Erotikstau und Exorzismus

Von Stefan Keim |
"Liebe und andere Dämonen" könnte sich an der Kölner Oper zum Überraschungshit entwickeln und auch über den Expertenkreis hinaus viele Besucher anlocken. Denn Peter Eötvös verknüpft eine gegenüber dem Roman stark vereinfachte Handlung mit einer Musik, die auch die Nähe zum Kinosoundtrack nicht scheut.
Da kommt schon einiges zusammen: eine Sonnenfinsternis, ein Hundebiss, Verdacht auf Tollwut. Aber eigentlich könnte man - wie es ein Arzt vorschlägt – das zwölfjährige Mädchen einfach in Ruhe lassen und ihm die Tage des Kränkelns so angenehm wie möglich machen. Doch ein durchgeknallter Bischof sieht "teuflische Zeichen", schickt das Mädchen in eine Kloster unter Nonnenaufsicht und jagt seinen Exorzisten auf die Kleine.

Der ist ein junger Priester Mitte dreißig und verliebt sich in das gerade sexuell erblühende Kind. Katholische Geistliche, die im Erotikstau Amok laufen, gab es also schon im Kolumbien des 18. Jahrhunderts. Dort hat Gabriel García Marquez seinen Roman "Von der Liebe und anderen Dämonen" angesiedelt. Der Komponist Peter Eötvös, einer der heraus ragenden Vertreter der zeitgenössischen Literaturoper, hat daraus ein flirrendes, spannungsreiches Musiktheaterstück gemacht.

Die aktuellen Skandale der katholischen Kirche konnte Regisseur Silviu Purcarete nicht kennen, als er das Stück im Sommer 2008 in Glyndebourne uraufführte. Nach der enorm erfolgreichen deutschen Erstaufführung in Chemnitz kam "Love and other Demons" nun in der Ursprungsinszenierung nach Köln, allerdings komplett neu besetzt.

Auch hier könnte sich die Oper zum Überraschungshit entwickeln, die immer noch erwartet niemand von einer zeitgenössischen Oper, dass sie über den Expertenkreis hinaus jemanden interessiert. Doch Eötvös verknüpft eine gegenüber dem Roman zwar stark vereinfachte, aber immer noch packende Handlung mit einer erzählerischen, verständlichen Musik, die auch die Nähe zum Kinosoundtrack nicht scheut.

Die Schreie der Zwölfjährigen, wenn jemand ihr eine "heidnische" Kette vom Hals reißen will, spiegeln sich mehrfach im Orchester. Sodass es wirkt, als ob der ganze Raum schreit. Eötvös setzt präzise Effekte und komponiert die Hauptpartien mit lyrischem Fluss, was manchmal in der Feinheit der Instrumentierung an eine heutige Spielart von Debussy erinnert. Markus Stenz setzt diese wirkungsvolle Theatermusik mit dem Gürzenich-Orchester zwingend atmosphärisch um.

Zwei junge Sänger – in dieser Spielzeit neu im Kölner Ensemble – tragen diesen Abend. Anna Palimina singt die zwölfjährige Sierva Maria – eine extrem hoch notierte Sopranpartie – mit mühelosem Strahlen und engelhafter Unschuld. Während Miljenko Turk den verliebten Exorzisten glaubwürdig zerrissen porträtiert, stimmlich wie schauspielerisch. René Kollo hingegen wirkt als Vater des Mädchens viel zu schwerfällig, singt mit übertriebenem Tremolo, entwickelt kein Gespür für die Feinheiten der Partitur.

Doch im sonst durchweg hervor ragenden Sängerensemble ist das zu verschmerzen. Das Bühnenbild (Helmut Stürmer) vermeidet zwar ein genaues Setting in Lateinamerika, zeigt aber einen bedrückenden, klosterähnlichen Raum mit romanischen Bögen. Auf seine Wände werden Videos projiziert, die in die Innenwelten der Handelnden führen, manchmal übertrieben illustrierend (nackte, sich krümmende Menschen zur Zeit der erwachenden Erotik), doch zumeist stimmungsvoll.

"Love and other Demons" ist ein gutes Beispiel für eine zeitgenössische Oper, die sich nicht überkomplex-selbstgefällig einem breiten Publikum verweigert sondern von Menschen und ihren Problemen erzählt. Auf eine verständliche und dabei nicht populistische Weise. Es gab viel Applaus in Köln.