Erotische Literatur

Geschmackvolle Schweinereien

Eine junge Frau liest das Buch "Das Dekameron" von Giovanni Boccaccio auf dem Sofa ihres Hauses auf Rügen.
Eine junge Frau liest das Buch "Das Dekameron" von Giovanni Boccaccio, das als ein Klassiker der erotischen Literatur gilt. © imago/Kai Bienert
Von Katharina Döbler · 05.01.2015
Mit "Eine Geschichte des sinnlichen Schreibens" legt Werner Fuld eine umfangreiche Abhandlung über ein Jahrtausend erotischer Literatur in Europa vor. Die weiblichen Stimmen haben es ihm besonders angetan und auch Pornografisches vergnügt ihn.
Die umfangreiche Abhandlung über ein Jahrtausend erotische Literatur in Europa beginnt mit einer Würdigung: Das "Decamerone", eines der schönsten Werke sinnlichen und üppigen Erzählens, wird gepriesen – vor allem dafür, dass es zu seiner Zeit, Mitte des 14. Jahrhunderts, äußerst innovativ war. Mit Boccacios Geschichten, meint Werner Fuld, sei das künftige "Leitmotiv aller erotischen Literatur", nämlich die "Instabilität" aufgekommen. Was davor war, vom Minnesang bis Petrarca, verwirft er in einem eigenen Kapitel als lustfeindlichen Schematismus.
Fuld ist kein Forscher, er betrachtet die europäische Geistesgeschichte als Leser und meinungsstarker Kommentator einfach unter dem Aspekt des jeweils herrschenden Grades sexueller Freizügigkeit.
Deutsche Literaten können es nicht erotisch
Die feinen Unterschiede zwischen Pornografie und erotischer Literatur, vulgo zwischen Schweinerei und Kunst, interessieren ihn dabei weniger - und gegen vergnügliche und geschmackvolle Schweinereien hat er schon gar nichts einzuwenden. Angetan hat es ihm vor allem die Präsenz der Frauen im "sinnlichen Schreiben": Weibliche Lust war zu manchen Zeiten – etwa in der nachpuritanischen Ära unter Charles II. in England – ein durchaus beschreibliches Thema. In dieser Zeit waren auch heute nahezu vergessene Autorinnen wie Aphra Behn erfolgreich, die mit ihren expliziten Theaterstücken und Romanen im 17. Jahrhundert ein begeistertes (häufig: weibliches) Publikum fand.
Allerdings wirkt es manchmal befremdlich, dass Fuld lockere Sitten automatisch für Anzeichen weiblicher Selbstbestimmung zu halten scheint. Die erotische Literatur, die er dazu aufführt, ist jedoch keineswegs immer emanzipatorisch.
Großes Klagen stimmt er, nach ausführlicher Blütenlese in galanten französischen und der englischen Texten (mit dankenswert ausführlichen Zitaten) über die deutschen Literaten an: sie können es einfach nicht erotisch, von wenigen Ausnahmen wie ein paar frühen Goethe’schen Zoten und späteren österreichischen Deftigkeiten abgesehen. Das deutschsprachige Publikum war, um sich in Sachen Liebeskunst weiterzubilden, vor allem auf französische Romane angewiesen. Und die waren entsprechend verrufen.
Literarische Schlachten um Ex-Beziehungen
Vieles von dem hier zitierten und in vergnüglichem bis spitzem Konversationston vorgetragenen Material verdankt Fuld offensichtlich seinen Recherchen für sein "Buch der verbotenen Bücher" das er vor zwei Jahren vorgelegt hat. So ist hier Aufschlussreiches über verhunzte und zensierte Ausgaben der Memoiren Casanovas oder der Romane von Colette zu erfahren, aber eben auch vergnüglicher Klatsch zu literarischen Materialschlachten um gescheiterte Liebesbeziehungen auf hohem Niveau – wie die zwischen George Sand und Alfred de Musset.
Fulds "Geschichte des sinnlichen Schreibens" ist eher ein unterhaltsames Lesebuch denn der Abschlussbericht eines Forschungsprojekts – was man ihm vom Standpunkt des Leser aus ganz und gar nicht übel nehmen kann.

Werner Fuld: Eine Geschichte des sinnlichen Schreibens
Galiani, Berlin 2014

544 Seiten, 24,99 Euro



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