Erotikmagazin "Flut"

Mit Vielfalt gegen den Porno-Mainstream

07:20 Minuten
Die zweite Ausgabe des "Flut"-Magazins liegt im Gras.
So sah die zweite Ausgabe der "Flut" aus, die dritte entsteht gerade. © Deutschlandradio / Pia Uffelmann
Von Pia Uffelmann · 31.05.2021
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Was ist eigentlich erotisch - und was nicht? Antworten auf diese Frage sucht das Magazin "Flut" aus Jena in Thüringen, und zwar abseits der gängigen Pornografie. Den Macherinnen geht es um einen Gegenentwurf und um die Vielfalt von Sex und Erotik.
Die Macherinnen der "Flut", dem Magazin für gegenwärtige Erotik, sie haben die Qual der Wahl. An einem Samstag im Mai beugen sich die Mitte Zwanzigjährigen vor Ort oder online zugeschaltet über die knapp 50 Einsendungen. Es geht um die dritte Ausgabe ihres künstlerischen Erotikmagazins.
Auf dem Tisch liegt eine Aktreihe einer Frau mit Dreadlocks im Wasser, in Schwarz-Weiß. Sie schaut direkt fordernd fröhlich in die Kamera, später dann Fotos von nackten Körpern in Laken gehüllt, durch die die Haut durchschimmert.

Ein Gegenentwurf zur Mainstream-Pornografie

In der eingesendeten Kunst werden ästhetische Strategien erprobt. Das heißt, es wird versucht mit unterschiedlichen Mitteln, Motiven und Medien Sinnlichkeit darzustellen. Die Erotik kann explizit oder aber kaum zu greifen sein.
Eine der "Flut"-Macherinnen betrachtet eine Einsendung.
Die "Flut"-Macherinnen haben die Qual der Wahl.© Deutschlandradio / Pia Uffelmann
Es geht den Macherinnen dabei auch um einen Gegenentwurf zur Mainstream-Pornografie, erklärt die 27-jährige Paula Willert: "Ich glaube, es braucht ‚Flut‘, weil es gibt viele Erotikmagazine. Aber ich glaube, es kann nicht genug Blickwinkel auf Erotik geben und nicht genug Bilder von verschiedener Erotik."
Das "Flut"-Magazin veröffentlicht Bilder, Fotos, Malereien, Prosatexte, Gedichte, die Erotik anders denken wollen. Es gibt gesellschaftskritische Fotos, in hellem Licht und weichen Pastelltönen: Mann und Frau in zarter Umarmung. Doch die Frau küsst nicht ihren Partner, sondern einen Spiegel, der sich zwischen ihren Köpfen befindet – ein Sinnbild unserer narzisstischen Gesellschaft.
Das Magazin zeigt aber auch Körperbilder jenseits der Norm genauso wie die pure Lust oder das Hadern beim Begehren.

Frottee
von Anna Ebert
wie wir
aufeinander schwimmen
wie der schweiß sich in
kleinen pfützen auf unseren körpern sammelt
sich teiche in unsren näbeln bilden
wir einander hautfetzchen
entgegennehmen
und speichelproben
Ich möchte kommen aber es geht nicht

Vorrangig publizieren Frauen

Die Fotos sind mal perfekt inszeniert, mal Schnappschuss-artig abgelichtet, surreale Aktbilder mit Repitilienköpfen sind zu sehen genau wie Malereien, die gähnende pinkelnde Frauen in naiver Malweise zeigen. Vorrangig publizieren Frauen, aber auch Männer reichen ein - eine teils aggressive Poetik.

Kompressionen
von Paul Helfritzsch
Lass mich Heimat schlucken.
Meinen Mund voll Gewürgtem
hinab in meinen Hals zum Stöhnen
Schlucken all unsere guten, tradierten, alten milchig weißen Grenzen.

Die Botschaft von "Flut" ist so diffus wie klar: Erotik ist vielfältig. Was zunächst wie eine Binsenweisheit wirkt, birgt eine große Freiheit und die Chance, sexuelle Konventionen infrage zu stellen.

"Man sieht eine Vulva"

Konventionen zu hinterfragen, darum geht es auch Laura Theimer. Die 27-Jährige ist selbst Teil des "Flut"-Teams. In der zweiten Magazinausgabe wurde ein Aquarell von ihr abgedruckt.
"Man sieht eine Vulva, also relativ anatomisch korrekt dargestellt mit Intimbehaarung und eben Glitzerfarbe", erklärt sie. Laura Theimer will mit ihrem Werk auch aufklären. "Mir ist es bei meiner Arbeit auch wichtig, die Vulva anatomisch korrekt darzustellen - um eben den Menschen zu zeigen, wie Vulven eben aussehen."
Ihr geht es um eine Erotik jenseits des gewohnten männlichen Blicks: "Dass ich eben finde, dass die weibliche Lust, die weibliche Sexualität nicht genug abgebildet wird, gerade jetzt in diesen klassischen Pornoheften oder in der klassischen Pornografie. Und meine Motivation ist es, mich eben da dann dafür einzusetzen, dass ein diverses Bild dargestellt wird."
Professor Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg forscht schon seit sieben Jahren zu Sexualität - an einer von zwei Hochschulen in Deutschland, die zu dem Thema auch einen Studiengang anbieten.

Sexualität selbst in die Hand nehmen

Frauen, die ihre Sexualität selbst in die Hand nehmen - diese Entwicklung hat Voß auch empirisch untersucht: "Man kann sehr gut feststellen, dass es tatsächlich so einen Ermächtigungstrend gibt." Es zeige sich in der neusten Studie gerade bei den Jüngeren, dass es eine deutlich größere Sensibilität für Grenzverletzungen und sexualisierte Gewalt gebe.
Laut der Studie haben die Jüngeren in fast allen Formen häufiger sexuelle Belästigung erlebt – sie sind gegenüber sexuellen Grenzverletzungen sensibler. Dabei geht es um Belästigung unter anderem durch Musik, Worte, sexualisierte Werbung oder Pornoclips.
Hier sind jeweils die Werte bei jüngeren Frauen deutlich höher als bei älteren Frauen. Beispielsweise fühlen sich 38 Prozent der älteren Frauen durch sexualisierte Werbung belästigt. Bei den jüngeren Frauen trifft das auf 61 Prozent zu.
Das "Flut"-Team posiert coronakonform für ein Foto.
Die Macherinnen des "Flut"-Magazins wollen Menschen zum künstlerischen Arbeiten zu Erotik animieren. © Deutschlandradio / Pia Uffelmann
Außerdem, so Voß, lernen junge Frauen mittlerweile ihre Lust besser kennen: Denn immer mehr von ihnen befriedigen sich selbst. Gaben in den 1980er-Jahren nur 17 Prozent der jungen Frauen an, ihre Lust allein zu erkunden, sind es in der jüngsten Studie schon 80 Prozent der 16- bis 18-Jährigen.
Und die, so vermutet der Forscher, bekommen so ein besseres Grundgefühl zu sich und ihrer Sexualität: "So ein positives eigenes Körpergefühl wird eine größere Relevanz auch dafür haben, überhaupt erotische Darstellung von sich selbst in Erwägung zu ziehen, die gegebenenfalls auch preiszugeben, die mit anderen zu teilen."

Zu erotischer Kunst animieren

Ob die Künstlerinnen und Künstler selbst zu sehen sind oder nicht: Dem "Flut"-Magazin geht es darum, die Menschen zum künstlerischen Arbeiten zu Erotik zu animieren.
"Ich verstehe uns schon als sehr niedrigschwellig", sagt Paula Willert. "Vielleicht auch etwas, wo die Leute mal sagen, ich probiere mal was aus – und das finde ich immer spannend, wenn Leute so etwas zum ersten Mal machen."
"Flut" findet auch bei Instagram statt - der Fokus liegt aber auf dem gedruckten Magazin mit einer Auflage von circa 300 Stück. Angesichts der digitalen Bilderflut wirkt das fast antiquiert. Doch die Entscheidung für das gedruckte Medium, so Paula Willert, ist mit Bedacht gewählt.
"Einerseits, weil es weniger flüchtig ist", sagt sie. "Ein Magazin, was man in der Hand hat, blättert man zwei, drei Monate später noch durch – und andererseits finden wir, dass es zum Thema gut passt, weil Erotik ja durchaus mit Haptik zu tun hat."
In Jena haben die Macherinnen die Bilder, Texte und Gedichte mittlerweile auf "Ja"-, "Nein"- und "Vielleicht"-Stapel sortiert, um im Herbst dann ein drittes "Flut"-Magazin zu publizieren. Und so neue, surreale, explizite und künstlerische Visionen von Sinnlichkeit in die Welt zu setzen.
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