Ersan Mondtags "Die Verdammten" in Köln

Unter Untoten

07:50 Minuten
Eine lange Tafel, an deren beiden Enden zwei Frauen sitzen. Eine Frau sitzt auf dem Tisch. Im Hintergrund ist ein überdimensioniertes Foto eines Babys zu sehen. Dahinter ist eine Treppe zu sehen, auf deren oberen Ende ein Mann sitzt. Über allem liegt eine Schicht weiße Federn.
Die Verdammten nach dem gleichnamigen Film von Luchino Visconti, inszeniert von Ersan Mondtag. © Birgit Hupfeld / Schauspiel Köln
Von Michael Laages · 07.12.2019
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Ersan Mondtag inszeniert Luchino Viscontis „Die Verdammten“ am Schauspiel Köln. Das Stück über eine deutsche Industriellenfamilie, die sich mit den aufstrebenden Nationalsozialisten einlässt, lässt für unseren Kritiker Michael Laages Fragen offen.
Nach fünf Jahrzehnten findet dieser Film immer wieder Echos im deutschen Theater: "La Caduta degli Dei", vor "Tod in Venedig" und "Ludwig II" der erste von drei Deutschland-Filmen des italienischen Meister-Regisseurs Luchino Visconti, erzählte 1969 die Geschichte der fiktiven Industriellen-Familie Essenbeck; aber schon im Namens-Mix aus den Städten "Essen" und "Gladbeck" waren die Ruhr-Barone der Stahl- und Waffenschmiede Krupp unschwer erkennbar. Eine der ersten Bühnenfassungen brachte um die Jahrtausendwende das Ensemble ZT Hollandia heraus, unter dem Originaltitel "Der Fall der Götter" oder als "Die Verdammten" findet sich die finstre Story seither immer mal wieder in den Spielplänen. Ersan Mondtag erzählt sie im Schauspiel Köln nun so, als wäre sie eher nicht von dieser Welt.
Gelegentlich (und auch jetzt wieder) ist der Regisseur auch Bühnenbildner; in den überdimensionalen Breitwand-Raum der Kölner Schauspiel-Baustelle hat er die Villa Krupp als Grusel-Ruine bauen lassen, in der die Untoten wohnen. Es schneit ohne Pause, und an die Hauswände lehnen von draußen schon mächtig hohe Wehen. Lange bleibt es still zu Beginn, nur Wind und Wölfe und Käuzchen heulen, bevor das erste, ganz fahl-grüne Gespenst einen der umgestürzten Stühle aufstellt und sich an die leere Tafel setzt. Einziges Requisit im schwarzen, toten Raum: ein großes Bild von (erklärt das Programmheft) Adolf Hitler als Baby; später wird es kurzzeitig durch ein riesiges Porträt des (nunmehr toten) Herrschers im Hause Essenbeck ersetzt.

Tote sterben zwei Mal

Dann erheben sich aus dem Schnee vorn an der überbreiten Rampe all die vielen Toten der Familie Essenbeck, die jetzt im Laufe von etwas mehr als zwei Stunden noch einmal sterben werden: neben dem Patriarchen Joachim dessen Nichte (und auch Schwiegertochter, so kompliziert ist das hier!) Sophie von Essenbeck sowie deren pädophiler Sohn Martin; auch der Patriarchen-Sohn (und SA-Mann) Konstantin samt ungeratenem Künstler-Sohn Günther sowie Sophies Cousin Aschenbach, der schon Obersturmbannführer ist.
Kern der Fabel ist der Wirtschaftsführer und Karrierist Bruckmann, Geliebter der mächtigen Firmen-Erbin Sophie und sehr bald Mörder des alten Essenbeck; mit der Zeit bringen die Mitglieder dieser Killer-Familie einander beinahe alle gegenseitig um, am Schluss tötet die Kinder-Generation die der Eltern. Und ausgerechnet der extrem aus der Art gefallene Martin wird Erbe von allem, fest in der Hand der Nazi-Strategen - deren tödlicher Wahn hat alle, jeden und jede durchseucht, auch die, die keine braune oder schwarze Uniform trugen und einfach nur Mitläufer waren und Opportunisten.

Die Monstren und Grusel-Lemuren bleiben einem fern

Viel Gegenwart wäre da denkbar. Weil aber Regisseur Mondtag das politische Geschehen (das Visconti sehr symbolträchtig mit einem Familien-Rat in der Nacht des Berliner Reichstagsbrandes beginnen lässt) ins Reich der Untoten verlegt, bleiben all diese Monstren und Grusel-Lemuren merkwürdig fern. Die Bühnen-Ruine im Schnee (mit weiß beschneiten Riesen-Tannen rechts und links am Rand) ist ein Ereignis – aber Spuren deutscher Kriegs- und Wirtschaftsgeschichte, die womöglich noch bis in die Gegenwart reichen, finden sich nicht in dieser Grundbehauptung der Inszenierung. Zur Erinnerung: In Hamburg endete die Geschichte mal mit einer Werks-Neueröffnung in westdeutscher Wirtschaftswunderzeit; der Schoß, aus dem all das gekrochen war, war offenbar fruchtbar geblieben.
Auch Mondtags wichtigste Mitstreiterin an diesem Kölner Abend trägt stark zur Entfremdung bei – die Kostümbildnerin Teresa Vergho, zu deren außergewöhnlichen Handwerklichkeiten die vollständige Umgestaltung von Körper und Profil gehört; Schauspielerinnen und Schauspielern sind bei ihr zuweilen nicht wieder zu erkennen. Hier hat sie allen Ensemble-Profilen signifikante Outfits verpasst: dem Nazi Aschenbach fruchtig-blutiges Rot, und SA-Mann-Konstantin sieht aus wie eine Kreuzung aus Hermann Göring und Ernst Röhm mit Benito Mussolini. Ein Knautschmasken-Chor kommt hinzu … das sind lauter starke Bild-Effekte, noch in Rainer Caspers Licht ist die Kölner Aufführung ein ästhetischer Kraftakt.

Ist der Fall wirklich erledigt?

Doch politische Hinter- und Abgründe sind ausgerechnet bei diesem Material erstaunlich fern. Ersan Mondtag begräbt die elende, fundamental zerstörerische Verstrickung von deutscher Wirtschaft und deutschem Faschismus, setzt den Tätern sozusagen die Totenmaske auf. "File closed", und Deckel drauf - aber ist der Fall denn wirklich erledigt?

"Die Verdammten" nach Luchino Visconti
Regie: Ersan Mondtag
Schauspiel Köln

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