Erotische Kunst im Auftrag der Kirche

Die Legenden der heiligen Frauen im Christentum haben immer wieder die Fantasie von Künstlern beflügelt. In den großen Museen Europas und der USA kann man die Resultate bewundern. Die Kunsthistorikerin Antje Southern hat sich in ihrem Buch dem Thema Kirche, Kunst und heilige Frauen gewidmet und mit zahlreichen hocherotischen Bildern illustriert.
Das Buch ist ein Bildband mit reichlich Text dazu - auf den ersten Blick. Genauer betrachtet: das sind bebilderte Geschichten und Legenden. Die Geschichten handeln vom Leben und Sterben der großen Heiligen Frauen des Christentums, von Maria, der Mutter Jesu, und Maria Magdalena, von den Märtyrerinnen aus frühchristlicher Zeit: Katharina, der Königstochter aus Zypern, die vom römischen Imperator Maxentius aufs Rad geflochten wurde, weil sie ihrem Glauben nicht entsagen wollte. Genauso wie Barbara, die der eigene Vater enthauptet hat. Es geht auch um berühmte Klosterfrauen wie Hildegard von Bingen und Theresa von Avila. Aber auch um glühende Christinnen, die sich eingemischt haben in weltliche Angelegenheiten, von Jeanne d’Arc bis Mutter Theresa.

Die Christen aller Zeiten haben sich Bilder gemacht von ihren Heiligen. Besser noch: sie haben Künstler beauftragt, ihnen Bilder zu verschaffen, immer aufs Neue. - Die Autorin hat den bebilderten Heiligen-Geschichten ein essayistisches Vorwort voran gestellt: über das Verhältnis von Christentum und Kunst, speziell über die Liebe der Künstler zu den heiligen Frauen.

Die schwache Seite dieses Buches sind die Texte, besonders der Essay am Anfang. Das problematische Verhältnis von (oft) sinnenfeindlichem Christentum und sinnenfreudiger Kunst. Wer sich ein solches Thema auf die Fahnen schreibt, weckt beim Leser einige Erwartung. Die wird enttäuscht; das Ganze hat den Tiefsinn eines Hochglanzmagazins: reichlich glamouröses Wortgeklingel, wenig treffenden Metaphern und noch weniger echte Ideen.

Zum Beispiel: Wer möchte widersprechen, wenn Antje Southern feststellt, die christliche Kirche hätten immer Probleme gehabt mit dem Sex, mit Sinnlichkeit überhaupt - aber wem muss man das heute noch vermelden? Viel interessanter ist doch die Tatsache, das Christentum war ursprünglich gar keine asketische Religion, im Gegenteil! Christus hat Anstoß erregt bei den orthodoxen Juden, weil seine Jünger am Sabbat nicht gefastet haben. Der Messias hat gern und reichlich getafelt mit den Seinen, ist mit Zöllnern und Sünder durchs Land gezogen, hatte immer auch Frauen in seinem Tross, und Maria Magdalena, seine liebste Begleiterin, war aller Wahrscheinlichkeit nach eine ehemalige Hure. – Wann und warum hat die Sinnenfeindlichkeit in der christlichen Urkirche Einzug gehalten? Für die Autorin ist das leider kein Thema. Sie begnügt sich mit der Feststellung einer sinnenfeindlichen Kirche als Auftraggeber einer sinnenfreudigen Kunst. - Ein Spannungsverhältnis übrigens, das den Künstlern nicht nur Notwendigkeiten auferlegte, sondern gleichzeitig ungeahnte Möglichkeiten schuf: Möglichkeiten für Spiel und Provokation.

Davon können wir uns anhand des Buches überzeugen, siehe etwa Jules Lefevres "Die Heilige Maria Magdalena in einer Grotte": ein barockes Weib, nackt, rosig schimmernde Haut, die Mähne wild und tizianrot, lüsterner Blick, räkelt sich vor den Augen des Betrachters. Nach den Maßstäben der Popkultur ist das ein "Soft-Porno". Gemalt im Jahre 1876, mitten im prüden viktorianischen Zeitalter, wo Frauen lange dunkle Kleider trugen, Arme und Beine immer komplett verhüllt.

Was man in Antje Southerns Texten ebenfalls vermisst, sind ein paar Gedanken über die "Erotik der Unnahbarkeit". Darüber nachzusinnen drängt sich einem förmlich auf beim Anblick all der schönen, jungfräulichen Märtyrerinnen und Klosterfrauen.

Die starke Seite dieses Buches ist seine Gestaltung. Feines, matt glänzendes Papier, die Texte farbig unterlegt: ocker, karmesin und creme, Schrift und Ornament scheinen durch Formen des Jugendstil inspiriert. Eine gelungene Komposition.

Und das allerbeste sind die Bilder: Heilige Frauen als Geschöpfe von Künstlerphantasien und Künstlerhänden. Eine Zusammenschau von Gemälden aus fast tausend Jahren (vom späten Mittelalter bis in die Gegenwart) und aus aller Welt. Die Originale hängen in den großen Museen Europas (von Ermitage bis Prado) und der USA, ein beträchtlicher Teil stammt auch aus Privatsammlungen. Der Bilddruck in diesem Band ist bestens gelungen: da ist tizianrot auch wirklich tizianrot.

Das letzte Kapitel des Bandes heißt "Madonna, neu entdeckt" und widmet sich der Fotografie. Da hat sich Sam Taylor-Wood, eine renommierte britische Fotografin, einen Reim gemacht auf das ewige Thema "heilige Sünderin": Kate Moss als "mater dolorosa". Das muss man gesehen haben.

Fazit: Geistvolle Texte über Christentum, Sinnlichkeit und Kunst kriegt man woanders besser – aber dieser Bildband ist ein Schatz.

Rezensiert von Susanne Mack

Antje Southern: Himmlische Frauen. Fromm und rebellisch – schön und sündhaft
Elisabeth Sandmann Verlag 2006
160 Seiten, 19,95 Euro