Ersatzreligion Jazz

Rezensiert von Olga Hochweis |
Der neue Band der Tschechischen Bibliothek "Das Baßsaxophon " vereint Erzählungen und Novellen von Josef Skvorecký, die erstmals zwischen 1953 und 1967 veröffentlicht wurden und deren Klammer der Jazz bildet. Skvorecký, Jahrgang 1924, kehrt in dieser autobiographischen Prosa in seine Jugend und frühe Erwachsenenzeit zurück, eine Zeit, die sowohl von wachsender Jazzleidenschaft und dem Spiel in diversen Bands geprägt ist, als auch vom Druck wechselnder politischer Systeme, dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus.
Es ist ein wiederkehrendes Prinzip in Skvoreckýs Werken, Jazz und Politik mit Geschichten über die kleinen, einfachen Leute zu verbinden. Wiederkehrend ist auch das Personal, allen voran der Held und Ich-Erzähler Danny Smiricky – ein Anglistik-Student, Hobby-Tenorsaxophonist und alter ego des Schriftstellers. Den Protagonisten gemeinsam ist die völlige Immunität gegenüber politischen Doktrinen und Ideologien durch jugendliche Unbekümmertheit. Schon die starke Identifikation mit dem Jazz als der Musik der Schwarzen stellt sie auf die Seite der Unterdrückten. Ob als zentrales Thema des Textes oder als Rahmen und Hintergrundmotiv: der Jazz ist immer eine Art Ersatzreligion.

So spielt die Titelnovelle "Baßsaxophon" mit biblischen Motiven und einer sakralen Stimmung, vor allem am Anfang des Textes, als das Instrument in der Hand eines alten Deutschen in einem von den Nazis besetzten tschechischen Provinzstädtchen auftaucht: "’Möchtest du es spielen?’ fragte der Alte wie die Schlange in der Bibel. Aber ja. Denn das da war der Apfel und ich war Eva..." Der Alte gehört zu einer drittklassigen Combo aus dem "Reich", die den jungen Ich-Erzähler als Ersatz für einen ausgefallen deutschen Musiker engagieren will. Ein patriotischer Tscheche müsste eigentlich ablehnen. Doch die Verlockung, auf dem seltenen Instrument zu spielen, ist größer. Auf den Proben findet der junge Mann zwar heraus, dass nicht alle Deutschen Nazis sind. Dennoch endet der "Sündenfall" für ihn mit einem kleinen Fiasko. Ihm bleibt allerdings die geradezu ekstatisch beschriebene Erfahrung, einmal ein Baßsaxophon gespielt zu haben. Formal ist die Geschichte kunstvoll und virtuos am Jazz entlang komponiert: mit langer Intro, der Vorstellung des Themas, den Soli der Instrumentalisten und einem wilden Jam als Finale. Die Sprache ist vielfältig und komplex: schier endlose Satzkaskaden in komplizierter Syntax wechseln mit staccato-ähnlichen Passagen; auf witzig-freche Beschreibungen folgen philosophisch anmutende Passagen, in denen über das Glück des Zusammenspiels räsoniert wird.

Auch die Erzählung "Eine kleine Jazzmusik" spielt zur Zeit der Nazi-Besatzung. In einem jugendlich unbeschwert und heiter Ton wird von der Gründung einer Jazz-Band durch ein paar Teenager berichtet. Sie ersinnen einen harmlosen Lausbubenstreich, um unbemerkt vom gleichgeschalteten Schuldirektor öffentlich auftreten zu können. Das Konzert wird ein Erfolg. Der Schluss der Geschichte bietet indes eine Wendung, die dem lustigen Erzählton ein jähes Ende bereitet: einer der Jungen wird ins Konzentrationslager deportiert, die anderen fliegen von der Schule.

Skvorecký ist ein Meister der Erzählkunst. Trotz der Kürze der Texte werden Atmosphäre und Zeitkolorit plastisch und unmittelbar. Das gilt insbesondere für seine "Geschichten eines Tenorsaxophonisten", eine Art Verhaltenstypologie unter kommunistischer Herrschaft vom Speichellecker und Wendehals bis hin zum Selbstmörder, der an den Zwängen zerbricht. Die neuen Übersetzungen geben den Slang, die filmreife Dialogführung, den tragikomischen Witz und die präzise Milieuschilderung hervorragend wieder.

Josef Skvorecký gilt heute neben Bohumil Hrabal und Milan Kundera als der bedeutendste tschechische Prosa-Schriftsteller, in seiner Heimat ist er mit Abstand der populärste. Sein Roman "Das Panzerbataillon" erreichte 1990 eine Auflage von über 150.000 Stück. Viele seiner Bücher sind seit den Sechziger Jahren von namhaften Regisseuren wie Jiri Menzel und Milos Forman verfilmt worden. Es gibt eine Skvorecký-Gesellschaft, ein nach ihm benanntes Privatgymnasium und eine Literaturakademie mit seinem Namen, die nach angelsächsischem Vorbild kreatives Schreiben anbietet. Skvorecký wird als integre Persönlichkeit und moralische Autorität verehrt. Mit seinem in Toronto angesiedelten Exilverlag "Sixty-Eight Publishers" hat er Literaturgeschichte geschrieben. Als einer der ersten bekam er nach 1989 von Václav Havel einen hohen Staatspreis verliehen. Seine Gestalt Held Danny Smiricky aus dem "Baßsaxophon" hat die tschechische Volksseele getroffen, viele sehen in ihr einen "intellektuellen Schwejk".

Josef Skvorecký: Das Baßsaxophon. Jazz-Geschichten
Übersetzt von Marcela Euler, Kristina Kallert und Andreas Tretner
Ausgewählt und mit einem Nachwort von Jiri Holý
Tschechische Bibliothek. DVA. München 2005
400 Seiten, 19,90 Euro