschäftigen, dass sein Leben danach ja irgendwie weitergeht und wie es das dann tut.

Meyer: Sie haben jetzt schon einige Aufführungen dieses Filmes erlebt, unter anderem beim Filmfestival in Cannes. Ich habe darüber gelesen, da gab es auch Leute, die rausgegangen sind aus dem Film, was ich auf eine gewisse Weise auch verstehen kann, weil es kann auch eine Abwehr geben, und Menschen, die sagen: Ich will mich dem nicht aussetzen, das kommt mir vielleicht auch zu nahe, dieser Film und tut mir zu sehr weh. Was haben Sie erlebt an Reaktionen auf den Film?

Dresen: Also so ganz viele Vorführungen habe ich ehrlich gesagt noch gar nicht erlebt: Die beiden Vorführungen in Cannes und dann noch eine bei einem Festival in Serbien, und ansonsten in Deutschland noch gar keine bisher, und ich bin da einfach jetzt sehr neugierig, wie das beim Publikum funktioniert. Ich werde ja mit dem Film auch unterwegs sein in den Kinos und dann auf die Zuschauer treffen. Das, was ich bisher erfahren musste, waren durchaus sehr eruptive Reaktionen – übrigens auch im Schneideraum, als wir den Film endgefertigt haben.

Die Leute, die sich auf den Film einlassen, waren häufig sehr erschüttert, ich war mit relativ vielen weinenden Menschen konfrontiert, viel mehr als sonst. Und in Cannes war es auch so, dass fremde Menschen plötzlich weinend auf mich zukamen, und das ist schon recht ungewöhnlich. Und ich habe dann irgendwie fast ein bisschen schlechtes Gewissen gekriegt, weil ich dachte: Mensch, das ist irgendwie … ich will ja keinen unglücklich machen mit einem Film. So, und eine Frau dort in Frankreich, die mich plötzlich weinend umarmte, der habe ich das dann auch gesagt. Ich habe gesagt: Es tut mir irgendwie leid. Und sie sagte dann: Nein, nein, das ist alles ganz wunderbar. Und dann rannte sie weg, so, und ich glaube, wenn man Trauer und Schmerz mal an sich ranlässt, kann das auch etwas sehr Befreiendes haben, ja?

Manchmal gibt man sich selber auch – jeder kennt das ja – auch mal so einem Weltschmerz hin und lässt mal die Dinge raus, die man sonst irgendwo ablagert. Und im Zusammenhang mit diesem Thema ist es, glaube ich, ganz besonders so, dass wir so viel verdrängen, und scheinbar trifft diese Art von Geschichte auf Schichten in unserem Unbewussten, dass es Dinge freimacht, oder freisetzt, also Emotionen freisetzt. Manch einer hält das nicht aus. Und ich glaube aber, wenn man sich dem aussetzt, kann man da durchaus mit einem großen Gewinn rausgehen, und mal davon abgesehen: Neben dem Schmerz hat mich auch immer gefreut, dass in den Vorführungen meistens doch auch immer wieder gelacht wurde, weil der Film hat ja auch durchaus seine komischen Seiten, und dass das beides da Platz hat, hat mich gefreut, weil ich mir das auch immer gewünscht habe. Ich finde, Lachen und Weinen gehört zum Kino dazu und ich hasse nichts mehr, als wenn mich etwas gleichgültig lässt.

Meyer: "Halt auf freier Strecke", so heißt der Film von Andreas Dresen. Ab Donnerstag ist er in unseren Kinos. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Dresen: Danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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